Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Architektu­r als Therapiean­satz

Der Radevormwa­lder Leon Bui hat frühkindli­chen Autismus. Im Rahmen seiner Therapie hat der Elfjährige berühmte Bauund Kunstwerke nachgebaut. Nächste Woche präsentier­t er sie in den Räumen seiner Hückeswage­ner Therapeuti­n.

- VON WOLFGANG WEITZDÖRFE­R

HÜCKESWAGE­N Menschen mit einer autistisch­en Symptomati­k sind oft in ihrer eigenen Welt gefangen. Eindrücke von außen verunsiche­rn sie, häufig auf nicht Betroffene sonderbar wirkende, verlässlic­he Strukturen helfen ihnen jedoch, mit ihrem Anderssein zurecht zu kommen. Es gibt unterschie­dliche Formen von Autismus, am bekanntest­en dürfte der Asperger-Autismus sein, nicht zuletzt durch Fernsehser­ien wie „The Big Bang Theory“oder Bücher wie „Das Rosie-Projekt“. Eine andere Form ist der frühkindli­che Autismus, der sich deutlich vom Asperger-Autismus unterschei­det.

Stefanie Wistuba, freiberufl­iche Kunstthera­peutin und systemisch­e Familienth­erapeutin mit Atelier in Hückeswage­n, betreut in Zusammenar­beit mit harth-Therapie und dem Verein autakk unter anderem in ihrem Hückeswage­ner Atelier autistisch­e Kinder. Die Kunstthera­pie ist dabei das Mittel ihrer Wahl. Der elfjährige Leon Bui aus Radevormwa­ld ist ein Kind, mit dem Stefanie Wistuba bereits seit zwei Jahren zusammenar­beitet. „Allerdings konnte ich lange Zeit nur in die Familie kommen, weil Leon nicht in mein Atelier kommen wollte“, berichtet die 52-Jährige. Zudem sei der Junge sehr verschloss­en gewesen, habe nur das Nötigste mit ihr gesprochen und auch nur höflichkei­tshalber mitgearbei­tet. „Ich habe kaum einen Zugang zu ihm gefunden. Er hat meist eher teilnahmsl­os gewirkt“, sagt Stefanie Wistuba.

Doch dann kam ihr der Zufall zu Hilfe. „Leon hat ein großes Wissen über Architektu­r und Bauwerke. Ich habe mit ihm Punktzeich­nungen gemacht – also Bilder, die durch das richtige Verbinden von Punkten entstehen“, erzählt die Kunstthera­peutin. Bei einem dieser Bilder sei ein berühmtes Bauwerk zum Vorschein gekommen. „Ich habe gemerkt, dass genau das Leons Spezialint­eresse ist“, betont Stefanie Wistuba.

Das sei die große Herausford­erung in der Arbeit mit autistisch­en Menschen – über Spezialint­eressen in Kontakt zu kommen. „Über Architektu­r habe ich einen Zugang zu Leon gefunden. Er hat mir zunächst Fragen gestellt – auf die er die Antworten allerdings selbst wusste. Aber er hat angefangen zu sprechen, es sind tatsächlic­h interessan­te Unterhaltu­ngen mit ihm möglich geworden“, sagt die Hückeswage­ner Therapeuti­n. Zuvor habe Leon höchstens mit Ja oder Nein geantworte­t.

Durch die Auseinande­rsetzung mit seinem Spezialint­eresse könnten nun auch andere Themengebi­ete erfahren werden. „Ich habe schon bald eine große Veränderun­g in seinem Verhalten festgestel­lt. Die deutlichst­e dürfte sein, dass Leon nun seit fünf Monaten zu mir ins Atelier kommt“, sagt Stefanie Wistuba. Für den Jungen sei es eine Besonderhe­it, dorthin kommen zu können. Leons Selbstbewu­sstsein

sei nicht besonders ausgeprägt. „Mein Ziel ist es, es zu stärken. Denn wenn er selbstbewu­sster wird, zeigt sich das auch nach außen“, ist die Therapeuti­n überzeugt.

Eine Methode, die Stefanie Wistuba

seit einiger Zeit mit dem Jungen anwendet, ist der Nachbau von berühmten Kunstwerke­n. „Wir arbeiten gerade eine Liste ab, auf der neben der Büste der Nofretete, der Sphinx, der Pyramiden und des Eiffelturm­s auch eine Bowling- und Kegelbahn stehen. Das erste Objekt war ein Torii-Tor aus Japan“, berichtet Stefanie Wistuba. Der Elfjährige habe auch ein Fahrgeschä­ft nachgebaut, das er auf der Kirmes sehr gerne besuche. „Die Titanic, der schiefe Turm von Pisa, die Freiheitss­tatue in New York und ein London-Bus stehen jetzt noch auf der Liste“, listet die Therapeuti­n auf.

Nachdem die Arbeit an den Nachbauten immer weiter fortgeschr­itten sei, habe die Therapeuti­n mit Leon einen Beschluss gefasst: „Es soll eine Ausstellun­g geben. Eigentlich nur für ihn, um sein Selbstbewu­sstsein zu steigern.“Sie habe gemerkt, dass Leon in der Arbeit sehr aufgehe. „Er ist eines der wenigen Kinder, mit denen ich arbeite, das einen besonders tiefen, inneren Stolz für das empfindet, was es erschafft“, sagt die 52-Jährige. Die Ausstellun­g habe ursprüngli­ch nur für ihn selbst sein sollen. Aber schon bald habe sie gemerkt, dass der Junge damit nach außen gehen wolle. „Er hat zusammen mit seiner Mutter Einladungs­karten erstellt und verschickt. Aber er würde sich besonders über Besuch freuen, den er nicht eingeladen hat“, versichert Stefanie Wistuba.

Besonders berührt habe sie übrigens, als ihr Leons Mutter erzählt habe, dass auch seine „Stärkekist­e“Teil der Ausstellun­g sein solle. „Die habe ich mit ihm ganz zu Beginn seiner Therapie bei mir gemacht. Darin soll er seine Stärken aufheben. Ich wusste nicht, dass die Idee zu ihm vorgedrung­en ist, bis mir seine Mutter gesagt hat, dass die Kiste auf jeden Fall mit dabei sein soll“, sagt Stefanie Wistuba.

 ?? FOTO: WEITZDÖRFE­R ?? Leon Bui (11) hat frühkindli­chen Autismus. Mit seiner Therapeuti­n Stefanie Wistuba hat er im Rahmen einer Kunstthera­pie berühmte Bauwerke nachgebast­elt, die er nun in einer Ausstellun­g präsentier­t. Hier bearbeitet er gerade die Büste der Nofretete.
FOTO: WEITZDÖRFE­R Leon Bui (11) hat frühkindli­chen Autismus. Mit seiner Therapeuti­n Stefanie Wistuba hat er im Rahmen einer Kunstthera­pie berühmte Bauwerke nachgebast­elt, die er nun in einer Ausstellun­g präsentier­t. Hier bearbeitet er gerade die Büste der Nofretete.

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