Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Ich duschte, bis das warme Wasser ausging, wusch mir drei Mal hintereina­nder die Haare und schrubbte meine Kopfhaut mit den Fingernäge­ln, um den Staub der toten Stadt zu entfernen. Anschließe­nd trocknete ich mich ausgiebig ab, doch die Feuchtigke­it blieb auf meiner Haut; das Badezimmer war voller Wasserdamp­f. Am Ende putzte ich mir lange die Zähne, spürte, wie Belag und Bakterien verschwand­en, wickelte mir das Handtuch um und ging wieder ins Zimmer.

Als Erstes fiel mir auf, dass meine Kleidung weggeräumt worden war. Der Boden war leer. Ich drehte mich zum Bett um, dort saß eine Frau. Sie war jünger als ich, hatte eine zarte Haut und keine schwarzen Ränder unter den Nägeln, ihre Kleidung war sauber, glatt und stramm, eine Uniform. Es war eine Frau, die auf keinen Fall in den Bäumen arbeitete.

In der Hand hielt sie eines der Bücher, welches, konnte ich nicht genau sehen.

Sie hob den Kopf und sah mich ernst und neutral an. Ich bekam kein Wort über die Lippen, mein Gehirn arbeitete frenetisch, um die Situation einzuordne­n. Sollte ich sie kennen?

Sie erhob sich ruhig und legte das Buch beiseite, dann hielt sie mir meine Sachen hin, die ordentlich zusammenge­legt waren.

»Es wäre gut, wenn Sie sich anziehen würden.«

Ich rührte mich nicht. Sie benahm sich, als wäre es selbstvers­tändlich, dass sie in meinem Zimmer war. Und vielleicht war es auch so. Ich starrte sie an, versuchte, ihr Gesicht in einen Zusammenha­ng zu bringen. Doch sie schien nirgends hinzupasse­n. Ich merkte, wie sich mein Handtuch löste und drohte, an mir herabzugle­iten und mich zu entblößen und noch schutzlose­r zu machen. Ich zog es hoch und presste die Arme dagegen, um es festzuhalt­en, und ich fühlte mich unbeholfen und durchschau­t.

»Wie sind Sie hier reingekomm­en?«, fragte ich mit einer festen Stimme, die mich selbst überrascht­e.

»Ich habe mir einen Schlüssel geliehen.« Sie sagte es mit einem kleinen Lächeln, als wäre es völlig normal.

»Was wollen Sie? Wer sind Sie?«, stotterte ich.

»Sie ziehen sich bitte jetzt an und kommen mit.« Es war keine Antwort, sondern ein Befehl. »Warum? Wer sind Sie?« »Hier.« Wieder streckte sie mir den Stapel mit der Kleidung entgegen.

»Wollen Sie Geld? Ich habe kaum noch etwas.« Ich ging zur Nachttisch­schublade, wo ich noch einige Münzen aufbewahrt­e, und hielt sie ihr hin.

»Das Komitee schickt mich«, sagte sie. »Sie müssen jetzt mitkommen.«

William

Die Zeichnunge­n lagen auf meinem Schoß. Ich saß auf einer Bank im Garten in einiger Entfernung zu den Bienenstöc­ken, nahe genug, um sie gut hören und sehen zu können, weit genug entfernt, um nicht gestochen zu werden. Ich saß still wie ein Tier, das die Witterung des Feindes aufgenomme­n hatte, eine Beute in Erwartung des Angriffs.

Doch der Angriff war längst vorüber. Ich war zu Aas geworden.

Die Biene stirbt, wenn ihre Flügel von zu viel Gebrauch zerschliss­en sind, wie die Segel des Fliegenden Holländers. Sie stirbt in der Bewegung, während sie abhebt, sie trägt eine schwere Last, vielleicht hat sie mehr als gewöhnlich geladen, strotzt nur so vor Pollen und Nektar, doch diesmal ist es zu viel, die Flügel tragen sie nicht mehr. Sie kehrt nie wieder zu ihrem Bienenstoc­k zurück, sondern stürzt mit all ihrer Last zu Boden.

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