Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Mit der „Polarstern“durchs ewige Eis
Meteorologen der Uni Köln sind bei der größten Arktis-Expedition aller Zeiten dabei. Mehr als 600 Wissenschaftler beteiligen sich.
KÖLN Es ist eine einmalige Chance, die sich den internationalen Wissenschaftlern bietet: Der deutsche Forschungseisbrecher „Polarstern“driftet, festgefroren an einer Eisscholle, ein Jahr lang durch das Nordpolarmeer. Auf der sogenannten „Mosaic“-Expedition soll die Arktis im Jahresverlauf erforscht werden. Mehr als 600 Wissenschaftler von 60 Instituten aus 19 Nationen sind dabei.
Vor allem im Winter, in der Zeit der Polarnacht, war eine Beobachtung der Arktis bisher kaum möglich. Wichtig ist die Expedition vor allem mit Blick auf den Klimawandel: Kaum eine Region hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark erwärmt wie die Arktis. Ziel der Wissenschaftler ist es daher, die Ursachen dafür aufzuspüren und so den globalen Klimawandel besser zu verstehen.
Genau das möchten auch die Meteorologen der Uni Köln: Auf der Polarstern befindet sich ein Wolkenmessgerät der Forscher namens „Mirac“(Microwave Radar/Radiometer for Arctic Clouds). Es bestimmt den Wasserdampfgehalt der extrem trockenen arktischen Atmosphäre und den Flüssigkeitsgehalt von Wolken mithilfe von Mikrowellenstrahlung. „Damit können wir ein differenziertes Bild der Wolken und der Atmosphäre in der Arktis zeichnen“, sagt Susanne Crewell. Die Professorin der Uni Köln ist zwar diesmal nicht an Bord der Polarstern, war aber mehrfach auf Expeditionen in der Arktis und Antarktis. „Diesmal kümmert sich ein Kollege vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung um unser Gerät und die Daten. An dieser Expedition wollten Institute aus aller Welt beteiligt sein, es ging natürlich darum, den Platz an Bord optimal auszuschöpfen, um in diesem Jahr im Eis möglichst viele Erkenntnisse zu gewinnen.“
Obwohl die Mosaic-Expedition schon seit einigen Wochen läuft, hat Susanne Crewell noch keine Daten von der „Polarstern“erhalten. „Nördlich von 80 Grad ist die Satellitenverbindung sehr schlecht. Deshalb bekommen wir nach dem ersten Crew-Wechsel eine Daten-Festplatte mitgebracht – das ist ganz wie in alten Zeiten.“Der Wasserdampf steht im Blickpunkt der Kölner Forscher. „Er ist unser Haupttreibhausgas. Ohne Wasserdampf wäre es auf unserer Erde rund 30 Grad kälter. Wird es wärmer, nimmt die Luft mehr Wasserdampf auf – und es wird noch wärmer. Deshalb ist es wichtig zu verstehen, welchen Effekt Wasserdampf in der die Arktis hat, schließlich erwärmt sie sich schneller als der Rest der Welt.“Die Erwärmung sei in dieser für das Weltklima so außerordentlich wichtigen Region höher als in unseren Breiten, so Crewell. Dadurch nimmt nicht nur die Eisfläche kontinuierlich ab, auch ihre Dicke und der Anteil an mehrjährigem Eis. Was genau passiert dort, und welchen Anteil haben Wasserdampf und Wolken an der außergewöhnlich hohen Erwärmung?
Vom Satelliten aus konnten die arktischen Wolken und der Wasserdampf bisher nicht genügend genau gemessen werden, gerade in der Polarnacht nicht. „Mit dem Messgerät vom Schiff aus erhalten wir detaillierte Informationen, mit denen wir auch die Satellitenbeobachtungen verbessern können“, so die Meteorologin. „Diese Daten aus der Wolkenforschung werden unsere Klimaprojektionen
genauer machen. Die Ausdehnung des Meereises im Herbst hat sich innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten nahezu halbiert – und dies ist mehr, als Klimamodelle vorhersagen. Unser großes Ziel ist es, bessere Prognosen zu erstellen, mehr Sicherheit in die Klimamodelle zu bekommen. Und das kann uns nur gelingen, wenn wir die Arktis und ihre speziellen Wolken besser verstehen lernen.“
Im März werden die Kölner Forscher dann übrigens doch noch Richtung „Polarstern“aufbrechen – und zwar mit dem Flugzeug: „Wir sind mit unserer Arbeitsgruppe sehr viel auf Spitzbergen“, sagt Susanne
Crewell, die eine große Begeisterung für die Polarregion hegt. „Wir werden dann von Spitzbergen aus über Grönland zur ,Polarstern’ fliegen und die Wolken dann auch nochmal vom Flugzeug aus untersuchen.“Dazu wird ein Polarflieger mit Fernerkundungsinstrumenten ausgestattet und zwischen Spitzbergen und der „Polarstern“fliegen und die Veränderungen der Wolken untersuchen.
Die Mosaic-Expedition musste übrigens dieser Tage einen kleinen Rückschlag hinnehmen, als sich ein Riss in der Eisscholle zeigte. Dies ist deshalb problematisch, weil sich die Forscher längst nicht nur auf dem
Schiff, sondern eben auch auf der Scholle aufhalten und dort mehrere Experimente und Messstationen aufgebaut haben. Susanne Crewell weiß aus eigener Erfahrung, wie es sich auf einer Expedition lebt – in der Antarktis forschte sie zum Ozonloch, in der Arktis schrieb sie ihre Doktorarbeit: „Das Wichtigste ist ein geregelter Tagesablauf – schließlich befindet man sich in der Polarnacht, es ist also 24 Stunden lang dunkel. Und für den Tagesablauf spielt dann auch die Verpflegung eine wichtige Rolle. Die ,Polarstern’ ist natürlich ein großes Schiff und bietet durchaus auch Annehmlichkeiten wie etwa ein Fitnessstudio.“Eine Flotte von Eisbrechern, Helikoptern und Flugzeugen versorgt das Team auf dieser extremen Route.
Eine große Gefahr für die Beteiligten der Expedition sind Eisbären, die immer wieder in die Nähe der Polarstern kommen: „Alle Mitarbeiter meiner Arbeitsgruppe auf Spitzbergen mussten einen Schießkurs absolvieren“, sagt Crewell. Auch an Bord der „Polarstern“werden rund um die Uhr Wachen postiert, um Wissenschaftler, die sich auf dem Eis befinden, vor Eisbären zu warnen.
Im Sommer 2020 soll die Polarstern in der Framstraße zwischen Norwegen und Grönland den Weg aus dem Eis finden.