Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Prinz unter Verdacht
Prinz Andrew, der zweite Sohn der Queen, erlebt einen beispiellosen Absturz. Den Vorwurf, er habe Sex mit Minderjährigen gehabt, weist der 59-Jährige zurück. Doch kaum jemand glaubt ihm noch.
Prinz Andrew verliert in Großbritannien immer mehr an Rückhalt. Er soll Minderjährige missbraucht haben.
Er war Schirmherr von über 230 Institutionen. Doch jetzt gehen immer mehr auf Distanz zu Prinz Andrew. Man werde sich von der Nummer acht der britischen Thronfolge trennen, gab das Royal Philharmonic Orchestra bekannt. Auch ein Sprecher des English National Ballet verkündete den Rücktritt des Prinzen als Schirmherr der nationalen Institution. Und das Finanzunternehmen Barclays erklärte, dass man die Beziehungen mit Andrew „im Lichte der jetzigen Situation“beenden wolle. Kein Zweifel: Der Lieblingssohn der Queen wird zur Unperson im Königreich.
Als Herzog von York und Prinz des Vereinten Königreichs ist die Fallhöhe für Andrew enorm. Seine Verbindung zum verurteilten pädophilen Sexualstraftäter Jeremy Epstein wurde ihm zum Verhängnis. Andrew soll mit einem der Opfer Epsteins Sex gehabt haben, der Prinz bestreitet das entschieden. Bewiesen ist nichts, aber allein schon die anrüchige Assoziation, die Tatsache der Bekanntschaft zwischen einem Royal und einem Kinderschänder lässt viele auf Distanz gehen.
Auslöser für den Absturz war ein ausführliches Fernsehinterview, dass der 59-Jährige im November der BBC gegeben hatte. Damit wollte der Prinz Vorwürfe klären, die aufgrund seiner Verbindung mit Jeffrey Epstein aufgekommen waren. Epstein war ein amerikanischer Millionär, der 2008 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er minderjährige Prostituierte missbraucht und an seine Klienten vermittelt hatte. Vor einem zweiten einschlägigen Prozess hatte sich Epstein im August diesen Jahres in der Untersuchungshaft das Leben genommen.
Das Interview sollte ein Befreiungsschlag für Andrew werden, stattdessen ging der Schuss nach hinten los. Zwar bestritt der Herzog energisch, ein Opfer Epsteins gekannt, geschweige denn Sex mit ihr gehabt zu haben. Virginia Giuffre, geborene Roberts, hatte behauptet, Andrew erstmals in London getroffen zu haben, wovon dieser nichts wissen will. Aber seine Ausführungen waren wenig überzeugend.
Ein Foto, das die beiden zusammen zeigt, wäre wohl eine Fälschung, gab der Prinz zu verstehen. Warum er Epstein nach dessen Verurteilung besucht und vier Tage im New Yorker Stadthaus des Millionärs gewohnt habe, konnte Andrew auch nicht schlüssig beantworten. Zurück blieb nach dem Interview der Eindruck eines stotternden, teilweise arroganten und um Ausflüchte bemühten Royals, der es nicht für nötig hielt, Reue zu zeigen, sich von Epstein zu distanzieren oder zumindest Sympathie für dessen Opfer zu äußern.
Was folgte, war eine gnadenlose Treibjagd in den Medien. Zwar gibt es keine Beweise
für eine Straftat des Prinzen, aber seine Verbindung mit einem verurteilten Kinderschänder ist unappetitlich genug. Zumal fast niemand im Königreich seinen Beteuerungen glaubt: Gerade sechs Prozent der Briten, fand eine Umfrage des Nachrichtensenders Sky News heraus, denken, dass Andrew im Interview die Wahrheit gesagt habe.
Die Sache wurde nur noch schlimmer, als sich Virginia Roberts selbst zu Wort meldete. Die nach ihrer Heirat in Australien lebende 35-Jährige hat schon seit 2011 Vorwürfe gegen Andrew erhoben, aber Anfang Dezember stellte sie sich erstmals einem Interview im renommierten „Panorama“-Programm der BBC. Dort wiederholte sie die Anschuldigungen. Epstein habe sie als Masseuse rekrutiert, sexuell missbraucht und dann Freunden überlassen. Sie sei „wie eine Obstschale weitergereicht worden“. Unter anderem auch an Andrew, mit demdie damals 17-Jährige drei Mal zwischen 2001 und 2002 habe schlafen müssen.
„Ich bitte die Bürger des Vereinigten Königreichs auf meiner Seite zu stehen“, wendete sich Roberts direkt an die Briten. „Das ist nicht irgendeine schäbige Sex-Geschichte. Das ist eine Geschichte über Menschenhandel, eine Geschichte über Missbrauch. Und es ist eine Geschichte über einen eurer Royals.“Was im Panorama-Programm über die britischen Fernsehschirme flimmerte, war ein Kampf um die Glaubwürdigkeit. Und Virginia Roberts machte da einen viel stärkeren Eindruck als zuvor Andrew.
Der hatte fadenscheinige Gründe angeführt, warum nicht wahr sein könne, dass er mit Virginia Roberts in den Nachtklub Tramp gegangen sei und dort, stark schwitzend, getanzt habe. Zum einen hätte er an dem besagten Abend eine Pizza-Party für seine Tochter Beatrice ausgerichtet. Zum anderen hätte er zu dieser Zeit gar nicht stark transpirieren können, weil er bei einem militärischen Einsatz im Falkland-Krieg unter Beschuss gekommen sei und eine Überdosis Adrenalin ausgeschüttet habe. Das habe zu einer Anhidrose, einer fehlenden Schweißabsonderung, geführt, erst später habe er wieder gelernt zu schwitzen. Wenig glaubwürdig waren auch seine Ausführungen, als er auf ein Foto angesprochen wurde, dass Andrew zusammen mit Virginia Roberts in einer Londoner Stadtvilla zeigt. Da liegt sein linker Arm auf der Hüfte von Roberts, die Andrew ebenfalls um die Taille fasst.
Der Prinz will das wegerklären, indem er nahelegt, dass es sich bei der Aufnahme um eine Fälschung handelt. Doch das FBI, das die Vorwürfe gegen Epstein untersucht und die von Virginia Roberts besagtes Foto erhielt, geht von dessen Authentizität aus. Auch unabhängige forensische Experten konnten keine Hinweise auf eine Fälschung entdecken. Roberts antwortete auf das Ausweichmanöver des Prinzen im Panorama-Interview: „Er weiß, was passiert ist. Ich weiß, was passiert ist. Und nur einer von uns sagt die Wahrheit.“
Es half dem Prinzen auch nicht, als sich eine Frau meldete, die den Royal zusammen mit Roberts im Nachtclub Tramp gesehen haben will. Sie setzte sich mit der amerikanischen Anwältin Lisa Bloom in Verbindung, die einige der Opfer Epsteins vertritt. Bloom traf sich mit der Frau in London und sagte hinterher, dass deren Freundin die Geschichte bestätigen würde. „Die Frau war in Tramp zusammen mit einer Freundin, die sagte: ‚Schau, da ist Prinz Andrew‘. Sie sah ihn an und war wie vom Donner gerührt, weil sie noch nie mit einem Royal zusammen in einem Raum war.“
Jetzt hat der Prinz eine denkbar schlechte Presse im Königreich. Alte Geschichten werden wieder hervorgekramt, in denen er nicht gut dasteht. Andrew hat in dieser Hinsicht viel Angriffsfläche zu bieten. Als er noch als Großbritanniens „Sonderbotschafter für Handel und Investitionen“in der Welt herumreiste, führte er den Spitznamen „Airmile-Andy“, weil man immer wieder notieren durfte, dass ihn sein Job in die Nähe von exklusiven Golfplätzen führte, wo er seinem Lieblingssport huldigen konnte.
Auch die dubiosen Bekanntschaften, die er auf seinen Reisen machte, haben den Prinzen in der Vergangenheit schon oft eine schlechte Presse eingebracht. Seine Verbindungen zu Saif al-Islam, dem Sohn des libyschen Dikators Muammar Gaddafi, hätten vielleicht nicht so eng ausfallen sollen: Selbst auf Schloss Windsor wurde der Gaddafi-Sprössling empfangen. Auch dass Prinz Andrew den Tunesier Sakher el-Materi zu einem Business Lunch in den Buckingham Palast einlud, war ein Fehler: Gegen den Schwiegersohn des aus dem Land gejagten tunesischen Präsidenten Ben Ali wurden Vorwürfe der Geldwäsche erhoben.
Andere Connections wirkten ebenfalls anrüchig wie die zu Tarek Kaituni, einem verurteilten Waffenschmuggler, der ihn zu einem viertägigen Urlaub in Tunesien eingeladen hatte. Als schließlich im Jahr 2011 bekannt wurde, dass Andrew seine Verbindungen zu Jeffrey Epstein wieder aufgenommen hatte, wurde es der britischen Regierung zu bunt, und man entzog dem Prinzen seine Rolle als Handels-Sonderbotschafter.
Nach dem jüngsten Mediendesaster musste der Royal erklären, sich von allen öffentlichen Aufgaben zurückziehen zu wollen. Sein älterer Bruder, der Thropnflger Prinz Charles, hatte Andrew nach Schloss Sandringham zitiert, wo er ihm zusammen mit seinem Vater, dem Prinzgemahl Philip, die Leviten las. Eine Rückkehr zu repräsentativen Pflichten sei ausgeschlossen, wurde ihm klargemacht.
Charles wird der Skandal um seinen Bruder nicht ganz ungelegen kommen. Der Thronfolger hat schon seit langem Pläne, das Königshaus zu verschlanken. Nur noch die Monarchin und die allernächsten Thronanwärter, also er selbst und Prinz William, sowie sein jüngster Sohn Prinz Harry sollen als zentrale Repräsentanten auftreten.
Als Charles während des diamantenen Thronjubiläums der Queen seinen Bruder vom traditionellen Balkonauftritt am Buckingham Palast verbannte, gab es einen geharnischten Protest von Andrew. Er fürchtet auch um die Rolle seiner beiden Töchter Beatrice und Eugenie. Doch jetzt wird er gegen die Reduzierung nicht mehr viel Widerstand leisten können.
Immerhin hält die Queen noch zu ihm. Demonstrativ ritt sie zusammen mit Andrew auf dem Schlossgelände von Windsor aus: Das Foto sollte den Untertanen zeigen, dass ihr Lieblingssohn trotz allem noch zur Familie gehört. Von öffentlichen Aufgaben ist er zwar entbunden, aber wenn es um Familienauftritte geht, wird er nicht verschwinden, stellte ein Sprecher des Buckingham Palastes klar: Wenn die Queen am ersten Weihnachtstag zur Kirche geht, wird Andrew an ihrer Seite sein.