Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Ab aufs Eis!
In der Gegend um Luleå in SchwedischLappland frieren im Winter die Flüsse und die Ostsee so dick zu, dass es viele Aktivitäten auf dem Eis gibt.
Die Kettensägen kommen nicht zum Einsatz. Das Eis um den Eisbrecher ist heute nicht so dick, dass er freigesägt werden muss. Der vollbärtige Kapitän Lars Wikander, der Porsche fährt und ein Holzbein hat, kann das Boot mit dem bauchigen Bug daher auf dem Piteå-Fluss problemlos in Bewegung setzen. Wikander fährt auf dieser Tour raus ins Piteå-Archipel, bei dem im Winter die 550 meist unbewohnten Inseln umgeben sind von Eis. Hier, weit oben im schwedischen Norden und nicht weit vom Polarkreis, ist der Süßwasseranteil im Bottnischen Meerbusen durch die zulaufenden Flüsse schließlich so hoch, dass das Wasser bei Minusgraden verlässlich dick zufriert. In der Saison zwischen Dezember und April können es die Gäste auf dem Eisbrecher daher hören: das Knirschen. Das Knacken. Das laute Krachen, wenn die starken Kräfte kollidieren und danach die Stücke in groben Brocken schaukelnd durchs Eis treiben.
Von Bord aus ist es faszinierend zu beobachten, wie der Eisbrecher scheinbar mühelos eine Schneise der Verwüstung in die makellose Oberfläche der Eiswüste bricht und die Schollen unterschiedlichster Größe wie die Teile eines einst intakten Puzzles durcheinanderwirbelt. „Einen Eisbrecher zu fahren, ist anders als ein normales Schiff“, sagt der erfahrene Kapitän. „Das Eis muss man lesen.“Wenn es sich beispielsweise durch den Wind meterhoch aufgetürmt hat, sollte es besser umfahren werden. Heute hat es durchschnittlich einen Meter
Dicke, und der Eisbrecher frisst sich seinen Weg mit einer Geschwindigkeit von vier bis neun Knoten problemlos hindurch.
So wie beim Eisbrecher-Ausflug finden entlang der Küste auf dem zugefrorenen Meerbusen viele Winteraktivitäten auf dem Eis statt. In der Regel bleibt es dabei allerdings intakt – auch wenn das beim Luftkissenboot eigentlich keine Rolle spielen würde. „So ein Hoovercraft gleitet auf Eis, aber schwimmt auch auf Wasser“, erklärt Adam Björklund, der 23-jährige Fahrer, der aus der Gegend stammt. Deswegen kann man damit überall hinfahren, ohne auf Schneisen oder Wege auf dem Eis zu achten. Die Möglichkeiten, durch das Archipel zu brummen, sind entsprechend uferlos. Ziel soll heute Hindersön sein, schlägt Adam vor – eine Insel, etwa zehn Kilometer entfernt. Letztlich entpuppt sich das Vorhaben allerdings als zweitranging, denn der Weg ist das Ziel und das kleine Luftkissenboot selbst die größte Attraktion. Souverän sitzt der junge Schwede hinter dem Steuer, lässt das 700 Kilo schwere Gefährt mit weichen Bewegungen herumschnurren, bremst mit 180-Grad-Drehs und fährt hin und wieder schwungvoll Kurven. Vor den großen Fenstern zieht derweil das winterliche Archipel vorbei. Oben ist es weiß durch den Wolkenhimmel, unten weiß durch den Schnee: Dazwischen ziehen sich die Inseln in der Weite wie ein schmaler, schwarzer Strich durch das Blickfeld.
Erst wenn er näher heranfährt, sind die einzelnen Inseln deutlicher zu erkennen, die teils ungewöhnliche Namen haben. Schwarzpulver-Insel etwa. Oder Kartenspiel-Insel, die so heißt, weil ein früherer Besitzer sie angeblich beim Kartenspiel verloren hat. Schließlich macht Adam noch einen Abstecher zur Eisstraße, die im Winter durch das Archipel bis zum Festland in der Nähe von Luleå führt. Wo im Sommer nur Boote und Fähren schippern können, fahren die Einheimischen nun bei Minusgraden mit ihren Autos über das zugefrorene Wasser. „Für die Eisstraße muss das Eis mindestens 60 Zentimeter dick sein“, sagt Björklund.
Auch in Luleå werden Wege und Straßen auf dem Eis hergerichtet – auf denen die meisten Einheimischen auf Kufen unterwegs sind. Mit Guide Eric ist daher geplant, auf Schlittschuhen
die Stadt zu umfahren. Am Südhafen vor dem alten Industrie-Kran, einem Wahrzeichen der Stadt mit 77.000 Einwohnern, werden sie untergeschnallt – und los geht’s: mit Blick über einen Teil des Archipels, wo der Luleå-Fluss auf den nördlichsten Teil der Ostsee trifft und erneut zahlreiche Inseln liegen, diesmal sogar weit über 1000. Die Herausforderungen beim Schlittschuhlaufen auf natürlichem Eis sind dabei andere als auf künstlichem Eis. Die Oberflächen werden zwar etwas ausgeglichen und die Wege jeden Tag gereinigt. Risse und Huppel, die die Oberfläche unebener machen, gibt es trotzdem immer. „Der Unterschied ist ungefähr so, als ob man in einem Pool oder einem See schwimmt – im See lassen sich die Wellen nicht kontrollieren, man kann den Grund nicht sehen und es ist eben nicht so perfekt wie in einem Schwimmbecken.“
Entsprechend sind nicht nur die Kufen der Schlittschuhe anders, sondern auch das Schlittschuhlaufen selbst, wodurch man selbst als erfahrener Läufer zunächst schon mal etwas wackelig unterwegs sein kann. Gerade zum Anfang helfen die beiden Stöcke. Man gewöhnt sich aber auch an das Natureis und groovt sich langsam ein. Hat man schließlich genug Sicherheit und Selbstbewusstsein, sich dabei auch umzuschauen, sieht man Luleå im großen Winterweiß als Kulisse im Hintergrund.
Anders als bei der Schlittschuhtour in Luleå, bei der die (unfreiwillige) Schwimmeinlage erwartungsgemäß ausblieb, gibt es auf der Eisbrecher-Tour einen Badestopp. Gegen die Minusgrade draußen wird jeder kurzerhand in einen grellorangenen Trockenanzug gezwängt, in dem sich die Badewilligen unbeholfen nach draußen bewegen. Teletubby-tapsig werden erst ein paar Fotos vorm Bug gemacht. Dann wird es ernst: Einer nach dem anderen gleitet ins Wasser und erlebt dabei einen irritierenden Kontrast: So kalt es auch im Eiswasser ist – davon ist durch die Anzüge nichts zu spüren. Während aus den Lautsprechern jazzige Musik wabert, treibt man angenehm temperiert im drei Grad kalten Dunkelblau, hilflos wie ein Baby, das sich noch nicht allein auf die Seite drehen kann. Am einfachsten ist es auf dem Rücken. Mit etwas Mühe ist es aber auch möglich, sich auf den Bauch umzudrehen. Oder mit etwas Einsatz sogar aufs Eis zu robben und wie ein Seelöwe zu posieren.