Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Eine Luftwaffenbasis als Druckmittel
Die USA drohen mit Sanktionen, weil die Türkei russische Raketen gekauft hat. Nun erwägt Präsident Erdogan, den Stützpunkt Incirlik zu schließen. Eine riskante Strategie.
ANKARA Um Wirtschaftssanktionen der USA abzuwehren, hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Washington damit gedroht, den Nato-Luftwaffenstützpunkt Incirlik nahe Adana am Mittelmeer und die Radarstation Kücelik in der zentralanatolischen Provinz Malatya „falls erforderlich“zu schließen. „Für beide Seiten ist es wichtig, dass die USA keine Schritte unternehmen, die irreparabel für unsere Beziehungen sind“, sagte er dem türkischen TV-Sender A Haber.
Erdogan reagierte damit auf die harte Haltung des US-Kongresses im Streit um den Kauf russischer S-400-Flugabwehrsysteme durch die Türkei. Beide Kammern des US-Parlaments haben für ökonomische Strafmaßnahmen votiert, sollte Ankara nicht auf die Raketen verzichten. Die Verabschiedung eines entsprechenden US-Strafgesetzes rückt immer näher und verschärft die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen den Nato-Partnern.
Die Türkei hatte den S-400Kauf kurz nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 abgeschlossen. Im Juli wurden die ersten Abschuss- und Radaranlagen geliefert und von russischen Technikern auf einem Militärflughafen nahe Ankara installiert. Im November testete die türkische Armee die Neuerwerbung erstmals in einer Übung, bei der türkische Nato-Kampfjets einen Angriff auf die Hauptstadt simulierten. Beobachter schlossen aus dem Schauplatz, dass Erdogan das russische Abwehrsystem vor allem zum Schutz seines Palastes angeschafft habe und damit ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Nato ausdrücke, der er mehrfach eine Mittäterschaft am Putsch unterstellt hat.
Die US-Regierung befürchtet vor allem, dass Russland über das hochentwickelte Radar des Waffensystems an sensible Daten über den US-Tarnkappenjet F-35 gelangen könnte. Die Türkei lieferte bis vor Kurzem Bauteile, wollte zahlreiche Exemplare kaufen und hat bereits rund anderthalb Milliarden US-Dollar dafür bezahlt. Wegen des Rüstungsdeals mit Moskau schloss Washington Ankara im Juli jedoch aus dem F-35-Programm aus.
Die türkische Regierung setzte bis zuletzt darauf, dass Trump sich gegen den Kongress durchsetzen könne – eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat. Politiker beider Kongressparteien halten an Strafmaßnahmen fest, falls Ankara die russischen Waffen nicht aufgibt. Im Gespräch sind Sanktionen gegen türkische Rüstungs- und Energieunternehmen sowie gegen Spitzenpolitiker. Wie ernst es der Kongress meint, signalisierte am vergangenen Donnerstag auch der von den Republikanern beherrschte Senat, als er die Massaker des Osmanischen Reiches an den Armeniern im Ersten Weltkrieg wie zuvor das Repräsentantenhaus als Völkermord einstufte. Die Türkei protestierte scharf.
Die Kongress-Resolutionen sind zwar rechtlich bisher nicht bindend, belasten aber die Beziehungen. Ankara
hat Washington bei vergangenen Streitfällen bereits häufiger mit der Schließung von Incirlik gedroht und den bedeutenden Stützpunkt 1975 nach einem US-Waffenembargo wegen der türkischen Besetzung Nordzyperns schon einmal drei Jahre für die USA gesperrt.
Zwar könnte sich Erdogan der Zustimmung der mehrheitlich US-kritischen Bevölkerung sicher sein, doch würde eine erneute Sperrung der Türkei ökonomisch und militärstrategisch schwer schaden. Der Betrieb Incirliks ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Region. Eine Schließung wäre ein beispielloser Affront gegen die USA und würde die strategischen Gewichte im Nahen Osten verschieben, da die USA dann auf einen anderen Standort etwa in der nordirakischen Region Kurdistan ausweichen würden – wie bereits bei der Operation gegen ISChef Bagdadi im Oktober.
Die deutsche Bundeswehr hatte sich nach einem massiven Streit mit der Türkei nach der Anerkennung des Völkermords an den Armeniern durch den Bundestag bereits 2017 aus der Basis zurückgezogen.