Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Natur gegen Arthrose Gelenknorpel sind weitaus regenerationsfähiger, als die Forscher bisher angenommen haben.
Aktuelle Studien zeigen: Auch kaputte Gelenkknorpel können wieder in Form kommen. Eigenblut, Weihrauch und Sport können dabei entscheidend helfen.
„Was weg ist, ist weg.“Hartnäckig hält sich in der Medizin der über 250 Jahre alte Satz des schottischen Anatomen William Hunter, wonach der Gelenkknorpel bei Abnutzung schlichtweg nicht mehr zu alter Form zurückfindet. Doch laut aktuellen Studien verfügt er sehr wohl über Regenerationspotential. Weswegen ihm auch Heilpflanzen, Eigenblut und Sport etwas Gutes tun können.
Das Leben kann einfach sein: Bei Salamandern, Meereswürmern und afrikanischen Stachelmäusen wachsen Organe im Falle ihres Verschwindens einfach nach. Doch kann der Mensch das auch? Wissenschaftler aus Schweden und den USA haben nun ermittelt: Er kann. Und zwar ausgerechnet bei einem Organ, das bislang im Falle eines Schadens als irreparabel galt: Im Knorpel unserer Gelenke. Dort fand nämlich das Forscherteam um Virginia Kraus von der Duke University in North Carolina genau jene Micro-RNA, die man 2016 beim Axolotl entdeckt hatte, als er gerade eine verloren gegangene Extremität nachwachsen ließ.
Die höchsten Werte fand man in den Fußgelenken, während in den Knie- und erst recht in den Hüftgelenken nur relativ wenig Reparatur-RNA nachweisbar war. Und diese Unterschiede haben offenbar einen großen Einfluss auf den Zustand des Knorpels. Denn der offenbarte sich in der Strukturanalyse als besonders alt und spröde in der Hüfte, während er im Fußknöchel geradezu glatt und jugendlich wirkte. „Dies passt zu der klinischen Beobachtung, dass Schäden am Knieund speziell am Hüftgelenk deutlich langsamer abheilen und öfter in einer entzündlichen Arthritis ausmünden“, erläutert Kraus.
Die Rheumatologin will nun untersuchen, inwieweit man die Micro-RNA einem Gelenk injizieren und dadurch dessen Knorpelregeneration anregen kann. Doch es dürfte noch einige Jahre dauern, bis dazu brauchbare Studienergebnisse vorliegen. Was jetzt schon da ist: die Erkenntnis, dass der Knorpel regenerationsfähiger ist, als man bisher annahm, und man möglicherweise länger mit der aufwändigen Installation eines künstlichen Gelenks warten kann, als es derzeit üblich ist – allein in Deutschland werden jährlich rund 200.000 künstliche Hüftgelenke gesetzt.
Für die Regenerationsfähigkeit sprechen auch Studien der letzten Zeit, in denen sich alternative Methoden als Hilfe gegen den Knorpelschwund anbieten. So hat jetzt ein Forscherteam der Tshwane University of Technology gleich ein ganzes Arsenal von Heilpflanzen dazu vorgestellt. Wie etwa Gu Sui Bu, ein Heilkraut der Traditionellen Chinesischen Medizin. Seine Wurzeln enthalten den Bitterstoff Naringin, der einerseits die Entzündungsvorgänge im Gelenk dämpfen kann, andererseits aber auch die knorpelbildenden Chondrozyten stimuliert. Im Labor konnte man damit inzwischen die Arthrose von Mäusen stoppen.
Aber auch europäische Heilpflanzen werden von den südafrikanischen Forschern gewürdigt. Wie etwa der Fenchelsamen, dessen östrogenähnliche Inhaltsstoffe die Knochenstruktur unterhalb des Gelenkknorpels stabilisieren, der dadurch die auf ihn wirkenden Kräfte besser weiterleiten kann. Ob es dazu allerdings reicht, den Samen als Tee aufzubrühen – ein Esslöffel pro 200-Milliliter-Teetasse, zehn Minuten abgedeckt ziehen lassen –, ist fraglich. Doch ein entsprechender Selbstversuch für drei bis vier Wochen schadet ja auch nicht.
Dass Weihrauch hingegen bei rheumatischen Erkrankungen helfen kann, ist schon länger bekannt.
Sein entzündungshemmender Effekt bei Arthritis gilt mittlerweile als wissenschaftlich solide belegt, und das müsste auch zum Erhalt des Knorpels beitragen, insofern ja Entzündungen geradezu an ihm nagen. Forscher aus Indien und den USA verabreichten kürzlich 48 Patienten mit Knie-Arthritis vier Monate lang ein Weihrauch-Extrakt oder aber ein wirkstofffreies Placebo. Auf den Röntgenbildern der Heilpflanzengruppe zeigte sich daraufhin ein deutlich vergrößerter Spalt im Kniegelenk, ihr durchsichtiger Gelenkknorpel hatte also zugelegt. Im Unterschied zur Placebo-Gruppe, wo die Gelenkflächen so eng zusammengerückt waren, dass sie kaum noch Bewegung zuließen.
Aktueller Shooting-Star unter den pflanzlichen Arthrose-Mitteln ist jedoch die Hagebutte. Ihre Fettverbindungen legen sich wie ein entzündungshemmender Schutzfilm über den Gelenkknorpel. Doch sie sind auch ziemlich instabil, werden beispielsweise im heißen Teeaufguss komplett zerstört. Wer also seinem Knorpelverschleiß beikommen will, muss die Hagebutte als Extrakt einnehmen und dann auch noch wissen, welchem der vielen Produkte er vertrauen kann, die mittlerweile in Apotheken, Drogerien und Internet angeboten werden.
Zu den großen Anti-Arthrose-Trends unter Ärzten gehört ohnehin die PRP-Therapie. Sie wird allein in München in über 50 Praxen angeboten, in anderen Großstädten boomt sie ebenfalls. Man kann sie im weiteren Sinne als Eigenblutbehandlung bezeichnen, nur dass dem Patienten nicht sein
Wer also seinem Knorpelverschleiß beikommen will, muss die Hagebutte als Extrakt einnehmen
komplettes Blut, sondern nur das gelbe, plättchenreiche Plasma – eben PRP – ins schmerzende Gelenk gespritzt wird. Die darin konzentrierten Thrombozyten sollen Entzündungen hemmen und die Umwandlung von Stammzellen in Chondrozyten unterstützen.
Die Frankfurter Orthopäden Jens Herresthal und Bianca Roskam haben die klinischen Daten zu PRP geprüft – und sind dabei zu einem insgesamt positiven Fazit gekommen. Am besten sei allerdings das therapeutische Ergebnis „bei Patienten unter 50 Jahren sowie bei geringer ausgeprägten Knorpelschäden“. Außerdem bemängeln die Mediziner, dass bislang noch zu wenig über die Nebenwirkungen bekannt sei.
Was sie nicht erwähnen, aber den Patienten sicherlich interessieren dürfte: Jede Spritze kostet bis zu 250 Euro, und in der Regel braucht es zwei oder drei davon. Und es gibt kritische Stimmen, die das Wirkprinzip der PRP-Therapie in erster Linie darin sehen, dass sie mit Blutentnahme, Abtrennung des Plasmas in der Zentrifuge und abschließender Injektion ins Gelenk aufwändig genug ist, um beim Patienten einen starken Placebo-Effekt auszulösen.
Bliebe als weitere Alternative, die Gelenke mit regelmäßigem Sport zu unterstützen. Denn er stärkt die stabilisierenden Muskeln und reduziert die Last des Körpergewichts. Vorausgesetzt, man meidet exzessives Training und Kontaktsportarten wie Fußball. Ein portugiesisches Forscherteam hat jüngst die wissenschaftlichen Daten zu sämtlichen nicht-operativen und nicht-medikamentösen Behandlungen von Kniearthrose abgeklopft. Darunter waren solche weithin bekannte Methoden wie beispielsweise Akupunktur, Moorpackungen, Ultraschall und die bunten Kinesio-Tapes. Doch nur körperliches Training zeigte eine wirklich zuverlässige Wirkung.
Wer also will, dass ihn seine Gelenke weniger plagen, sollte das machen, wofür sie geschaffen sind: nämlich vor allem sie so gut wie möglich bewegen.