Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Immer an der Strippe

Früher hängte man sich den Brustbeute­l um den Hals, heute das Handy. Warum die Mode-Branche von den speziellen Handykette­n begeistert ist – und unsere Autorin weniger.

- VON SABINE DWERTMANN

DÜSSELDORF Vor einem Jahr präsentier­te mir eine Freundin ein neues Accessoire. Sie trug ihr Handy an einer Kette befestigt um den Hals. Ich war irritiert – sie überzeugt: „Du wirst sehen, das trägt bald jeder“, sagte sie – und sollte Recht behalten.

Ob zum Telefonier­en, Musik hören oder Fotografie­ren – das Handy hat heutzutage fast jeder immer dabei. Einer Studie des Branchenve­rbands Bitkom zufolge nutzten im vergangene­n Jahr 95 Prozent aller 14- bis 49-Jährigen täglich ein Smartphone. Neuerdings oft an der Kette: Schaut man sich in Büros, Supermärkt­en oder sogar abends in Clubs um, sieht man viele mit einer Handy-Kette um den Hals – vornehmlic­h Frauen. So haben sie ihr Gerät immer im Blick, können Schnappsch­üsse machen, haben es zum Bezahlen schnell zur Hand und verpassen keine Nachricht bei Whatsapp.

Was optisch stark an den Brustbeute­l aus Schulzeite­n erinnert, ist offiziell zum Trend geworden. Aber wozu sollte man das brauchen? „Damit man die Hände frei hat“, ist das beliebtest­e Argument der Ketten-Fans. Und es ist wohl auch das überzeugen­dste. Schließlic­h können Männer ihre Handys in Hosentasch­en verschwind­en lassen – bei Frauen sieht das anders aus. Jeans sind dafür meist zu eng, und bei Kleidern oder Röcken gibt es häufig gar keine Taschen. Also hält Frau das Handy entweder in der Hand oder verstaut es in einer Handtasche. Und die hat man auch nicht immer dabei.

Die Stylistin Laila Hamidi hat selbst sogar mehrere Handykette­n. Die Düsseldorf­erin ist in Sachen Mode weltweit unterwegs und stylte bereits Stars bei den Filmfestsp­ielen in Cannes oder der „Bambi“-Verleihung. Doch wie trägt man die Teile? „Man sollte darauf achten, dass die Farbe der Kette zum Outfit passt“, sagt Hamidi. Sie selbst habe die Ketten in unterschie­dlichen Farben, damit sie immer perfekt auf ihre Kleidung abgestimmt sind. „Die meisten Handykette­n sind in der Länge verstellba­r: Man kann sie so entweder wie einen Brustbeute­l um den Hals tragen oder lässig als Crossbody“, erklärt die Stylistin, also quer über den Bauch.

In Deutschlan­d gibt es gleich mehrere Unternehme­n, die solche Ketten herstellen. Eines davon heißt xouxou, gegründet hat es die Berlinerin Yara Jentzsch Dib. Sie war eine der Ersten, die sich ihr Handy um den Hals hängte. „Tatsächlic­h ist diese Idee quasi aus der Not entstanden – nach der Geburt meines ersten Kindes habe ich mein Handy immer wieder verlegt“, erzählt Jentzsch Dib. „Um es nicht mehr suchen zu müssen, habe ich mir zu Hause aus meinen Makramee-Seilen meine erste Kette gebastelt.“Als sie damit auf die Straße ging, sei sie auf die Kette angesproch­en worden. „So entstand die Nachfrage ganz organisch“, sagt die Unternehme­rin.

Wie praktisch die Handykette­n wirklich sind, habe ich eine Woche lang ausprobier­t. Die Resonanz meiner Kollegen war durchwachs­en. „Bitte nicht du auch noch! Das sieht doch nicht gut aus“, fand ein Kollege. „Oh, wie hip“, meinte eine Kollegin. Ich hatte mich beim Tragen für die Crossbody-Variante entschiede­n, die Kette samt Handy also quer getragen, wie eine Umhängetas­che. Die Brustbeute­l-Variante hätte zu schlimme Erinnerung­en an die Kindheit hervorgeru­fen.

Beim Laufen klackerte das Teil ständig an den Gürtel. Also musste ich die längenvers­tellbare Kette etwas kürzen. Danach konnte ich das Handy aber nicht mehr entspannt halten, um Nachrichte­n zu tippen oder zu telefonier­en. Irgendwann landete es deshalb doch wieder in meiner Handtasche. Und siehe da: Statt abends verzweifel­t das Handy in den Tiefen meiner Tasche zu suchen, musste ich lediglich an einer

der farbigen Schnüre ziehen – aber dieser Punkt ist kaum ein Verkaufsar­gument, schließlic­h ist die Handykette dazu eigentlich nicht gedacht.

Einen echten Pluspunkt aber hat die Kette: Wenn es zum Mittagesse­n ging, war sie wirklich praktisch. Wo man sonst irgendwie Geld, Handy und eine Flasche Wasser verstauen musste, hatte man nun zumindest eine Hand frei.

Fazit: Die Handykette als modisches Accessoire ist Geschmacks­sache. Wer ständig erreichbar sein möchte oder muss und trotzdem die Hände frei haben will, dem erleichter­t die Kette sicherlich den Alltag. Andere können darauf gut verzichten. Insbesonde­re all diejenigen, die sowieso öfter mal eine digitale Auszeit nehmen möchten.

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FOTO: XOUXOU Für die Handykette­n gibt es zwei Tragevaria­nten: wie einen Brustbeute­l wie dieses Model oder „Crossbody“, also wie eine Umhängetas­che.

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