Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Regierung hält an Bonpflicht fest
Minister Altmaier will die Vorgaben stoppen, nach denen ab Januar für jeden Brötchen-Kauf ein Bon fällig wird. Doch Merkels Sprecher und das Finanzministerium winken ab, sie wollen so gegen Steuerbetrug vorgehen.
BERLIN Nur mal schnell ein Eis auf die Hand? Gerne, Kassenbon kommt sofort. Oder nur ein einzelnes Brötchen? Gerne, Kassenbon kommt sofort. Die Vorstellung von einem Berg von ausgedruckten Kaufbelegen für kleine und kleinste Spontankäufe schreckt nicht nur Geschäftsleute und Kunden. Die zum 1. Januar 2020 in Kraft tretende Bonpflicht ruft auch Umweltschützer und Gesundheitsexperten auf den Plan.
In einer kurzfristigen Intervention beim zuständigen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zum Stopp der Bonpflicht berief sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf Berechnungen der Handelskette Rewe, wonach die Gesetzesnovelle allein bei ihren Läden den Bedarf an 140.000 Kilometern zusätzliche Kassenbons auslösen werde. Das Kölner EHI-Institut des deutschen Handels rechnet insgesamt mit zwei
Millionen Kilometern mehr Kassenzettelpapier - für das umgerechnet pro Stunde eine Fichte gefällt werden müsse. Damit nicht genug. Die meisten Kassenbons werden auf besonders problematischem Thermo-Papier gedruckt, das nicht im Papiermüll entsorgt werden darf. Verarbeitet ist darin der tückische Stoff Bisphenol A, der wegen seiner potenziell organschädigenden Wirkungen in Kinderspielzeug verboten ist. Deshalb ist aus gesundheitlichen Gründen unbedingt zu vermeiden, ihn in die Nähe von Lebensmitteln zu bringen, ihn anzufassen und danach mit derselben Hand Lebensmittel zu verzehren. Also genau das, was der Gesetzgeber nun erreicht, wenn der Kunde zu jedem Brötchen und zu jedem Eis auch einen Kassenbon in die Hand bekommen soll.
Das Scholz-Ministerium weist darauf hin, dass Handel und Politik drei Jahre Zeit gehabt hätten, ihre Kassen und sich selbst auf die neue Bonpflicht einzustellen, da das Gesetz bereits 2016 beschlossen worden sei. Das Altmaier-Ministerium widerspricht. Man habe sich auf die im Gesetz enthaltene Bestimmung verlassen, wonach es Ausnahmemöglichkeiten gebe und etwa die Pflicht zur Einzelaufzeichnung „aus Zumutbarkeitsgründen“nicht bestehe, wenn Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung verkauft würden. Doch der erst in diesem Sommer vom Finanzministerium herausgegebene „Anwendungserlass“gehe rigoros mit Ausnahmen um. Unterm Strich müssen nun alle alles registrieren und quittieren und drucken. Dem Kunden stehe es lediglich frei, den Bon mitzunehmen oder direkt zu entsorgen. Doch Altmaier steht auf verlorenem Posten. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Dieses Gesetz hat seine Berechtigung.“
Gerne verweist das Finanzministerium
darauf, dass auf Papier vollständig verzichtet werden könne, weil der Beleg online zugestellt werden könne. Doch wie realistisch ist, dass der Eiskäufer dem Verkäufer seine Mail-Adresse gibt, um sich den Beleg für den Kauf einer Kugel Eis zuschicken zu lassen? So läuft denn vor allem die FDP Sturm. Die Bonpflicht sei ein „Misstrauensvotum gegen den Mittelstand“, wettert FDP-Chef Christian Lindner. Auch Altmaier will „weiter kämpfen.“Es müsse kein Gesetz umständlich verändert werden, sondern nur ein Passus in den Anwendungsvorgaben. Dagegen hält Grünen-Wirtschaftsexperte Danyal Bayaz. Altmaiers Vorpreschen wenige Tage vor dem Inkrafttreten sei ein „reines Ablenkungsmanöver“. Kern des Gesetzes sei die Zertifizierung betrugssicherer Ladenkassen. „Der Anwendungserlass bleibt wie er ist“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider.