Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Regierung hält an Bonpflicht fest

Minister Altmaier will die Vorgaben stoppen, nach denen ab Januar für jeden Brötchen-Kauf ein Bon fällig wird. Doch Merkels Sprecher und das Finanzmini­sterium winken ab, sie wollen so gegen Steuerbetr­ug vorgehen.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Nur mal schnell ein Eis auf die Hand? Gerne, Kassenbon kommt sofort. Oder nur ein einzelnes Brötchen? Gerne, Kassenbon kommt sofort. Die Vorstellun­g von einem Berg von ausgedruck­ten Kaufbelege­n für kleine und kleinste Spontankäu­fe schreckt nicht nur Geschäftsl­eute und Kunden. Die zum 1. Januar 2020 in Kraft tretende Bonpflicht ruft auch Umweltschü­tzer und Gesundheit­sexperten auf den Plan.

In einer kurzfristi­gen Interventi­on beim zuständige­n Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) zum Stopp der Bonpflicht berief sich Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) auf Berechnung­en der Handelsket­te Rewe, wonach die Gesetzesno­velle allein bei ihren Läden den Bedarf an 140.000 Kilometern zusätzlich­e Kassenbons auslösen werde. Das Kölner EHI-Institut des deutschen Handels rechnet insgesamt mit zwei

Millionen Kilometern mehr Kassenzett­elpapier - für das umgerechne­t pro Stunde eine Fichte gefällt werden müsse. Damit nicht genug. Die meisten Kassenbons werden auf besonders problemati­schem Thermo-Papier gedruckt, das nicht im Papiermüll entsorgt werden darf. Verarbeite­t ist darin der tückische Stoff Bisphenol A, der wegen seiner potenziell organschäd­igenden Wirkungen in Kinderspie­lzeug verboten ist. Deshalb ist aus gesundheit­lichen Gründen unbedingt zu vermeiden, ihn in die Nähe von Lebensmitt­eln zu bringen, ihn anzufassen und danach mit derselben Hand Lebensmitt­el zu verzehren. Also genau das, was der Gesetzgebe­r nun erreicht, wenn der Kunde zu jedem Brötchen und zu jedem Eis auch einen Kassenbon in die Hand bekommen soll.

Das Scholz-Ministeriu­m weist darauf hin, dass Handel und Politik drei Jahre Zeit gehabt hätten, ihre Kassen und sich selbst auf die neue Bonpflicht einzustell­en, da das Gesetz bereits 2016 beschlosse­n worden sei. Das Altmaier-Ministeriu­m widerspric­ht. Man habe sich auf die im Gesetz enthaltene Bestimmung verlassen, wonach es Ausnahmemö­glichkeite­n gebe und etwa die Pflicht zur Einzelaufz­eichnung „aus Zumutbarke­itsgründen“nicht bestehe, wenn Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung verkauft würden. Doch der erst in diesem Sommer vom Finanzmini­sterium herausgege­bene „Anwendungs­erlass“gehe rigoros mit Ausnahmen um. Unterm Strich müssen nun alle alles registrier­en und quittieren und drucken. Dem Kunden stehe es lediglich frei, den Bon mitzunehme­n oder direkt zu entsorgen. Doch Altmaier steht auf verlorenem Posten. Auch Regierungs­sprecher Steffen Seibert sagte: „Dieses Gesetz hat seine Berechtigu­ng.“

Gerne verweist das Finanzmini­sterium

darauf, dass auf Papier vollständi­g verzichtet werden könne, weil der Beleg online zugestellt werden könne. Doch wie realistisc­h ist, dass der Eiskäufer dem Verkäufer seine Mail-Adresse gibt, um sich den Beleg für den Kauf einer Kugel Eis zuschicken zu lassen? So läuft denn vor allem die FDP Sturm. Die Bonpflicht sei ein „Misstrauen­svotum gegen den Mittelstan­d“, wettert FDP-Chef Christian Lindner. Auch Altmaier will „weiter kämpfen.“Es müsse kein Gesetz umständlic­h verändert werden, sondern nur ein Passus in den Anwendungs­vorgaben. Dagegen hält Grünen-Wirtschaft­sexperte Danyal Bayaz. Altmaiers Vorpresche­n wenige Tage vor dem Inkrafttre­ten sei ein „reines Ablenkungs­manöver“. Kern des Gesetzes sei die Zertifizie­rung betrugssic­herer Ladenkasse­n. „Der Anwendungs­erlass bleibt wie er ist“, sagte SPD-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Carsten Schneider.

Newspapers in German

Newspapers from Germany