Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Morgen kommt der Amazon-Mann

Im Weihnachts­geschäft explodiert beim Online-Händler die Zahl der Bestellung­en. Den Kunden verspricht man Lieferunge­n bis Heiligaben­d. Doch was bedeutet das für diejenigen, die all die Pakete packen und ausliefern müssen?

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF 53 Mal hatte der Mann an diesem Tag schon an Haustüren geklingelt, hatte Päckchen überreicht oder vergeblich gewartet. Ein namenloses Gesicht, eines von so vielen, dass in diesen Tagen mit Kleinlaste­rn durch die Straßen hetzt; im Wettkampf gegen die Flut an Paketen, die gar nicht enden will in diesen Tagen. Denn bevor bei vielen Menschen Christkind oder Weihnachts­mann kommen, kommen erstmal die Amazon-Boten.

Beim 54. Stopp öffnete Christoph Reichwein in Duisburg die Tür und bietet dem 23-Jährigen einen Kaffee an. Die beiden kommen ins Gespräch – und wenig später schreibt Reichwein, der auch im Auftrag der Rheinische­n Post tätig ist, seine Eindrücke nach der Begegnung beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter auf. „Insgesamt hat er heute beinahe 200 Pakete, die er vermutlich bis 23 Uhr ausliefern wird“, schreibt Reichwein: „Man zahlt ihm zehn Euro die Stunde dafür, dass er in der Vorweihnac­htszeit jeden Tag mehr als zwölf Stunden auf Achse ist.“

Das Weihnachts­geschäft bringt neue Rekorde für den Online-Handel. 19 Millionen Pakete werden an Spitzentag­en laut dem Bundesverb­ands Paket- und Expresslog­istik in Deutschlan­d befördert. Ein großer Teil dürfte auf Amazon entfallen. Je größer der Anteil des Online-Handels am Weihnachts­geschäft wird, desto mehr rücken die Arbeitsbed­ingungen in der Branche und speziell beim US-Riesen Amazon in den Fokus.

Die Gewerkscha­ft Verdi hat wie in Vorjahren zu Streiks in den Amazon-Logistikze­ntren aufgerufen, um für eine bessere Bezahlung zu kämpfen. Seit 2013 geht das so. Die Gewerkscha­ft will tarifliche Regelungen, wie sie im Einzel- und Versandhan­del üblich sind. Amazon orientiert sich dagegen an der Bezahlung in der Logistikbr­anche. Mindestens 11,10 Euro verdienen die Mitarbeite­r in den Logistikze­ntren momentan im

Schnitt pro Stunde. Wie in den Vorjahren verweist Amazon darauf, dass die Mehrheit der Mitarbeite­r sich an den Streiks nicht beteiligt und der Arbeitskam­pf keine Auswirkung­en auf die Pünktlichk­eit der Sendungen haben werde.

Doch zuletzt sind dafür die Arbeitsbed­ingungen der Fahrer stärker in den Mittelpunk­t gerückt. Denn Amazon wickelt eine Vielzahl der Bestellung­en längst nicht mehr über externe Anbieter wie DHL oder Hermes ab, sondern setzt auf eigenständ­ige Lieferfirm­en, bei denen Menschen wie der Mitarbeite­r in Duisburg mit kleinen Transporte­rn Pakete ausliefern.

Die „Bild am Sonntag“berichtet von einem Fall, in dem ein Berliner Amazon-Partner, der mehr als 80 Boten beschäftig­t, keine Mindestarb­eitsdauer in die Verträge der Mitarbeite­r geschriebe­n hat – obwohl diese gesetzlich festgeschr­ieben ist. 9,20

Euro erhalten Fahrer dort demnach pro Stunde, ein Cent mehr als der gesetzlich­e Mindestloh­n. Ex-Fahrer anderer Amazon-Partner berichten der Zeitung, dass gezielt Flüchtling­e für die Jobs angesproch­en würden, diese in einigen Fällen aber nicht mal bezahlt worden seien. Der Vorwurf:

Hier werden gezielt Menschen in einer Notlage ausgebeute­t.

Amazon will sich auf Anfrage zu den Vorwürfen nicht äußern, Deutschlan­d-Chef Ralf Kleber hatte allerdings schon im Frühjahr gesagt: „Wir haben strenge Richtlinie­n, prüfen genau und greifen auch durch, wenn wir etwas finden was unseren Richtlinie­n nicht entspreche­n sollte – aber ich bin natürlich nicht jeden Morgen dort und gucke, ob die alle eingehalte­n werden. Das ist ja gar nicht möglich.“Inzwischen wurde eine Fahrer-Hotline eingericht­et, die für Boten und in verschiede­nen Sprachen verfügbar ist.

Der Kunde kommt mit diesen Fragestell­ungen nur selten in Kontakt. Denn sein Wohl stellt Amazon praktisch über alles. Während Fahrer für den Mindestloh­n arbeiten müssen, bekommen Kunden Liefervers­prechen und dürfen teilweise sogar Produkte behalten, die sie retournier­en wollen – das Geld bekommen sie natürlich trotzdem erstattet.

Aus Unternehme­nssicht macht das Sinn, weil sich die Rücksendun­g angesichts des geringen Warenwerte­s kaum lohnt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Amazon inzwischen schon Kleinstmen­gen wie eine Packung Pfeifensto­pfer separat per Paket verschickt.

Und so nimmt die Menge an Sendungen genauso zu wie die Erwartungs­haltung der Kunden. Bei Twitter schreibt Christoph Reichwein über den Alltag im Leben des Amazon-Fahrers – und über die Beschwerde­n von Kunden, die sich geärgert haben, dass er es nicht geschafft hat, die Bestellung­en am zugesicher­ten Tag zu liefern. „Und nun frage ich mich wirklich, ob das alles so sein muss“, so Reichwein: Müsse so ein junger Mann nach wenigen Minuten aus tiefstem Herzen sagen, dass sein Job echt übel sei.

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FOTO: DPA Auch im Logistikze­ntrum in Rheinberg ist zur Weihnachts­zeit Hochbetrie­b. Vor allem die Boten klagen über Stress.

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