Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
600 neue Stellen gegen Neonazis
Innenminister Seehofer forciert den Kampf gegen Rassisten, Neonazis und Antisemiten auch in den Reihen der Sicherheitsbehörden. Allein 57 Bundespolizisten fielen auf.
BERLIN Acht Jahre nach dem Erschrecken über die zehn Morde der rechtsterroristischen NSU-Gruppe macht Innenminister Horst Seehofer (CSU) Ernst mit dem massiv verstärkten Kampf der Sicherheitsbehörden gegen den wachsenden Rechtsextremismus. Dabei will er auch fragwürdige Tendenzen innerhalb der Behörden genauer in den Blick nehmen. Das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV ) bekommen im nächsten Jahr jeweils 300 neue Stellen, um besser rechtsextremistische Netzwerke aufdecken und gegen Hass und Hetze im Netz intensiver vorgehen zu können.
Die Behörde zählt auch die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, und den völkisch-nationalistischen „Flügel“der Partei zu den Rechtsextremisten – dadurch hat sich deren Zahl um ein Drittel auf 32.200 erhöht. Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten gibt das BKA mit 12.700 an. Darunter seien 48 Gefährder und 126 weitere „relevante“
Personen, denen ein besonderes Straftaten-Potenzial zugetraut wird.
In diesem auffälligen Unterschied zwischen Gewaltbereiten und Gefährdern sieht Grünen-Sicherheitsexpertin Irene Mihalic ein „riesiges Loch“. Sie erwarte eine neue Beurteilung von den Behörden. BKA-Präsident Holger Münch bestätigte, dass dem Gemeinsamen Extremismusund
Terrorismus-Abwehrzentrum (GETZ) zahlreiche weitere Fälle zur Begutachtung vorlägen. Wie zuvor im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, bauten die Behörden nun auch Strukturen und Mechanismen zur Priorisierung des Umgangs mit gefährlichen Rechtsextremisten auf.
In der Vergangenheit habe man sich auf die Aufklärung der rechtsextremistischen Gewalt konzentriert, sagte Münch. Es falle auf, dass die Hälfte der ermittelten Tatverdächtigen der Polizei zuvor nicht bekannt war. Es müsse daher sehr viel intensiver das Milieu mit seinen Kontakten und Netzwerken ausgeleuchtet werden. Auch BfV-Präsident Thomas Haldenwang kündigte an, sich vermehrt um die sogenannte Neue Rechte und um die Identitäre Bewegung zu kümmern, die den geistigen Nährboden für den Rechtsextremismus schaffe.
Anfang nächsten Jahres will der Verfassungsschutz erstmals ein präzises Lagebild über die Verbreitung des Rechtsextremismus innerhalb der Behörden liefern. Es handele sich zwar stets nur um Einzelfälle, aber es seien eindeutig „zu viele Einzelfälle“. Seehofer bezifferte die Zahl der allein bei der Bundespolizei zwischen 2012 und 2019 mit rechtsextremistischem Hintergrund entdeckten Beamten mit 57. Zehn Fälle hätten sich auf den Verdachtsbereich von Reichsbürgern bezogen. In 22 Fällen waren die Vorgesetzten durch Selbstanzeige auf die fragwürdige Gesinnung aufmerksam geworden. Seehofer sprach von einer „hässlichen Blutspur“, die Rechtsextremisten vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) bis hin zum Anschlag auf die Synagoge in Halle gezogen hätten. Die Anstrengungen hätten „früher mit der politischen Priorisierung versehen werden müssen – auch das gehört zur Wahrheit“, erklärte der Innenminister.
Zu den nächsten Schritten gehören auch Verbote von Organisationen, eine verstärkte Verfolgung von Bedrohungen im Netz sowie eine Regelüberprüfung beim Verfassungsschutz, ob gegen Personen etwas vorliegt, die einen Waffenschein beantragen.