Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Für heikle Einsätze ist die Truppe noch nicht bereit

Es wird ein Jahrzehnt dauern und viel Geld kosten, bis die Bundeswehr militärisc­h wieder mitreden kann.

- VON MATTHIAS BEERMANN

Als der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels im Januar seinen letzten Jahresberi­cht vorlegte, lasen sich die 125 Seiten wie eine einzige lange Mängellist­e. Von den Waffensyst­emen der Bundeswehr waren nur rund 40 Prozent einsatzber­eit. Das ist nur etwas mehr als die Hälfte der eigentlich als Minimum angestrebt­en 70 Prozent.

So waren etwa die Kampfpanze­r vom Typ Leopard 2 kaum verwendbar. Und die brandneuen Schützenpa­nzer Puma, obwohl gerade erst ausgeliefe­rt, müssen schon teuer nachgerüst­et werden. Vor 2025 dürfte das wichtige Waffensyst­em kaum voll einsetzbar sein; der Bundesrech­nungshof befürchtet sogar, dass die Nachrüstun­g noch bis 2029 dauern wird.

Über die Marine fiel das Urteil des Berichts geradezu vernichten­d aus: Ganze Besatzunge­n, so vermerkten die Autoren, „saßen sprichwört­lich auf dem Trockenen“. So waren die beide 50 Jahre alten Tankschiff­e nicht einsatzfäh­ig, das Gleiche galt für die U-Boote. Und auch die Luftwaffe brachte bestenfall­s die Hälfte ihrer Eurofighte­r und Tornados an den Start, von den neuen Transportf­lugzeugen vom Typ A400M waren nur 50 Prozent flugfähig.

Selbst bei den einfachen Ausrüstung­sgegenstän­den herrscht Mangel: Es fehlten Schutzwest­en, Stiefel, Helme und Nachtsicht­geräte, um alle Soldaten auszurüste­n. Und auch etliche Kasernen rotten vor sich hin. Die Prüfer monierten löchrige Hallendäch­er und fehlende Sanitärein­richtungen. Die Truppe sei, kritisiert­e der Bundeswehr­verband, gemessen an ihrem Auftrag „im schlechtes­ten Zustand seit 1990“.

Damals, vor 30 Jahren, begann die Malaise der deutschen Streitkräf­te. Nach dem Fall der Mauer begannen die Politiker, die sogenannte Friedensdi­vidende einzusamme­ln. Wozu noch Milliarden ins Militär stecken, wo es doch nun keinen Feind mehr gab? Selten wurde eine Armee so schnell und so gründlich abgewickel­t: 90 Prozent seiner Panzer und 75 Prozent seiner Kriegsschi­ffe hat Deutschlan­d seither verkauft, verschenkt oder verschrott­et. Eine radikale Abrüstung, die sich nicht so leicht wieder rückgängig machen lässt. Nachdem Russland 2014 die Krim annektiert­e und der ewige Frieden in Europa plötzlich nicht mehr ganz so sicher schien, musste Deutschlan­d überstürzt und teils buchstäbli­ch vom Schrottpla­tz 100 Leopard und Ersatzteil­e zurückkauf­en, um wenigstens die noch bestehende­n Panzerverb­ände einsatzber­eit zu halten.

Bei der Marine, deren Ausstattun­g früher stark auf den Einsatz in der Ostsee zugeschnit­ten war, wurde mit den schnellen Zerstörern eine ganze Schiffskla­sse ersatzlos ausgemuste­rt. Von ursprüngli­ch einmal fast zwei Dutzend Landungsbo­oten besitzt die Marine heute noch genau eines, und das gehört mit 53 Jahren auf dem Buckel eigentlich auch schon ins Museum.

Zu den Problemen beim Material kommen Engpässe bei der personelle­n Ausstattun­g. Seit der Aussetzung der Wehrpflich­t 2011 tut sich die Bundeswehr schwer, ihre Sollstärke zu erreichen. 1990 zählte die Truppe fast 600.000 Soldaten, heute sind es gut 182.000 (davon etwa 22.000 Frauen). Bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts sollen es wieder knapp 200.000 werden.

Doch Waffen, Ausrüstung und Personal sind nicht alles. Innerhalb der Bundeswehr halten viele nicht die Mängel bei der Ausstattun­g für das größte Handicap der Bundeswehr, sondern deren systematis­che Ausdünnung. Seit der unter Verteidigu­ngsministe­r Thomas de Maizière (CDU) zu Beginn des Jahrzehnts umgesetzte­n Strukturre­form sind größere Kampfverbä­nde nicht mehr einsatzber­eit. Derzeit verfügt keine einzige der elf deutschen Kampfbriga­den, das sind Verbände mit 1500 bis 5000 Mann, über eine vollständi­ge Ausstattun­g. Selbst für die Teilnahme an größeren Nato-Manövern müssen die entsandten Einheiten sich ihre Ausrüstung erst mühselig aus anderen Truppentei­len zusammenle­ihen.

Das soll sich nach dem Willen der Bundesregi­erung ändern, wenn auch nur langsam: Bis 2023 soll eine vollausges­tatte Brigade bereitsteh­en, bis 2027 dann drei Brigaden, was einer Division entspräche. Erst zu Beginn des übernächst­en Jahrzehnts sollen dann alle drei existieren­den Divisionen des Heeres komplett ausgerüste­t und einsatzber­eit sein. Für Marine und Luftwaffe gelten ähnliche Vorgaben. Dann soll Deutschlan­d wieder in der Lage sein, alle Aufgaben der Landes- und Bündnisver­teidigung sowie der Auslandsei­nsätze zu erfüllen.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundeswehr­soldaten machen während einer Minen-Suchmissio­n durch die Wüste nahe Kundus eine Pause.
FOTO: DPA Bundeswehr­soldaten machen während einer Minen-Suchmissio­n durch die Wüste nahe Kundus eine Pause.

Newspapers in German

Newspapers from Germany