Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Für heikle Einsätze ist die Truppe noch nicht bereit
Es wird ein Jahrzehnt dauern und viel Geld kosten, bis die Bundeswehr militärisch wieder mitreden kann.
Als der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels im Januar seinen letzten Jahresbericht vorlegte, lasen sich die 125 Seiten wie eine einzige lange Mängelliste. Von den Waffensystemen der Bundeswehr waren nur rund 40 Prozent einsatzbereit. Das ist nur etwas mehr als die Hälfte der eigentlich als Minimum angestrebten 70 Prozent.
So waren etwa die Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 kaum verwendbar. Und die brandneuen Schützenpanzer Puma, obwohl gerade erst ausgeliefert, müssen schon teuer nachgerüstet werden. Vor 2025 dürfte das wichtige Waffensystem kaum voll einsetzbar sein; der Bundesrechnungshof befürchtet sogar, dass die Nachrüstung noch bis 2029 dauern wird.
Über die Marine fiel das Urteil des Berichts geradezu vernichtend aus: Ganze Besatzungen, so vermerkten die Autoren, „saßen sprichwörtlich auf dem Trockenen“. So waren die beide 50 Jahre alten Tankschiffe nicht einsatzfähig, das Gleiche galt für die U-Boote. Und auch die Luftwaffe brachte bestenfalls die Hälfte ihrer Eurofighter und Tornados an den Start, von den neuen Transportflugzeugen vom Typ A400M waren nur 50 Prozent flugfähig.
Selbst bei den einfachen Ausrüstungsgegenständen herrscht Mangel: Es fehlten Schutzwesten, Stiefel, Helme und Nachtsichtgeräte, um alle Soldaten auszurüsten. Und auch etliche Kasernen rotten vor sich hin. Die Prüfer monierten löchrige Hallendächer und fehlende Sanitäreinrichtungen. Die Truppe sei, kritisierte der Bundeswehrverband, gemessen an ihrem Auftrag „im schlechtesten Zustand seit 1990“.
Damals, vor 30 Jahren, begann die Malaise der deutschen Streitkräfte. Nach dem Fall der Mauer begannen die Politiker, die sogenannte Friedensdividende einzusammeln. Wozu noch Milliarden ins Militär stecken, wo es doch nun keinen Feind mehr gab? Selten wurde eine Armee so schnell und so gründlich abgewickelt: 90 Prozent seiner Panzer und 75 Prozent seiner Kriegsschiffe hat Deutschland seither verkauft, verschenkt oder verschrottet. Eine radikale Abrüstung, die sich nicht so leicht wieder rückgängig machen lässt. Nachdem Russland 2014 die Krim annektierte und der ewige Frieden in Europa plötzlich nicht mehr ganz so sicher schien, musste Deutschland überstürzt und teils buchstäblich vom Schrottplatz 100 Leopard und Ersatzteile zurückkaufen, um wenigstens die noch bestehenden Panzerverbände einsatzbereit zu halten.
Bei der Marine, deren Ausstattung früher stark auf den Einsatz in der Ostsee zugeschnitten war, wurde mit den schnellen Zerstörern eine ganze Schiffsklasse ersatzlos ausgemustert. Von ursprünglich einmal fast zwei Dutzend Landungsbooten besitzt die Marine heute noch genau eines, und das gehört mit 53 Jahren auf dem Buckel eigentlich auch schon ins Museum.
Zu den Problemen beim Material kommen Engpässe bei der personellen Ausstattung. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 tut sich die Bundeswehr schwer, ihre Sollstärke zu erreichen. 1990 zählte die Truppe fast 600.000 Soldaten, heute sind es gut 182.000 (davon etwa 22.000 Frauen). Bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts sollen es wieder knapp 200.000 werden.
Doch Waffen, Ausrüstung und Personal sind nicht alles. Innerhalb der Bundeswehr halten viele nicht die Mängel bei der Ausstattung für das größte Handicap der Bundeswehr, sondern deren systematische Ausdünnung. Seit der unter Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) zu Beginn des Jahrzehnts umgesetzten Strukturreform sind größere Kampfverbände nicht mehr einsatzbereit. Derzeit verfügt keine einzige der elf deutschen Kampfbrigaden, das sind Verbände mit 1500 bis 5000 Mann, über eine vollständige Ausstattung. Selbst für die Teilnahme an größeren Nato-Manövern müssen die entsandten Einheiten sich ihre Ausrüstung erst mühselig aus anderen Truppenteilen zusammenleihen.
Das soll sich nach dem Willen der Bundesregierung ändern, wenn auch nur langsam: Bis 2023 soll eine vollausgestatte Brigade bereitstehen, bis 2027 dann drei Brigaden, was einer Division entspräche. Erst zu Beginn des übernächsten Jahrzehnts sollen dann alle drei existierenden Divisionen des Heeres komplett ausgerüstet und einsatzbereit sein. Für Marine und Luftwaffe gelten ähnliche Vorgaben. Dann soll Deutschland wieder in der Lage sein, alle Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung sowie der Auslandseinsätze zu erfüllen.