Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Grenzen der Verteidigu­ng

Die Bundeswehr zur internatio­nalen Interventi­onstruppe umzubauen, wäre verfassung­swidrig.

- VON HENNING RASCHE

Ziemlich genau sieben Jahre ist es nun her, dass der letzte sozialdemo­kratische Verteidigu­ngsministe­r starb. Vor dem geistigen Auge sieht man ihn auf dem Motorrad sitzen, aber es ist dann doch etwas anderes, das von ihm bleibt. Ende 2001 hatte die rot-grüne Bundesregi­erung unter dem bisher letzten sozialdemo­kratischen Kanzler Gerhard Schröder beschlosse­n, Soldaten der Bundeswehr nach Afghanista­n zu entsenden. Und Peter Struck, Schröders knorriger Verteidigu­ngsministe­r, begründete dies mit einem Satz, der den Urheber überlebt hat. Er sagte: „Die Sicherheit der Bundesrepu­blik Deutschlan­d wird heute auch am Hindukusch verteidigt.“

Der Satz ist bemerkensw­ert. Struck stand damals unter dem Eindruck der verheerend­en Anschläge am 11. September 2001 in den USA. Und offenbar war ihm klar, dass sich das militärisc­he Verständni­s von Angriff und Verteidigu­ng durch den internatio­nalen Terrorismu­s wandelt. Peter Struck wird allerdings nicht geahnt haben, wie massiv dieser Wandel ausfallen würde.

Strucks Satz ist auch deswegen so bedeutsam, weil sich in ihm juristisch­e Probleme verdichten. Strucks Nachnachna­chnachnach­folgerin Annegret Kramp-Karrenbaue­r sollte sich dessen gewiss sein, wenn sie anregt, die Bundeswehr häufiger und intensiver an Militärope­rationen zu beteiligen.

Das Grundgeset­z setzt solchen

Vorhaben enge Grenzen. In Artikel 87a heißt es: „Der Bund stellt Streitkräf­te zur Verteidigu­ng auf.“Die Bundeswehr ist laut der Wehrverfas­sung nicht dazu da, geopolitis­che, machtstrat­egische oder wirtschaft­liche Interessen durchzuset­zen. Das Thema ist heikel. So heikel, dass Bundespräs­ident Horst Köhler im Trubel einer gegenteili­gen Äußerung 2010 sogar sein Amt verlor.

Nein, die Bundeswehr soll nicht der deutschen Wirtschaft die Handelsweg­e freikämpfe­n. Sie erfüllt stattdesse­n eine wesentlich­e staatliche Aufgabe.

Dass Bürger der Bundesrepu­blik Deutschlan­d sich überhaupt als solche verstehen, dass sie Strafzette­l zahlen und eine Steuererkl­ärung liefern, sie sich also an Gesetze halten, liegt daran, dass der Staat ihnen im Gegenzug Sicherheit verspricht. Solange die Menschheit nicht in vollständi­gem Frieden miteinande­r lebt, solange stellen Staaten Streitkräf­te zur Verfügung. Sie müssen im Zweifel ihre territoria­len Grenzen verteidige­n und ihre Bürger beschützen. Das klingt antiquiert, ist aber, in manchen Teilen der Erde, hochaktuel­l.

Wenn Annegret Kramp-Karrenbaue­r aber von mehr oder intensiver­en Bundeswehr­einsätzen spricht, dann meint sie etwas anderes. Sie will keinen angreifend­en Staat abwehren, sie will nicht den Bestand der Bundesrepu­blik verteidige­n, sondern womöglich genau dies: geopolitis­che, machtstrat­egische und wirtschaft­liche Interessen durchsetze­n. Aber sie meint auch Einsätze wie den am Hindukusch.

Der juristisch­e Rahmen für solche Einsätze ist in Artikel 87a abgesteckt. „Zur Verteidigu­ng“aber heißt heute etwas anderes als in den 50er Jahren. Es sind nicht mehr zwingend Staaten, die die Sicherheit bedrohen, sondern internatio­nal agierende Terrororga­nisationen. Das Bundesverf­assungsger­icht hat an der Uminterpre­tation des Verteidigu­ngsbegriff­s erheblich mitgewirkt. Man könnte beinahe sagen: Alles, was die Bundeswehr macht, ist Verteidigu­ng.

Dass für die Bundeswehr tatsächlic­h aber ziemlich strenge Regeln gelten, muss man in Deutschlan­d niemandem erläutern. Mehrere Blicke ins Geschichts­buch erklären die militärisc­he Vorsicht des Verfassung­sgebers hinreichen­d. Die Bundeswehr ist ein Parlaments­heer. Sie darf nur tätig werden, wenn der Bundestag dies beschließt. Zudem muss der Verwendung­szweck ausdrückli­ch im Grundgeset­z stehen.

Darin finden sich nur zwei Zwecke. Der erste und oberste Zweck der Bundeswehr ist die bereits erwähnte Verteidigu­ng. In der Rechtswiss­enschaft ist zwar umstritten, wie weit dieser Begriff reicht. Die Bundeswehr aber zu einer internatio­nalen

Interventi­onstruppe umzubauen, wäre ziemlich eindeutig nicht mit dem Grundgeset­z vereinbar. Der zweite Zweck ist der Einsatz der Bundeswehr in Systemen kollektive­r Sicherheit, also etwa der Vereinten Nationen oder der Nato.

Der Berliner Staatsrech­tler Christoph Möllers sagt, dass die Problemati­k vom Begriff der Verteidigu­ng weg zu einer internatio­nalen Mandatieru­ng gewandert sei. Im Rahmen einer UN-Mission oder eines Nato-Einsatzes akzeptiert das Bundesverf­assungsger­icht Bundeswehr­einsätze, weil sie grundsätzl­ich der Verteidigu­ng dienen. „Offen ist noch, wie die EU in diese Systematik hineinpass­t“, sagt Staatsrech­tler Möllers. Viel spricht dafür, dass auch die EU als friedenssi­chernde Organisati­on gemeinsam Streitkräf­te für gemeinsame Einsätze entsenden könnte. Aber dafür bedürfte es einer Klarstellu­ng durch die europäisch­en Gesetzgebe­r.

Wahrschein­licher aber sind gemeinsame Einsätze von befreundet­en Staaten jenseits von Kollektive­n, weil diese zerstritte­n oder schwerfäll­ig sind. Zur Beurteilun­g, ob solche deutschen Einsätze zulässig wären, wird es wieder auf die Verteidigu­ng ankommen.

Die Politik der Gegenwart überweist ungelöste Probleme gern zur Klärung an Gerichte. Wenn Verteidigu­ngsministe­rin Kramp-Karrenbaue­r es aber ernst meinte, dann sollte sie eine gesellscha­ftliche Debatte anstoßen. Will sie ihre Pläne verwirklic­hen, muss das Grundgeset­z geändert werden.

„Die Sicherheit der Bundesrepu­blik Deutschlan­d wird heute auch am Hindukusch verteidigt“

Peter Struck (1943–2012) 2002 als Verteidigu­ngsministe­r

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