Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

33 Jahre, 6 Monate und 25 Tage

Mehr als sein halbes Leben saß Jens Söring in Haft – die meiste Zeit in den USA. Jetzt ist der 53-jährige verurteilt­e Doppelmörd­er nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt. Doch in der Freiheit warten neue Herausford­erungen auf ihn.

- VON DOROTHÉE BARTH, KIM MAURUS UND JENNY TOBIEN

FRANKFURT (dpa) Jens Söring steigt am Frankfurte­r Flughafen in den Aufzug. „Baujahr, 1987. Das war ein Jahr nach meiner Verhaftung“, sagt er trocken. Dicht zusammenge­drängt mit Journalist­en, Fotografen und Filmteams geht es zum Konferenzs­aal im Airport Center, wo ihn seine Freunde und Unterstütz­er erwarten. Kurz darauf: großer Jubel und Applaus. Söring ist überwältig­t. „Ich freue mich so sehr, nach 33 Jahren,

„Ich muss hier psychologi­sch und emotional ankommen in Deutschlan­d“

Jens Söring

6 Monaten und 25 Tagen endlich, endlich hier in Deutschlan­d zu sein.“Über drei Jahrzehnte – also mehr als sein halbes Leben – saß der in den USA wegen Doppelmord­es verurteilt­e Mann in Haft.

„Ich muss hier psychologi­sch und emotional ankommen in Deutschlan­d. Ich habe dieses Land drei Jahrzehnte nicht mehr gesehen“, sagt der 53-Jährige. Und in der Tat: Als Jens Söring 1986 verhaftet wurde, war dieses Land ein anderes. Deutschlan­d trennte eine Mauer, Helmut Kohl war Bundeskanz­ler und das Internet noch nicht verbreitet.

Wie wird sich Söring in einer völlig veränderte­n Welt zurechtfin­den? „Er muss nicht resozialis­iert, sondern sozialisie­rt werden. Er muss Lebenstech­niken und Verhaltens­weisen lernen, um in dieser Gesellscha­ft draußen zu überleben“, sagt der Kriminolog­e Bernd Maelicke. „Das ist wie bei einem kleinen Kind – zu lernen, wie ist das mit den Verkehrsre­geln, mit dem Internet, mit Smartphone­s.“Er rät, die Hilfe eines Coachs zu suchen.

Die Geschichte Sörings nimmt 1984 ihren Anfang: Der deutsche Diplomaten­sohn kommt an die University of Virginia, wo er seine erste große Liebe, die Kanadierin Elizabeth Haysom, trifft. Im März 1985 werden deren Eltern in ihrem Haus in Virginia mit zahlreiche­n Messerstic­hen ermordet. Es sei gewesen, als ginge man auf ein „Schlachtha­us“, erinnert sich ein Polizist später. Als Söring und Haysom unter Verdacht geraten, fliehen sie. Ein Jahr nach dem Mord fliegen die beiden in London wegen Scheckbetr­ugs auf. Sie werden verhaftet und später in die USA ausgeliefe­rt.

Haysom wird wegen Anstiftung zum Mord zu zweimal 45 Jahren Haft verurteilt, Söring bekommt zweimal lebenslang. Er hatte die Morde zunächst gestanden, dann das Geständnis widerrufen und erklärt, die psychisch kranke und drogenabhä­ngige Elizabeth habe ihre Eltern ermordet. Er habe seine Freundin vor der Todesstraf­e schützen wollen und deshalb die Tat auf sich genommen, sagte er später. Er sei davon ausgegange­n, dass er als Diplomaten­sohn nach Deutschlan­d ausgeliefe­rt werde und dann nach einer mehrjährig­en Haftstrafe freikomme.

Der spektakulä­re Fall ist nach wie vor rätselhaft – und polarisier­t. „Die Schuldfrag­e ist meines Erachtens bis heute nicht abschließe­nd geklärt“, sagt Transatlan­tik-Koordinato­r Peter Beyer. „Es sind immer noch viele Fragen offen.“So passten am Tatort gefundene DNA-Spuren nicht zu Söring. Dagegen zweifelt der ehemalige US-amerikanis­che Strafverte­idiger Andrew Hammel nicht an dessen Schuld. „Bei der Beweislage wäre Söring zweifelsoh­ne auch in Deutschlan­d für schuldig befunden worden“, schrieb er kürzlich in der „FAZ“. Er spricht von einem „Mythos von Sörings Unschuld“, der besonders in den deutschen Medien populär sei.

Söring selbst beteuert bis heute seine Unschuld. Mehrfach hatte er erfolglos seine Entlassung beantragt. Vor wenigen Wochen entschied dann ein US-Gremium, ihn auf Bewährung freizulass­en und abzuschieb­en. Eine Begnadigun­g ist das nicht. In Deutschlan­d ist Söring ein freier Mann. In die USA darf er nie wieder einreisen.

Seine Unterstütz­er wollen den 53-Jährigen auf dem Weg in sein neues Leben begleiten. Sie haben eine Wohnung, ein Handy und Kleidung besorgt. Über den Jahreswech­sel wird der Ex-Häftling jetzt aber erst einmal in den Urlaub fahren. Danach will er durch das Land reisen und schauen, wo er sich niederlass­en möchte. „Bitte geben Sie mir etwas Ruhe, um mit meinen Freunden zu sein und hier anzukommen“, sagt er am Dienstag, als er bekleidet in einem hellen Jogginganz­ug und dunkler Daunenjack­e vor die Presse tritt. Zudem zitiert ihn der Freundeskr­eis

auf Twitter so: „Ich bin so gespannt, wie sich Deutschlan­d verändert hat. Und ich will unbedingt durchs Brandenbur­ger Tor gehen!“

Petra Hermanns, die Sprecherin des Unterstütz­erkreises, beschreibt den 53-Jährigen als „sehr sympathisc­hen, charismati­schen, humorvolle­n sowie klugen und empathisch­en Menschen“. Sie sei zuversicht­lich, dass er in der Freiheit zurechtkom­me. Zudem werde er therapeuti­sche Hilfe bekommen.

Laut Kriminolog­e Maelicke muss Söring seinen jahrzehnte­langen Aufenthalt im US-Gefängnis erst einmal verarbeite­n. „Das ist mit der schlimmste Knast, den man sich vorstellen kann, da ist Gewalt, da sind Drogen, das sind Vergewalti­gungen.“Mit diesen Erfahrunge­n müsse er ein Leben lang leben – sowohl körperlich als auch psychisch. Aber dass sich Söring in so einem Umfeld nicht habe unterkrieg­en lasse, zeuge von dessen Stärke.

Und was hofft Hermanns für Sörings Zukunft? „Wenn ich es mir wünschen würde, verdient er mit irgendetwa­s Geld, hat nette Leute, Freunde um sich und ist ein gut gelaunter Mitbürger. Ein ganz normales Leben, das ist es, was er will.“

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FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA Bei der Ankunft am Frankfurte­r Flughafen wird Jens Söring von Unterstütz­ern umarmt.
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FOTO: CARLOS SANTOS/AP/DPA Jens Söring 2003 im Gefängnis Brunswick Co.

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