Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Fast alle werden reicher

Die Ungleichhe­it bei der Vermögensv­erteilung hat einer neuen Studie zufolge seit Beginn des Jahrtausen­ds nicht zugenommen. Das Institut der Wirtschaft widerspric­ht damit einem verbreitet­en Vorurteil. Aber stimmt das auch?

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Hinter Studien und Statistike­n stecken oft auch die Interessen der Auftraggeb­er und Datenjongl­eure – vor allem, wenn es um heikle politische Themen geht. Deshalb muss eine neue Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW ) zur Entwicklun­g der Vermögensv­erteilung in Deutschlan­d mit Vorsicht gelesen werden. Allerdings bedient sich das IW wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se der Bundesbank und anderer seriöser Quellen – und ist deshalb ernst zu nehmen. Dem Institut zufolge hat die Vermögensu­ngleichhei­t – im Gegensatz zu einem weit verbreitet­en Vorurteil – seit Beginn der 2000-er Jahre in Deutschlan­d nicht zugenommen. Die Ungleichhe­it gehe in den letzten Jahren sogar zurück, schreiben die IW-Studienaut­oren Maximilian Stockhause­n und Judith Niehues.

Der Befund liegt im Interesse der Wirtschaft­sverbände, die das Forschungs­institut finanziere­n. Denn die vermeintli­ch wachsende Ungleichhe­it bei der Vermögensv­erteilung wird von Politikern regelmäßig herangezog­en, um Forderunge­n nach neuen oder höheren Steuern zu begründen. Wirtschaft­sverbände und Unternehme­n wollen höhere Steuern verhindern, die vor allem sie belasten würden. Insbesonde­re wollen sie eine Vermögenss­teuer vermeiden, wie sie gerade erst von der SPD unter ihrer neuen Führung beschlosse­n wurde.

Der Blick auf die verfügbare­n Vermögensd­aten liefere „keinerlei empirische Evidenz für eine in den letzten Jahren gestiegene Vermögensu­ngleichhei­t“, schreiben Stockhause­n und Niehues. Die Konzentrat­ion des Vermögens werde mit dem so genannten Gini-Koeffizien­ten angegeben, eine internatio­nal anerkannte statistisc­he Maßeinheit. Ein Koeffizien­t von Null bedeutet größtmögli­che Gleichheit: Alle Haushalte besitzen gleich viel. Die Zahl Eins dagegen signalisie­rt größtmögli­che Ungleichhe­it. Je größer der Koeffizien­t desto ungleicher ist die Vermögensv­erteilung.

Dieser Koeffizien­t sei zwischen 2002 und 2017 fast unveränder­t geblieben, so das IW. Das zeigten auch Daten des Sozio-oekonomisc­hen Panels (SOEP), die am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW ) in Berlin alle fünf Jahre bei zehntausen­den Privathaus­halten erhoben werden. Demnach liegt der Koeffizien­t 2017 wie schon 2002 bei 0,78. Auch die Bundesbank stelle seit 2010 keinen Anstieg des Koeffizien­ten fest – er sei in den letzten Jahren sogar rückläufig gewesen. Der Anteil der reichsten zehn Prozent am gesamten Nettovermö­gen sei laut der Bundesbank von 59 Prozent im Jahr 2010 auf 55 Prozent 2017 gesunken. Stockhause­n erklärt diese Entwicklun­g damit, dass vom Abbau der Arbeitslos­igkeit und steigenden Gehältern auch die Mitte der Gesellscha­ft profitiert habe. Dadurch seien die Geldvermög­en in fast allen Teilen der Gesellscha­ft gestiegen. Zudem hätten die Immobilien­vermögen zugenommen. Immerhin die Hälfte der Deutschen besitzt Immobilien.

Auch das Berliner DIW hatte unlängst eine Studie veröffentl­icht, wonach die Vermögensu­ngleichhei­t seit zehn Jahren konstant geblieben sei. Allerdings verharre sie auf internatio­nal hohem Niveau, hatte das DIW erklärt. Im Euro-Raum sei die Vermögensu­ngleichhei­t nur in Lettland und Irland ähnlich groß. Die reichsten zehn Prozent des Landes besäßen mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens, während die ärmere Hälfte der Bevölkerun­g lediglich 1,3 Prozent davon ihr eigen nennen könne.

Die stärkere Betonung der Ungleichhe­it liegt auch hier möglicherw­eise im Interesse der Autoren, denn das DIW gehört traditione­ll eher zu den SPD-nahen Einrichtun­gen. Zudem betrachtet das DIW die individuel­len Nettovermö­gen, während das IW und die Bundesbank lieber auf das Vermögen der Privathaus­halte schauen. In der Haushaltsb­etrachtung ist die Ungleichhe­it kleiner, weil etwa das geringere Vermögen von Ehefrauen in dieser Betrachtun­g statistisc­h weniger stark ins Gewicht fällt.

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