Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die Geschichte der Bienen
Er war ein hoffnungsloser Fall, ein Querulant und Dandy, der schon früh dem Alkohol verfiel und irgendwann nach London ging und in der Gosse endete.
Nur eine Tochter heiratete nie. Charlotte, die klügste von allen. Die Pionierin in unserer Familie. Sie kaufte ein Ticket über den Großen Teich, ohne Rückfahrtschein. Ihre Reisekiste stand auf unserem Dachboden. Damit war sie hergereist, mit der Kiste und einem Kind. Wer der Vater war, wusste keiner. Die beiden waren ganz allein nach Amerika gekommen, und in der Kiste hatte sie alles gehabt, was sie besaß.
Die Kiste roch alt und muffig. Wir hatten keine Verwendung dafür, aber ich brachte es auch nicht übers Herz, sie wegzuwerfen. Charlotte hatte ihr ganzes Leben in diese Kiste gepackt, darunter auch die Zeichnungen ihres Vaters vom Bienenstock.
Und damit hatte alles begonnen. Charlotte war Imkerin geworden. Nicht als reiner Broterwerb, denn nebenbei arbeitete sie auch noch als Lehrerin und Schuldirektorin. Nur drei Bienenstöcke hatten sie, aber diese drei waren genug, um das Kind, einen kleinen Jungen, für die Imkerei zu begeistern, woraufhin er sie später um einige Bienenstöcke erweiterte. Genau wie sein Sohn. Und dessen Sohn. Und am Ende auch mein Großvater, der auf Vollbetrieb umstellte und sich einen ansehnlichen Lebensunterhalt davon erwirtschaften konnte. Diese verfluchten Zeichnungen! Jäh donnerte ich meine Faust gegen das Glas des Rahmens. Es machte einen Knall, der Schmerz fuhr mir in die Hand und breitete sich im ganzen Körper aus. Das Bild wackelte leicht, blieb aber hängen.
Es musste runter. Alle drei Rahmen mussten runter. Ich nahm sie von den Haken und stellte sie in den Flur.
Dort suchte ich meine klobigsten Schuhe hervor, schwere Winterschuhe mit einer dicken Sohle. Schuhe an, hinaus auf den Hof. Ich wollte ihnen wirklich den Garaus bereiten, den Stiefel draufsetzen und fest zutreten, doch im selben Moment musste ich an Emma denken und an den Lärm, den ich veranstalten würde. Ich blickte zum Schlafzimmerfenster. Kein Licht zu sehen. Sie schlief immer noch.
Ich schleppte die Rahmen weiter, öffnete die Tür des Schuppens und legte sie auf den Boden.
Natürlich hätte ich den Rahmen öffnen und die Bilder herausnehmen können, aber ich wollte das Geräusch des Glases hören. Das Knirschen unter meinen Stiefeln.
Ich trat zu, wieder und wieder, sprang darauf. Das Glas zersplitterte, die Rahmen brachen. Genau, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Dann zog ich die Zeichnungen heraus. Ich hatte gehofft, sie wären von den Scherben beschädigt, doch sie waren unversehrt. Ich legte sie übereinander, insgesamt sechs Blätter, und blieb davor stehen. Ich könnte sie anzünden, ein Streichholz dranhalten und das Lebenswerk meiner Familie in Flammen aufgehen lassen. Nein.
Ich legte die Skizzen auf meinen Arbeitstisch und betrachtete sie. Es waren erbärmliche Zeichnungen, die nichts auf der Welt bewirkt hatten. Sie verdienten ein triviales Schicksal. Kein Feuer, das wäre zu dramatisch, zu würdevoll. Etwas anderes.
Dann hatte ich es.
Ich setzte an, den Stapel bereits in den Händen, die sich noch weigerten, aber ich zwang sie. Ich begann, das Papier zu zerreißen, in lange, möglichst gleichmäßige Streifen. Doch alle sechs Zeichnungen übereinander waren zu dick. Es war schwierig, das angestrebte Ergebnis zu erzielen. Ich musste den Stapel aufteilen, zwei mal drei Blätter. Aber das ginge zu schnell. Ich wollte mich länger damit beschäftigen. Also nahm ich mir einen Bogen nach dem anderen vor.
Mir gefiel das Geräusch. Es war, als würde das Papier schreien. Gnade, Gnade!
Jetzt fühlte es sich herrlich an, geradezu phänomenal, endlich war ich tatkräftig, hatte eine vernünftige Aufgabe. Ich hätte die ganze Nacht so weitermachen können.
Doch irgendwann musste ich aufhören. Es wäre die Mühe nicht wert gewesen, sie in noch kleinere Stücke zu reißen, und außerdem würden sie ihren Zweck dann nicht mehr erfüllen.
Ich legte die Streifen zusammen und nahm sie mit. Ich hatte keine Lust, die Rahmen und das Glas wegzuräumen, das musste ich morgen erledigen, und so ging ich einfach hinaus in die Nacht und über den Hofplatz und öffnete die Eingangstür.
In den Windfang, weiter hinein in den Flur. Dort öffnete ich die erste Tür auf der rechten Seite und trat zwei Schritte in die Dunkelheit. Ein gurgelndes Geräusch verriet mir, dass die Spülung wie immer nachlief. Wahrscheinlich musste ich den Kasten auswechseln. Aber ich hatte jetzt keine Lust, das Licht einzuschalten und nachzusehen. Ich legte die Zeichnungen, die Papierstreifen, einfach auf den Boden. Bereit für den Gebrauch. Wo sie auch hingehörten, auf das Klo.
Tao
Wir saßen in einem älteren Elektroauto. In den Zwanzigerjahren, als die Solarenergie auf dem Höhepunkt war, hatte man viele davon gebaut. Als ich die Stadt damals mit meinen Eltern besucht hatte, waren die Straßen voll davon gewesen, die meisten davon waren jedoch alt und gebraucht. Dieses Auto schien besser gepflegt worden zu sein, es war groß, schwarz und glänzend, für einen anspruchsvollen Kundenkreis gebaut. Ich hatte ein solches Fahrzeug noch nie im Privatbesitz gesehen, um es zu benutzen, musste man einen gewissen Rang innehaben. Die wenigen Autos, die bei uns im Ort herumfuhren, gehörten der Polizei oder dem Rettungsdienst, wie auch der Wagen, in dem Wei-Wen abgeholt worden war. Es waren einfache Kisten aus leichtem Material, damit sie möglichst wenig Strom verbrauchten. Dieses Auto war größer und protziger. Wenn einmal ein Fahrzeug wie dieses mit getönten Scheiben durch die Straßen unseres kleines Ortes geglitten war, hatten wir uns immer gefragt, was es wohl in unser abgelegenes Nest geführt haben mochte. Zum ersten Mal im Leben hatte ich einen Fuß in ein so schickes Fahrzeug gesetzt. Ich legte die Hand auf das Lederimitat des Sitzes. Es war einmal glatt gewesen, jetzt aber voller Risse. Denn das Auto war alt. Die Sitze verrieten es, der Geruch verriet es. Man hatte eine Menge Reinigungsmittel eingesetzt, um den Mief des Alters zu überdecken, der überall im Innenraum hing.