Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Mutter erkennt Marvin kaum wieder
Nach dem Fund des seit zwei Jahren vermissten 15-jährigen Marvin in einer Wohnung in Recklinghausen ist gegen einen 44-Jährigen Haftbefehl erlassen worden. Die Mutter konnte kurz mit ihrem Sohn sprechen.
RECKLINGHAUSEN Es ist bereits dunkel, als der mutmaßlich pädophile 44-Jährige am Samstag nach seiner Vorführung beim Haftrichter wieder in den Kleinbus geführt wird, der draußen am Gebäude steht, um ihn zurück in die Justizvollzugsanstalt zu bringen. An den Füßen trägt der Mann eine Fessel, zwei Beamte bewachen ihn. Der Haftrichter hat gegen ihn soeben einen Haftbefehl wegen einer schwerwiegenden Sexualstraftat erlassen.
Die Polizei hatte in seiner Wohnung in Recklinghausen am Freitag
„Er trug noch die Anziehsachen vom Tag seines Verschwindens“
Mutter des 15-Jährigen
überraschend den 15-jährigen Marvin in einem Schrank gefunden, der seit zwei Jahren als vermisst galt. Die Ermittler waren eigentlich aus einem anderen Grund gekommen. Sie ermittelten bereits wegen des Verdachts auf Kinderpornografie gegen den 44-Jährigen. Unter anderem soll er Kinderpornos verbreitet haben. Deswegen suchten die Beamten in seiner Wohnung eigentlich nach möglichen Beweismitteln wie Datenträgern.
Der 15-Jährige, der ursprünglich aus einer Wohngruppe im benachbarten Oer-Erkenschwick verschwunden war, wurde zunächst in Gewahrsam genommen und dann in eine Klinik gebracht. „Er war zwei Jahre lang nicht in der Obhut von Erziehungsberechtigten“, sagt ein Polizeisprecher. Der psychische Zustand des Jungen wird nun fachärztlich untersucht.
Der Jugendliche war als 13-Jähriger im Sommer 2017 plötzlich spurlos verschwunden. Er kommt eigentlich aus Duisburg, wohnte aber nach dem Tod seines Vaters in einer Wohngruppe in Oer-Erkenschwick, weil er mit dem Verlust nicht zurecht kam. Die Letzte, die ihn damals sah, war eine Erzieherin aus der Wohngruppe. Von ihr hatte er sich noch verabschiedet. Über den Fall war erst im Juli in einer Spezialausgabe der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“berichtet worden.
Am Samstag traf seine Mutter ihn nach mehr als zwei Jahren wieder; sie besuchte ihn in einer Jugendpsychiatrie, in der Marvin vorläufig untergebracht ist. „Bild am Sonntag“sprach anschließend mit ihr. Demnach habe sie ihren Sohn kaum erkannt. Sie habe sich sogar richtig erschrocken. „Er wirkt wie ein gebrochener alter Mann auf mich“, sagte die 53-Jährige der „Bams“. „Ich habe immer gesagt, er ist entweder tot oder irgendwo, wo er sich nicht melden kann. Ich habe mir das zweieinhalb Jahre vorgestellt, wie es ist, ihn wiederzusehen“, sagte die Duisburgerin. Sie ist überzeugt, dass der 44-Jährige ihren Sohn manipuliert haben muss. Marvin habe ihr gesagt, dass er da nicht raus gekommen sei. „Wir haben beide geheult. Er nahm meine Hände und ließ nicht mehr los“, so die Mutter. Er habe sich mit seinen Armen richtig an sie fest gekettet und sie gebeten, ihn wieder mit nach Hause zu nehmen. Als die Polizei den 15-Jährigen am Freitag befreit, soll er verwahrlost ausgesehen haben. „Er trug wirklich noch die Anziehsachen vom Tag seines Verschwinden“, berichtete die Mutter. Marvin soll ihr gesagt haben, dass er zweieinhalb Jahre weg gesperrt gewesen sei, nicht nach draußen durfte.
Polizisten durchsuchten am Wochenende die Wohnung des Festgenommenen weiter akribisch nach Beweismitteln wie Handys und Datensticks. Dabei bekamen sie Hilfe eines speziell ausgebildeten Daten-Spürhundes, von denen es bislang insgesamt nur fünf bei der NRW-Polizei gibt. Die Ausbildung der Tiere war eine direkte Konsequenz aus den Fällen von Kindesmissbrauch in Lügde, wo zunächst Material am Tatort übersehen worden war.
Die vollständige Auswertung der beschlagnahmten Geräte und Datenträger in Recklinghausen werde noch eine Weile dauern, so der Sprecher der Polizei. Wann Marvin wieder zu seiner Mutter nach Duisburg darf, steht noch nicht fest.