Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Wie Ärzte ohne Grenzen arbeitet
Die Leiterin der deutschen Sektion erzählt von Hilfseinsätzen in Krisenregionen.
BERLIN Mediziner, die sich für Ärzte ohne Grenzen engagieren, reisen dorthin, wo sie gebraucht werden. „Ich bin bereit, noch einmal nach Haiti zu gehen, im Kongo ist viel zu tun, auch in der Zentralafrikanischen Republik. Ich würde sofort in den Jemen gehen, auch nach Afghanistan“, sagt Amy Neumann-Volmer. Die 62-jährige Allgemeinmedizinerin engagiert sich mit ihrem Mann, einem Kinderarzt, für die Hilfsorganisation, seitdem die drei Töchter aus dem Haus sind.
Neumann-Volmer ist Vorsitzende der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Die Mediziner planen ihre Einsätze danach, wo die Not am größten ist. Wichtig sei zurzeit die Arbeit in Bosnien, wo Geflüchtete an der Grenze nicht weiterkämen, sagt sie. Die Zustände dort seien verheerend. „Gleiches gilt für die griechischen Inseln wie zum Beispiel Lesbos, wo zehnmal so viele Menschen wie vorgesehen in einem Lager leben.“Dort fehle die Grundversorgung: ein Dach über dem Kopf, Wasser, Essen. „Das ist nicht akzeptabel.“
Die internationale Hilfsorganisation hat seit 1993 eine Sektion in Deutschland. Seitdem sind Spenden, Mitarbeiter und Projekte gewachsen. Mit weniger als 10.000 Euro starteten die Mediziner vor mehr als 25 Jahren. 2018 lag das Aufkommen an Spenden bei 152,2 Millionen Euro. Ärzte ohne Grenzen nimmt keine öffentlichen Gelder an, finanziert sich ausschließlich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen, Erbschaften und anderen Zuwendungen.
„Es gibt eine klare Entscheidung, dass wir ohne öffentliche Gelder arbeiten“, sagt Volmer-Neumann. Man könne nicht die Menschen aus dem Mittelmeer ziehen und dann Geld von Staaten nehmen, die mit dafür verantwortlich seien, dass es so viele schiffbrüchige Geflüchtete gibt. Die großen humanitären Krisenlagen verschaffen Ärzte ohne Grenzen immer wieder Zuwächse bei den Spenden. Etwa beim Ausbruch des hochansteckenden tödlichen Ebola-Virus 2014 oder nach den Erdbeben 2010 auf Haiti und 2013 auf den Philippinen.
Ärzte ohne Grenzen legt Wert darauf, nicht für Entwicklungshilfe zuständig zu sein. Dennoch gibt es neben den Katastrophen-Einsätzen auch dauerhaftes Engagement. So ersetzt die Hilfsorganisation zum Beispiel in der Zentralafrikanischen Republik quasi das Gesundheitssystem. Auch dort war Neumann-Volmer schon im Einsatz. Sie berichtet von einem Glücksmoment, als sie eine Mutter mit Zwillingen retten konnte. Die Mutter hatte bei der Geburt viel Blut verloren und brauchte viel Zeit, bis sie das Krankenlager wieder verlassen konnte. „Eines der Kinder trägt meinen Namen. Das bedeutet einem etwas und ich weiß, dass unsere Begegnung auch der Mutter etwas bedeutet hat“, sagt Neumann-Volmer.
Sie habe noch nie das Gefühl gehabt, in Gefahr zu sein, berichtet sie. „Wir haben sehr gute Sicherheitskonzepte.“Bevor die Mediziner in ein Krisengebiet gehen, verhandelt ein „Head of Mission“über den Zugang für die Ärzte zu den Hilfsbedürftigen. „Es nutzt niemandem, wenn wir uns in Gefahr bringen. Wir können nur helfen, wenn wir selbst gesund und unverletzt sind“, betont Neumann-Volmer. Sie sagt auch: „Wir würden niemals für eine Seite Partei ergreifen, denn dann könnten wir in diesem Kontext nicht arbeiten. Wir müssen unabhängig bleiben.“
Die Mediziner lassen sich von Ärzte ohne Grenzen in der Regel für mehrere Monate einsetzen. Dann kehren sie an ihre Arbeitsplätze, meist in deutschen Krankenhäusern, zurück. Rund 110 Ärzte stehen aktuell im Pool bereit – zu 58 Prozent Frauen –, in ein Krisengebiet zu reisen. Hinzu kommen rund 400 Mediziner, die zwar nicht aktuell abrufbereit, aber grundsätzlich noch zu Einsätzen bereit sind. Insgesamt hat Ärzte ohne Grenzen rund 1000 Mitarbeiter in der Datenbank – Ärzte, Logistiker, Hebammen, Labortechniker, Psychologen, Pharmazeuten und andere. Pro Jahr reisen rund 300 Mitarbeiter aus Deutschland zu Projekten weltweit. Der Einsatz dauert in der Regel einige Monate.