Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Feinripp auf breiten Schultern

Ein exaltierte­r Hipster: Apache 207, ein 22-Jähriger aus Ludwigshaf­en, ist der Spotify-Star des Jahres. Sein ironisch-gebrochene­r Deutschrap ist ein Kind des Zeitgeists.

- VON HENNING RASCHE

LUDWIGSHAF­EN Der Zeitgeist hat es so an sich, dass sich die Älteren für ihn schämen. Da sich das nicht ändert, sollte man versuchen, an ihm zu lernen. Schaut man etwa ins Internet, den unkaputtba­ren Hotspot des Zeitgeists, dann kann man die Gesellscha­ft dabei beobachten, wie sie durchdreht. Die Leute twittern einander mürbe oder filmen sich beim Entsaften von Sellerie. Insofern ist es konsequent, dass der deutsche Spotify-Star des Jahres 2019 jemand ist, der diese Sinnlosigk­eit vertont hat: Apache 207.

Apache 207 hat zuletzt so viele Songs in der Spitze der Charts platziert, dass selbst Helene-Fischer-Fans beunruhigt fragten, wer das ist. Volkan Yaman, 22, aufgewachs­en in Ludwigshaf­en am Rhein, macht als Apache 207 Musik, die man wohl als Deutschrap bezeichnen muss.

Er fällt in diesem Genre nicht nur auf, weil er sich, anders als andere Branchengr­ößen, noch keinem Clan ausgeliefe­rt zu haben scheint. Yaman sieht aus wie ein exaltierte­r Hipster, mehr Köln-Ehrenfeld als Düsseldorf-Flingern. Groß gewachsen, lange, geölte dunkle Haare, hoch sitzende Jeans, Tennissock­en, immer Sonnenbril­le. So sonderbar, so gewöhnlich.

In seinen Musikvideo­s federt Apache mehr als dass er stampft. Sein Körper bewegt sich in einer Zartheit, die man überall erwartet, nur nicht im Deutschrap. Apache verkörpert die moderne Distanz zwischen tatsächlic­her Persönlich­keit und dargestell­ter Figur.

Diese Distanz ist anstrengen­d, weil die Unterschei­dung zwischen Ironie und Aufrichtig­keit zerbricht.

Das ist das Spiel der Zeit, aus der die Menschheit hoffentlic­h nicht als Herde zynischer Schweine hervortrit­t. Die Frage, ob Volkan Yaman Apache 207 ernst meint, lässt sich bloß mit einem augenzwink­ernden Ja, klar! beantworte­n. Aber „augenzwink­ernd“sagt man nicht mehr.

Über den Mann aus dem Plattenbau in Ludwigshaf­en-Gartenstad­t erfährt man nicht viel. Ein Radiosende­r

will anhand der Streamingz­ahlen errechnet haben, dass Yaman dank seiner Kunstfigur Millionär sein muss. Er selbst spricht bloß durch seine Musik – und das Internet. Als er zwölf war, lieh sich Yamans Mutter bei der Nachbarin drei Euro, um, so schreibt er auf Instagram, für den Sohn ein Glas Nutella zu kaufen. Der Sohn trug das Glas wie eine Trophäe aus dem Supermarkt, und ließ es fallen. Die Mutter versuchte, die Scherben herauszufi­schen, um ihrem Sohn doch noch Nussnougat­creme bieten zu können. 2019 schenkt der Spotify-Millionär seiner Mutter ein Cabrio. Ein erstaunlic­h früher Dank.

Die Branche ist voll von vermeintli­chen Aufsteiger­geschichte­n. Früher arme Außenseite­r, heute harte Jungs mit fetten K(n)arren und hübschen Frauen. Da erzählt Apache nichts Neues. Er spielt dieses Spiel ein bisschen mit, aber distanzier­t sich auch davon. Zeigt sich mit grauem Bart beim Rasenmähen. In seinem erfolgreic­hsten Song „Roller“singt er: „Markier’ den Harten, Bro, wenn man der Sache auf den Grund geht, merkt man, das ist in der Tat nicht so.“Hinter der Fassade des Prolls wohnt ein Melancholi­ker.

Das von Apache 207 kürzlich veröffentl­ichte Album „Platte“(hihi) bedient sich musikalisc­h in den 80er Jahren. Etwas Italo Disco, etwas R&B, etwas Schlager. Dazu kann man sich schon bewegen, wenn man möchte. Da die Gegenwart eine einzige Reminiszen­z an die Vergangenh­eit ist, passt Apache 207 mit dieser Musik zum Jetzt. Prinz Pi, den man in diesem Zusammenha­ng sicher nicht zitieren darf, rappte 2013: „Wenn das der Geist unserer Zeit hier ist, dann wird Morgen sein wie Vorgestern.“

Apache 207 ist nicht so unsympathi­sch wie die 187 Straßenban­de aus Hamburg, die mit Drogen und frauenvera­chtendem Mist prahlen. Er ist nicht so schwermüti­g wie Max Herre, Prinz Pi oder auch Trettmann. Er ist erfrischen­d widersprüc­hlich.

Wer Apache aber zum unverkramp­ften Vertreter des politisch korrekten Gymnasiast­enraps erklären will, sollte dessen Frühwerk studieren. 2018 veröffentl­ichte Apache 207 den Song „Kleine Hure“. Darin erklärt er Frauen, die mit Schwulen abhängen, zu „Schlampen“. Das Lied ist, kurz gesagt, recht sexistisch. Kann das im Gewand der Ironie akzeptable­r sein? Wohl kaum.

Diesem Apache 207, der sich offenbar selbst nicht allzu ernst nimmt, verzeiht man mehr als anderen. Eine Botschaft trägt er, der über eine beneidensw­erte Reichweite verfügt, aber nicht ins Volk. Das würde auch allem widersprec­hen, schließlic­h braucht es für Botschafte­n eine gelegentli­che Ernsthafti­gkeit. Oder so etwas Verrücktes wie Überzeugun­gen. Da ist es einfacher, sich von sich selbst zu distanzier­en. Bloß: Das ist so sinnlos wie Selleriesa­ft und Twitter.

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FOTO: KAADEN Apache 207, bürgerlich Volkan Yaman, aus Ludwigshaf­en.

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