Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
So war unser Fuß ball-Jahr
Der Fußball verabschiedet sich in die Winterpause. Wir blicken zurück – auf Momente, die uns in diesem Jahr besonders bewegt haben.
DÜSSELDORF Es war ein Fußball-Jahr voller Empörungen. Es verging fast kein Spieltag ohne eine neue Grundsatzdebatte. Und die unterschiedlichen Standpunkte standen sich gefühlt immer unversöhnlicher gegenüber. Am Ende der vergangenen Saison ist immerhin wieder der FC Bayern München Deutscher Meister geworden. Etwas Konstanz kann nicht schaden. Unsere Redaktion blickt aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln ganz persönlich zurück.
Zu viele Hände im
Spiel. Ich verstehe es nicht mehr.
Die internationalen Regelwächter wollten den Umgang mit dem Handspiel im Fußball gerechter machen, vor allem auch transparenter machen. Doch das Gegenteil ist passiert: Woche für Woche werden Elfmeter für Nichtigkeiten verhängt, im Gegenzug klare Vergehen nicht geahndet – und alle Schiedsrichter berufen sich dabei auf dieselbe Regel. Nehmen wir als Beispiel den 15. Spieltag. Da bekommt der Düsseldorfer Kaan Ayhan den Ball aus kurzer Distanz an den Ellbogen geschossen. Es gibt Elfmeter für Leipzig. So weit, so schlecht – doch warum gab es dann trotz Einschalten des Videoassistenten tags zuvor in Mainz keinen Strafstoß für Dortmund, obwohl der Mainzer Jeremiah St. Juste den Ball im Strafraum gleich mit beiden Armen festhielt? Nur zwei Beispiele aus einer langen Kette. Dabei war es doch früher so einfach: Der Schiedsrichter musste entscheiden, ob ein Handspiel absichtlich war. Das barg zwar die Fehlerquelle der subjektiven Wahrnehmung – aber das war ungleich erträglicher als die unsinnige neue Regel. Bernd Jolitz
Der ungeliebte Präsident. Er war gekommen, um Macht zu haben. Möglichst viel Macht. Er konnte damit aber nie umgehen. Als ich Reinhard Grindel zum ersten Mal getroffen habe, ein paar Monate vor seiner Wahl zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), wurde mir schnell klar, dass er weniger an der Sache, als mehr am Drumherum interessiert war. Als CDU-Politiker war ihm der Sprung in die erste Reihe der Bundespolitik nicht gelungen. Also wechselte er zum DFB. In Rekordzeit hat er sich dort derart unbeliebt gemacht, dass so recht keiner mehr mit ihm arbeiten wollte. Er selbst hat es aber genossen, sich bei den Großen tummeln zu dürfen. Zuletzt wollte Grindel lieber nicht mehr mit mir reden, er fühlte sich ungerecht behandelt. Gescheitert ist er allerdings nur an sich selbst. Eine sündhaft teure Uhr, die er von einem Gönner geschenkt bekommen hat, zwang ihn im April schließlich zum Rücktritt. Der Neue, Fritz Keller, geht deutlich geräuschloser und zurückhaltender ans Tagewerk. Gianni Costa
Das Grinsen ist zurück. Jürgen Klinsmann beeindruckt mich. Nicht, weil er mit Hertha BSC in der Bundesliga den schönsten Fußball spielen lassen würde. Auch nicht, weil er taktisch innovativer als seine Kollegen wäre. Oder, weil er einen markigen Spruch nach dem anderen raushauwürde. en Nein, Jürgen Klinsmann ist einfach nur Jürgen Klinsmann. Einer, der es nicht nötig hat, sich zu verstellen. Er ist ein Mann von Welt, lebt seit über 20 Jahren in Kalifornien. Genau diese Sunny-Boy-Mentalität tut der Bundesliga gut. Klinslässt mann sich nicht aus der Ruhe bringen. Er filmt die Hertha-FanAnpfiff kurve vor mit seinem Hangibt dy. Er am Spieltag noch EinbliFacebook-Live. cke via Klinsmann gibt sich nahbar. Und ist gleichzeiambitioniert, tig will mit der Hertha hoch hinaus. Gleichzeitig schafft er es, nicht arrogant rüberzukommen. Hertha BSC möchte wohl in der Winterpause namhafte Spieler wie Mario Götze und Granit Xhaka verpflichten. Für mich haben die Berliner den Königstransfer aber bereits getätigt: Klinsmann ist für dieses Unterfangen der perfekte Mann. Er sollte auch über diese Saison hinaus Trainer bleiben.
Pascal Biedenweg
Eine Chance für die Spannung.
Die Bundesliga schafft es seit langem mal wieder, mich Wofür che Woche zu überraschen. In den Vorjahren boten die Spiele und Ergebnisse irgendwie meist das ErwarManchmal tete. habe ich sie nur noch beiläufig registriert. Die Favoriten feierten Favoritensiege, an der Tabellenspitze gab es nur wenig Abwechslung. Diese Saison schaffen es die Teams, dass ich so manches Ergebnis staunend registriere. Es lohnt sich wieder, die Konferenzschaltungen und Ticker zu verfolgen. Die Bundesligisten halSpannung ten die – teils unfreiwillig – hoch. Vor dem Fernseher oder im Stadion weiß ich diese Saison eben nicht schon vor dem Anpfiff, wer als Sieger vom Platz geht. Allein schon, weil die Bayern auch mal verlieren. Irgendwie kann von den Top Acht jeder jeden schlagen. Da scheinen sich die Dortmunder gerade aus ihrer Krise befreit zu haben, da verlieren sie gegen Hoffenheim. Schalke hat sich unter dem neuen Trainer überraschend schnell wieder unter die Spitzenteams gespielt – und lässt doch Punkte liegen, wo man es nicht vermutet hätte. Aufsteiger Union Berlin tut sich regelmäßig als Favoritenschreck hervor. Borussia Mönchengladbach hat erst mit der Tabellenführung überrascht, die sie länger behauptete als ich es ihr zugetraut hätte, dann mit der Niederlage gegen Wolfsburg. Weniger erstaunlich ist, dass Herbstmeister RB Leipzig dieses Jahr offenbar wahr macht, was der Verein und sein Sponsor seit Jahren ankündigen. Leipzig ist ein ernst zu nehmender Titelkandidat.
Christina Rentmeister
Der Fußball wird zur Wissenschaft.
Wirklich elektrisiert hat mich der Fußball in diesem Jahr an zwei Abenden Anfang Mai. Es waren die beiden Rückspiele in den Halbfinalduellen der Champions League. Spannung stand wenig bis gar keine zu erwarten, weil der FC Barcelona den FC Liverpool im Hinspiel 3:0 geschlagen und Ajax Amsterdam in Tottenham 1:0 gewonnen hatte. Doch die Rückspiele entpuppten sich als denkwürdige Fußballspiele: Liverpool drehte den Vergleich mit einem denkwürdigen 4:0 noch zu seinen Gunsten, Tottenham lag auch im Rückspiel schon 0:2 zurück, bis die Briten in Holland in einer Halbzeit noch ein 3:2 herausschossen. Es waren zwei Spiele, die zeigten, was den Fußball im Innersten aus machen kann: Spannung, Emotionen, Wendungen, tolle Tore, tolpatschige Gegentore. Vor allem aber waren es mal zwei Spiele, die ihre Geschichten aus dem Spielverlauf erzählten und nicht aus schrägen Interviews oder Unter-der-Gürtellinie-Transparenten. Es ging einfach nur um Fußball, und wie er es schafft, Millionen zu begeistern. So einfach wie genial.
Doch der Fußball ist dabei, sich das Einfache zu nehmen. Er wird zu kompliziert. Wo Fans bei einem Traumtor nicht mehr intuitiv jubeln, weil sie erst abwarten, ob der Videobeweis nicht ein Foul beim Kopfballduell vorher ahndet und den Treffer aberkennt, verändert der Fußball seine DNA. Wo man als Fan ein abgeschlossenes Hochschulstudium braucht, um den Auslosungsmodus einer EM zu verstehen, läuft einiges falsch. Und wenn es drei Bezahl-Abos braucht, um Profifußball mit deutscher Beteiligung umfassend sehen zu können, macht das Kartellamt zwar seine Arbeit, aber das Zuschauen wird zur Schnitzeljagd mit der Fernbedienung. Den Fußball zu modernisieren heißt eben nicht, ihn zu verkomplizieren. In dieser Hinsicht war 2019 für mich ein Rückschritt.
Stefan Klüttermann