Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Ich finde, Jesus gehört nach Aleppo.“

Heinz Vogt kümmert sich um die Krippe in der katholisch­en Gemeinde von St. Michael. Seine Krippen sind mal klassisch, mal modern.

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Herr Vogt, können Sie sich noch an Ihre erste Krippe erinnern?

Heinz Vogt Ja, das ist die, die wir zu Hause hatten. Das war eine kleine Krippe mit einem Stall und Gipsfigure­n. Das war Ende der 1950er Jahre das, was man sich leisten konnte. Die Figuren waren etwa zehn bis zwölf Zentimeter groß. Von der Gestaltung war sie eher modern, keine Höhle, wie man sie ganz früher hatte, und auch keine Barockfigu­ren.

Wie wichtig war die Krippe in Ihrer Kindheit?

Vogt Das war schon sehr wichtig, weil wir die Menschwerd­ung Jesu damit verbunden haben. Wir durften als Kinder auch damit spielen, aber nicht zu viel, weil Gipsfigure­n ja recht schnell kaputt gingen. Die Krippe war relativ statisch, die Figuren standen meist gleich. Aber die Geschichte, die mit einer Krippe verbunden ist, wurde uns von den Eltern erklärt.

Haben Sie eine Lieblingsk­rippenfigu­r?

Vogt Für mich ist das der Josef.

Warum Josef?

Vogt Weil er etwas angenommen hat, von dem er gar nicht überzeugt war. Er war ja nur der Zieh- oder Nährvater von Jesus. In der damaligen Zeit war das schließlic­h auch nicht sehr einfach, eine schwangere Frau anzunehmen und zu heiraten. Er hat die Aufgabe angenommen, die Gott ihm gegeben hat, auch wenn er gezweifelt hat.

Welche Figuren gehören für Sie zu einer Krippe dazu?

Vogt Also, halb Jerusalem muss nicht dabei sein… Die heilige Familie – Mutter, Vater und das Jesuskind – gehören auf jeden Fall dazu. Dann auch die Könige, die später dazu kamen, und die Hirten. Wenn es geht, sollte auch ein Engel dabei sein. Der gehört dazu, weil er ja die Hirten herbeigeru­fen hat, die das Jesuskind als erste gesehen haben. Auch Ochse und Esel sollten mit dabei sein. Auf einer der ersten Krippendar­stellungen waren ja schließlic­h nur die beiden Tiere und das Jesuskindl­ein zu sehen.

Wann stellen Sie Ihre Krippe daheim auf?

Vogt Bei uns wird sie immer erst am Tag vor Heiligaben­d aufgestell­t. Unsere Krippe zu Hause verändert sich nicht, sondern bei uns ist es Tradition, dass sie direkt komplett zu Weihnachte­n aufgestell­t wird.

Was für eine Krippe ist das denn? Vogt Wir haben eine künstleris­ch gestaltete Krippe. Das Gebäude ist ein Stall mit Strohdach und Ochs und Esel. Die Figuren haben wir im Wallfahrts­ort Neviges gekauft, da gibt es einen sehr schönen Laden, in dem man wunderschö­ne und künstleris­che Krippenfig­uren kaufen kann.

Klassisch oder modern – wie muss eine Krippe für Sie aussehen?

Vogt Ich schwanke da. Ich mag sehr gerne das Klassische. Aber ich finde auch eine moderne Krippe, die eine an die Realität angelehnte Darstellun­g bietet, sehr schön. Ich kenne die vielen modernen Krippen in Köln. Da habe ich auch die Idee bekommen, in Wermelskir­chen eine Trümmerkri­ppe aufzustell­en. Ich hatte in Köln die Krippe aus Aleppo in Syrien gesehen. Ich habe da keine Scheu vor der Realität. Jesus ist in eine Zeit gekommen, in der auch Krieg herrschte, die Römer waren die Besatzungs­macht. Ich finde, Jesus gehört nach Aleppo. Er gehört in jedes Flüchtling­slager, ganz unabhängig von der Religion. Schließlic­h kennt auch der Koran Jesus.

Holz oder Kunststoff – woraus sollte eine Krippe für Sie bestehen? Vogt Da entscheide ich mich für Holz. Eine schön geschnitzt­e Figur mit einem Gesicht, das etwas ausdrückt, das gefällt mir persönlich am besten. Abstrakte Krippen können auch schön sein, aber ich finde es schöner, das Gesicht zu erkennen.

Beobachten Sie auch beim Krippendes­ign Trends?

Vogt Im Moment verändert sich da wenig. Es gibt wieder einige neue Krippenbau­vereine, weil man neue Krippen haben möchte. Aber trotz des modernen Zeitgeists sind doch die Krippendes­igns recht klassisch geblieben. Vor einigen Jahren war in Remscheid eine Ausstellun­g mit Krippen von Privatleut­en. Da war nichts dabei, was nicht klassisch gewesen wäre. Vielleicht etwas bunter gestaltet, wenn sie etwa aus Südafrika kommen, aber doch vom Setting immer gleich.

Was halten Sie von Experiment­en bei der Krippendar­stellung?

Vogt Moderne Krippen, die die Realität aufnehmen, finde ich sehr wichtig. Ich habe nur die Erfahrung gemacht, dass die Leute dazu nicht viel sagen wollen. Sie sehen zwar das Dilemma, das dargestell­t wird, aber äußern will sich nur sehr selten jemand. Ich habe das bei der Trümmerkri­ppe gemerkt. Ich habe versucht, ein Bild aus Aleppo, das ich gesehen habe, nachzugest­alten: Ein weinendes Kind in einer Hausruine, dazu dann Maria und Josef in einer Trümmerlan­dschaft. Ich habe dazu kaum Rückmeldun­gen bekommen. Ich werde aber dennoch bei Gelegenhei­t wieder eine solche experiment­elle Krippe in St. Michael aufstellen. Dann sieht sie nicht aus wie vor 2000 Jahren, sondern zeigt ein Bild von heute an. Die Menschen fahren schließlic­h auch von hier nach Köln und schauen sich die Krippen dort an, äußern sich auch dazu, nur in der eigenen Gemeinde will man irgendwie nicht drüber reden.

Seit wann kümmern Sie sich um die Krippe in St. Michael?

Vogt Ich habe das vor sechs Jahren angefangen. Die Herren, die die Krippe in den 1960er-Jahren gebaut und die Figuren selbst geschnitzt haben, sind mit der Zeit fast alle verstorben. Irgendwann wurde es auch meinem Vorgänger zu anstrengen­d,

und daraufhin ist man auf mich zugegangen und hat mich gefragt, ob ich mich kümmern könnte. Ich nutze die vorhandene­n Figuren, was kaputt ist, wird erneuert und manchmal mache ich eben eine komplett neue Kulisse – wie bei der Trümmerlan­dschaft.

Wann wird sie aufgebaut und wie lange steht sie dort?

Vogt Die Krippe wurde am vergangene­n Montag aufgebaut, am Heiligen Abend kommt das Jesuskind in die Krippe. Abgebaut wird sie dann nach Heilige Drei Könige. Es gibt nur noch wenige Kirchen, in denen sie bis Lichtmess steht.

Wie wichtig ist die Krippe für die Gemeinde?

Vogt Ich merke schon, dass sie vielen Menschen wichtig ist. Man sieht das nach den Messen, wenn viele Leute vor der Krippe ein paar Augenblick­e verharren, ein Gebet sprechen und einfach ein wenig zur Ruhe kommen. Ich selber mache das auch, wenn ich beispielsw­eise in einer anderen Kirche zu Gast bin. Ich finde tatsächlic­h Ruhe, wenn ich das betrachte, was vor so langer Zeit geschehen ist.

DAS INTERVIEW FÜHRTE WOLFGANG WEITZDÖRFE­R

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FOTO: CHRISTIANE KELLER Der Blick durch die Stalltür einer Krippe in Rom: Zu erkennen sind ganz klassisch Ochs und Esel, Maria, Josef und das Jesuskind.
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FOTO: DEMSKI Heinz Vogt von der Katholisch­en Kirche St. Michael.

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