Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
So streiklastig wird 2020
Die Ausgangslage für die kommende Tarifrunde ist gespalten: Die Industrie ächzt unter der Rezession, der Dienstleistungsbranche geht es noch gut.
DÜSSELDORF Am Sonntag sind in Frankfurt Vertreter der Kabinengewerkschaft Ufo und der Lufthansa zu einem Schlichtungsgespräch zusammengekommen – offenbar ohne den gewünschten Erfolg. Die Gewerkschaft kündigte am Abend an, dass nach den Weihnachtstagen jederzeit kurzfristig Streikaufrufe möglich seien. Der Konflikt dürfte sich damit noch bis ins nächste Jahr hineinziehen, das aber unterm Strich „ein eher ruhiges Tarifjahr“sein wird, so Hagen Lesch, Tarifexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW ). Andere konfliktreiche Branchen wie etwa die Bahn hatten zuletzt Tarifverträge mit langer Laufzeit abgeschlossen, die noch bis 2021 wirken. Der Fachkräftemangel hat nach Leschs Meinung noch nicht dazu geführt, dass die Gewerkschaften ihre Forderungen über die Maßen in die Höhe geschraubt haben. „Da spielt mit Sicherheit auch die niedrige Inflation eine Rolle. Langfristig werden die Gewerkschaften aber ihre verbesserte Verhandlungsposition wohl nutzen.“Eine Übersicht:
Metall- und Elektroindustrie In früheren Jahren galt die Branche als Leitwolf. Tarifabschlüsse orientierten sich an dem, was IG Metall und Gesamtmetall vereinbart hatten. Doch das ist vorbei. „Wie konfliktträchtig diese Runde wird, lässt sich nur sehr schwer abschätzen, weil die IG Metall forderungstechnisch bislang noch nicht die Katze aus dem Sack gelassen hat“, sagt Lesch. Der letzte Abschluss habe sehr komplexe Arbeitszeitregelungen mit sich gebracht. „Das hat die Attraktivität des Flächentarifvertrags sicher nicht erhöht. Das Grummeln in der Unternehmerschaft war groß.“Nehme die Komplexität weiter zu, könnte das zu entsprechenden Fluchtbewegungen führen. „Das weiß natürlich auch die IG Metall. Ich rechne deshalb damit, dass sich die Gewerkschaft bei ihrer Forderung auf das Entgelt konzentrieren wird und etwas für die Beschäftigungssicherung tun will. Zumal sich die Konjunktur gerade eintrübt“, so Lesch.
Öffentlicher Dienst Während die Industrie in die Rezession gerutscht ist, spüren die Dienstleistungsbranchen den Abschwung bislang noch nicht. „Entsprechend erwarte ich, dass Verdi und Beamtenbund selbstbewusst in die Tarifrunde bei Bund und Kommunen starten werden“, sagt Lesch. „Sie werden wie üblich mit dem Nachholbedarf der Beschäftigten von Bund und Kommunen gegenüber der Privatwirtschaft argumentieren.“Einen Einfluss könnte auch haben, dass Verdi mit dem neuen Chef Frank Werneke antritt. Der muss seine erste große Bewährungsprobe überstehen. Spannend wird auch sein, ob Verdi noch einmal das Thema Sozial- und Erziehungsdienst angeht. Dort hatte die Gewerkschaft vor fünf Jahren mit massiven Kita-Streiks Verbesserungen für die Erzieher rausgeschlagen. „Es ist durchaus denkbar, dass sie da noch mal einen strukturellen Nachschlag verlangen“, sagt Lesch. „Spielen die kommunalen Arbeitgeber da nicht mit, könnte es für viele Eltern wieder ungemütlich werden.“
Bauhauptgewerbe Der Bauboom hilft der IG Bau natürlich in den Verhandlungen für das Bauhauptgewerbe. Zumal es dort immer schwieriger wird, Fachkräfte zu bekommen.
Volkswagen „Abgasskandal hin oder her – VW verdient ja gutes Geld“, so Lesch. „Deshalb erwarte ich da keine Zurückhaltung. in der Vergangenheit lag Forderung ja mindestens bei dem, was in der Metall- und Elektroindustrie verlangt wurde.“