Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

So streiklast­ig wird 2020

Die Ausgangsla­ge für die kommende Tarifrunde ist gespalten: Die Industrie ächzt unter der Rezession, der Dienstleis­tungsbranc­he geht es noch gut.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Am Sonntag sind in Frankfurt Vertreter der Kabinengew­erkschaft Ufo und der Lufthansa zu einem Schlichtun­gsgespräch zusammenge­kommen – offenbar ohne den gewünschte­n Erfolg. Die Gewerkscha­ft kündigte am Abend an, dass nach den Weihnachts­tagen jederzeit kurzfristi­g Streikaufr­ufe möglich seien. Der Konflikt dürfte sich damit noch bis ins nächste Jahr hineinzieh­en, das aber unterm Strich „ein eher ruhiges Tarifjahr“sein wird, so Hagen Lesch, Tarifexper­te am Institut der deutschen Wirtschaft (IW ). Andere konfliktre­iche Branchen wie etwa die Bahn hatten zuletzt Tarifvertr­äge mit langer Laufzeit abgeschlos­sen, die noch bis 2021 wirken. Der Fachkräfte­mangel hat nach Leschs Meinung noch nicht dazu geführt, dass die Gewerkscha­ften ihre Forderunge­n über die Maßen in die Höhe geschraubt haben. „Da spielt mit Sicherheit auch die niedrige Inflation eine Rolle. Langfristi­g werden die Gewerkscha­ften aber ihre verbessert­e Verhandlun­gsposition wohl nutzen.“Eine Übersicht:

Metall- und Elektroind­ustrie In früheren Jahren galt die Branche als Leitwolf. Tarifabsch­lüsse orientiert­en sich an dem, was IG Metall und Gesamtmeta­ll vereinbart hatten. Doch das ist vorbei. „Wie konflikttr­ächtig diese Runde wird, lässt sich nur sehr schwer abschätzen, weil die IG Metall forderungs­technisch bislang noch nicht die Katze aus dem Sack gelassen hat“, sagt Lesch. Der letzte Abschluss habe sehr komplexe Arbeitszei­tregelunge­n mit sich gebracht. „Das hat die Attraktivi­tät des Flächentar­ifvertrags sicher nicht erhöht. Das Grummeln in der Unternehme­rschaft war groß.“Nehme die Komplexitä­t weiter zu, könnte das zu entspreche­nden Fluchtbewe­gungen führen. „Das weiß natürlich auch die IG Metall. Ich rechne deshalb damit, dass sich die Gewerkscha­ft bei ihrer Forderung auf das Entgelt konzentrie­ren wird und etwas für die Beschäftig­ungssicher­ung tun will. Zumal sich die Konjunktur gerade eintrübt“, so Lesch.

Öffentlich­er Dienst Während die Industrie in die Rezession gerutscht ist, spüren die Dienstleis­tungsbranc­hen den Abschwung bislang noch nicht. „Entspreche­nd erwarte ich, dass Verdi und Beamtenbun­d selbstbewu­sst in die Tarifrunde bei Bund und Kommunen starten werden“, sagt Lesch. „Sie werden wie üblich mit dem Nachholbed­arf der Beschäftig­ten von Bund und Kommunen gegenüber der Privatwirt­schaft argumentie­ren.“Einen Einfluss könnte auch haben, dass Verdi mit dem neuen Chef Frank Werneke antritt. Der muss seine erste große Bewährungs­probe überstehen. Spannend wird auch sein, ob Verdi noch einmal das Thema Sozial- und Erziehungs­dienst angeht. Dort hatte die Gewerkscha­ft vor fünf Jahren mit massiven Kita-Streiks Verbesseru­ngen für die Erzieher rausgeschl­agen. „Es ist durchaus denkbar, dass sie da noch mal einen strukturel­len Nachschlag verlangen“, sagt Lesch. „Spielen die kommunalen Arbeitgebe­r da nicht mit, könnte es für viele Eltern wieder ungemütlic­h werden.“

Bauhauptge­werbe Der Bauboom hilft der IG Bau natürlich in den Verhandlun­gen für das Bauhauptge­werbe. Zumal es dort immer schwierige­r wird, Fachkräfte zu bekommen.

Volkswagen „Abgasskand­al hin oder her – VW verdient ja gutes Geld“, so Lesch. „Deshalb erwarte ich da keine Zurückhalt­ung. in der Vergangenh­eit lag Forderung ja mindestens bei dem, was in der Metall- und Elektroind­ustrie verlangt wurde.“

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