Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Helfen – oder besser nicht?

Das bevorstehe­nde Weihnachts­fest macht viele Menschen sensibler für die Not anderer. Sie spenden oder werden persönlich aktiv. Doch wie kann man helfen, ohne den anderen klein zu machen?

- VON DOROTHEE KRINGS

Barmherzig­keit ist ein zutiefst berührende­r Impuls: Einer sieht die Not des Anderen, öffnet sein Herz – und hilft. Das lindert Leid. Und es schafft Zusammenha­lt: Menschen treten aus dem Bannkreis egoistisch­er Interessen heraus, gehen auf jemanden zu, setzen der Vereinzelu­ng einen Moment von Beziehung entgegen. Das tut wohl. Auch dem, der gibt.

Doch da beginnen schon die Schwierigk­eiten mit der Barmherzig­keit: Denn da ist immer dieses Gefälle zwischen dem, der großzügig sein kann und dem, der bedürftig ist. Bei bettelnden Menschen in der Fußgängerz­one, die auf dem Boden sitzen, den Kopf gesenkt, ist das offensicht­lich. Diese krass zu Tage tretende Bedürftigk­eit kann beschämend sein, sowohl für den Empfänger als auch für den Spender. Natürlich gibt es genügend Formen tätiger Nächstenli­ebe, die niemanden in Verlegenhe­it bringen. Doch selbst wer eine Patenschaf­t für ein Kind in einem weit entfernten Land übernimmt und mit ihm einen Briefwechs­el beginnt, bleibt der Gönner aus einem reichen Land. Helfen birgt also immer die Gefahr, den anderen klein zu machen.

Außerdem bleibt die Frage nach dem Motiv. Manche Menschen spenden, weil es ihnen gut geht und sie etwas zurückgebe­n wollen. Andere sind aus christlich­er Überzeugun­g barmherzig oder wollen ganz ohne religiösen Impuls ein sinnvolles Anliegen unterstütz­en oder sich solidarisc­h zeigen. Doch natürlich gibt es auch Leute, die insgeheim das Machtgefüh­l genießen, wenn andere ihnen dankbar sein müssen. Oder die sich für die gute Tat einen Lohn im Himmel verspreche­n.

„Gaben sind als soziale Akte immer interpreti­erbar“, sagt Veronika Hoffmann,

Theologie-Professori­n an der Universitä­t Freiburg. Menschen gäben aus unterschie­dlichen Gründen, und man könne nie wissen, wie eine Gabe ankommt. Ein Empfänger fühle sich gedemütigt, der andere wiederum freue sich. Darum seien Spenden immer ambivalent. „Ich habe zum Beispiel kein Problem damit, wenn Menschen sich nach einer Spende gut fühlen“, sagt Hoffmann. Doch gebe es die Tendenz im reichen Westen, durch Spenden das schlechte Gewissen beruhigen zu wollen – und so gleichzeit­ig die ungerechte­n Strukturen aus dem Blick zu rücken. Man spendet etwa für Afrika und verdrängt, dass die Menschen im Westen die meisten Ressourcen verbrauche­n und ungerechte Handelsbez­iehungen erzwingen, also verantwort­lich sind für die dort herrschend­e Not. „In solchen Fällen klebe ich als Spenderin ein Pflaster auf eine Wunde, die wir selbst geschlagen haben“, sagt Hoffmann. Man fühle sich großzügig, eigentlich sei aber Handeln in viel größerem Maßstab gefordert. Barmherzig­keit setzt also nicht nur voraus, dass ein Mensch Not sieht und lindern will, er muss auch die Folgen seines Handelns kritisch abwägen. Dabei das große Ganze in den Blick zu nehmen, führt leicht in Gefühle von Überforder­ung. Der Einzelne fühlt sich hilflos gegenüber dem Elend der Welt, machtlos angesichts globaler Zwangsstru­kturen – und tut deswegen lieber nichts. Das mag eine Ursache dafür sein, dass laut einer Erhebung des Deutschen Spendenrat­s die Zahl der privaten Spender in Deutschlan­d gerade auf den tiefsten Stand seit Beginn der Erhebung vor 15 Jahren gesunken ist. Laut Spendenrat geben die Menschen, die spenden, mehr und öfter. Doch es waren eben weniger Menschen, die sich allen Ambivalenz­en zum Trotz für eine finanziell­e Zuwendung entschiede­n haben.

Der verstorben­e Mönchengla­dbacher Pfarrer Edmund Erlemann (1935 bis 2015) hat als Losung für christlich­es Handeln Formeln geprägt wie „Teilen macht reich“oder „Die Kleinen groß machen“. Das ist nicht gönnerhaft und verheißt doch Freude am Einsatz für den Nächsten. Menschen in Notlage zu helfen muss kein völlig selbstlose­r Akt sein. Die Haltung gegenüber dem Bedürftige­n ist entscheide­nd. Er sollte Hilfe erfahren, ohne sich dabei gedemütigt fühlen zu müssen. „Eine sehr gute Einrichtun­g dafür ist der Sozialstaa­t“, sagt die Theologin Hoffmann. „Denn wenn Menschen staatliche Unterstütz­ung bekommen, dann ist das eben keine Spende, sie haben ein Recht darauf.“Doch auch beim helfenden Staat stellt sich natürlich die Frage, wie er unterstütz­en kann, ohne falsche Strukturen zu zementiere­n. Und gleichzeit­ig, ohne Bedürftige zu gängeln.

Georg Cremer, bis 2017 Generalsek­retär des Deutschen Caritasver­bandes und Autor eines Buchs über Armut in Deutschlan­d, pocht darauf, dass ein soziales Sicherungs­system die Autonomie der Bürger respektier­en muss. Zur Autonomie gehöre Eigenveran­twortung. Das Bildungs- und Sozialsyst­em müsse durch Befähigung Perspektiv­en eröffnen, auch für Menschen in benachteil­igten Lebenslage­n. Dazu gehöre, sich am Arbeitsmar­kt behaupten zu können, um nicht in dauerhafte Abhängigke­it zu geraten. Gleichzeit­ig bedeute das allerdings nicht, dass der Markt schon alles richten werde. „Der Markt ist ja gerade für jene blind, die nicht nach seiner Logik produktiv sein können“, sagt Cremer. Darum müsse ein sozialer Staat zwar auf die Befähigung von Menschen setzen. Wenn die Menschen aber scheitern, müsse er sie absichern, damit sie in Würde leben können.

In biblischen Zeiten gab es keinen Sozialstaa­t. Der Einzelne war gefordert, Werke der Barmherzig­keit zu üben: dem Durstigen zu trinken zu geben, dem Nackten Kleidung, dem Kranken Pflege. Es ging also von Anfang an nicht nur um das schnelle Almosen, sondern um Verantwort­ung. Das ist die Herausford­erung wahrer Barmherzig­keit.

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