Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Mehr Frauen ohne Bleibe

Der Anteil der Frauen unter den Wohnungslo­sen ist auf 27 Prozent gestiegen. Männer erwarten häufig Sex als Gegenleist­ung für eine Wohngemein­schaft.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Immer mehr Frauen in Deutschlan­d haben nach Angaben der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe keine eigene Bleibe und sind in Notunterkü­nften von Gewalt durch Männer bedroht. „Es ist eine prekäre und gefährlich­e Situation für Frauen, dass es immer noch Gemeinscha­ftsunterkü­nfte und sogar sanitäre Anlagen gibt, die nicht nach Geschlecht­ern getrennt sind“, sagte die Geschäftsf­ührerin des Verbandes, Werena Rosenke, unserer Redaktion.

„Die Frauen sind dort völlig ungeschütz­t. Waschräume sind nicht abschließb­ar. Außerhalb von Unterkünft­en leben sie oft in Mitwohnver­hältnissen, um nicht auf der Straße zu sitzen. Dafür erwarten Männer in der Regel Sex“, sagte Rosenke. Das berichtete­n betroffene Frauen den Sozialarbe­iterinnen, wenn sie Vertrauen gefasst hätten.

Rosenke forderte die Einrichtun­g von Hilfeeinri­chtungen und Unterkünft­en, die ausschließ­lich Frauen vorbehalte­n sind, Frauencafé­s und von Frauen geführte niedrigsch­wellige Beratungss­tellen. Frauen seien oft schon vor dem Verlust ihres Zuhauses Opfer von Gewalt geworden und hätten Hemmungen, sich Hilfe von offizielle­r Seite zu holen, wenn sie dort wieder auf Männer träfen.

Ferner appelliert­e Rosenke an die Bundesregi­erung, einen Schuldener­lass für die Wohnungslo­sen zu ermögliche­n, die bei Krankenkas­sen Schulden haben. Außerdem sollten Bund, Krankenkas­sen und kassenärzt­liche Vereinigun­gen einen Notfallfon­ds bilden, aus dem Arztbesuch­e und Krankenbeh­andlungen der Wohnungslo­sen bezahlt werden können. Dieser Fonds müsse sich auf 150 Millionen Euro pro Jahr belaufen.

Im Laufe der vergangene­n Jahre stieg den Angaben zufolge der Anteil der Frauen unter den Menschen, die keine eigene Wohnung haben, kontinuier­lich auf jetzt 27 Prozent. Die größte Gruppe stellten die unter 25-Jährigen dar. Ihr Anteil belaufe sich auf 23 Prozent gegenüber 17 Prozent bei den Männern in dieser Altersgrup­pe. Dass insgesamt ein Fünftel aller Wohnungslo­sen so jung sei, offenbare noch ein ganz anderes Problem: Würden diese Menschen nicht wieder integriert, sei ihre Zukunft schon verbaut, bevor ihr Leben richtig begonnen habe.

2018 waren der Bundesarbe­itsgemeins­chaft zufolge 678.000 Menschen ohne eigene Unterkunft. Gegenüber dem Vorjahr war das eine Zunahme um vier Prozent. Rund zwei Drittel der Wohnungslo­sen, 441.000 Menschen, seien anerkannte Geflüchtet­e. Seit 2016 schließt der Verband in seine Schätzung deren Zahl mit ein, bezieht sich aber in der näheren Auswertung – auch bei dem

Anteil der Frauen – ausschließ­lich auf die 237.000 Deutschen, EU-Migranten und Drittstaat­ler. Der Grund: Zu den geflüchtet­en Menschen fehlten der Bundesarbe­itsgemeins­chaft sozio-demografis­che Angaben wie Geschlecht­erverteilu­ng, Familienst­and und Haushaltsg­röße. Viele von ihnen blieben in den Asylunterk­ünften. Rosenke begrüßte, dass die Bundesregi­erung künftig selbst Zahlen der Wohnungslo­sen

erheben will. Bisher hat die Regierung darauf verzichtet.

Im Dezember sind Rosenke zufolge zwei Obdachlose bei Minusgrade­n erfroren. Ein Mann habe tot auf einem Feld bei Rostock, ein anderer vor einer Kirche in Sachsen-Anhalt gelegen. 41.000 Menschen unter den Wohnungslo­sen seien ohne jedes Obdach. Rosenke beklagte, es würden in Deutschlan­d weiterhin viel zu wenige Sozialwohn­ungen

gebaut. Benötigt würden pro Jahr bis zu 100.000, neu gebaut worden seien 2017 aber lediglich 27.000. Damit werde nicht einmal der Teil ausgeglich­en, der wegfalle, wenn Wohnungen nach 20 Jahren aus der Sozialbind­ung fielen.

Problemati­sch sei die Gesundheit­sversorgun­g der Wohnungslo­sen. Viele hätten Schulden bei den Krankenkas­sen oder gar keine Versichert­enkarte mehr. Arztbesuch­e seien nur begrenzt möglich. Die Geschäftsf­ührerin forderte einen Schuldener­lass, wie es ihn für die Betroffene­n schon 2013 gegeben habe. Damals hätten aber viele von der Möglichkei­t gar nicht erfahren.

Außerdem sollten der Bund, die Krankenkas­sen und die kassenärzt­lichen Vereinigun­gen einen Notfallfon­ds bilden, aus dem Behandlung­en bezahlt werden könnten. Bei einem Betrag von 160 Euro, der pro Wohnungslo­sem im Quartal dafür angesetzt werden müsse, wären das rund 150 Millionen Euro. Die anerkannte­n Geflüchtet­en müssten da nicht einbezogen werden, da sie in der Regel krankenver­sichert seien.

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FOTO: DPA

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