Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Ermittlungen nach Bahn-Irrfahrt in Bonn
Die Straßenbahn der Linie 66 wurde beschlagnahmt und wird nun untersucht. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
BONN In der Nacht zu Sonntag ist der Fahrer einer Straßenbahn der Linie 66 bewusstlos geworden, so dass die Bahn zwischen Siegburg und Bonn führerlos acht Haltestellen passierte, ohne anzuhalten. Passagiere brachen die Fahrerkabine auf und stoppten die Bahn dank telefonischer Anweisungen aus der Leitstelle des Verkehrsbetriebs. Es gab – fast schon ein Wunder – keine Verletzten. Die Bahn wurde an der Haltestelle Adelheidisstraße gestoppt, bis dorthin fährt die Bahn nicht auf der Straße, sondern parallel dazu. Einige Fragen sind offen, die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet.
Wie geht es dem Fahrer? Dem 47-jährigen Fahrer, der zwischenzeitlich im Krankenhaus war, geht es nach Angaben der Stadtwerke Bonn (SWB) inzwischen besser. Er habe das Angebot für eine psychologische Erstbetreuung angenommen, so eine SWB-Sprecherin.
Wie funktionieren die Notbremsen?
In der Bonner Geisterbahn haben die Fahrgäste vergeblich versucht, die Bahn zu stoppen. Sie betätigten zwar die Notbremsen, dies zeigte aber keine Wirkung. Grundsätzlich ist es so, dass die Notbremse von Fahrgästen gezogen werden kann, wenn die Bahn sich in der Nähe einer Haltestelle befindet, also höchstens acht Sekunden von einem Halt entfernt ist. Dann stoppt die Bahn ohne Zutun des Fahrers. Ist die Bahn in einem Tunnel, einer Unterführung oder auf freier Strecke, funktioniert die Bremsung nicht automatisch, sondern muss vom Fahrer eingeleitet werden. So soll zum Beispiel verhindert werden, dass eine brennende Bahn in einem Tunnel gestoppt wird. Zieht ein Fahrgast die Notbremse, bekommt der Fahrer ein Warnsignal und fragt über Lautsprecher nach dem Grund für das Betätigen
der Bremse. Dann fährt er weiter bis zu einer Stelle, wo er die Gäste sicher aussteigen lassen kann, oder zu einer Haltestelle. Da der Fahrer in Bonn aber bewusstlos war, konnte er die Bremsung nicht einleiten.
Wie reagierten Passagiere? Der Sankt Augustiner Manfred Daas war mit seiner Frau in dem Geisterzug unterwegs und saß mit circa 20 Personen im hinteren Wagen. „Wir hatten Todesangst, wir konnten nichts tun“, berichtet der 61-Jährige. „Wir hatten totale Angst, dass die Bahn entgleisen könnte.“
Warum haben die Stadtwerke nicht
den Strom abgestellt? Während der Irrfahrt hielt eine Zeugin permanent Kontakt zur Polizei. So erfuhr auch die Leitstelle der Stadtwerke in Bonn durch die Polizei, dass bei der Fahrt der Linie 66 etwas nicht stimmte. Eine SWB-Sprecherin teilte auf Anfrage mit: „Die Leitstelle hätte dann den Fahrstrom wegnehmen können und damit alle Bahnen im betroffenen Streckenabschnitt zum Stehen bringen können. Die Variante, die Bahn mit Hilfe der Fahrgäste zu stoppen, war unter den gegebenen Umständen die schnellste.“
Wie funktionieren die Sicherheitssysteme in den Nachbarstädten Köln
und Düsseldorf ? Genau wie in Bonn. Die Züge sind alle mit dem gleichen Sicherheitssystem ausgestattet, das in der Straßenbahn-Bau-und-Betriebsordnung (BO Strab) vorgeschrieben ist. Dort heißt es (Paragraf 38): „Personenfahrzeuge müssen eine Sicherheitsfahrschaltung haben, die bei Ausfall des Fahrzeugführers eine Bremsung bis zum Stillstand bewirkt.“Die BO Strab gilt für alle U-Bahnen, Stadtbahnen und Straßenbahnen in Deutschland.
Die Sicherheitsfahrschaltung, auch Totmannschaltung genannt, überprüft in regelmäßigen Abständen die Wachsamkeit des Fahrers. In den Stadtbahnen muss der Fahrer ein Pedal in einer bestimmten
Stellung gedrückt halten. Mit der Hand betätigt er den sogenannten Sollwertgeber, den Hebel also, mit dem die Bahn in Bewegung gesetzt wird. Wird entweder das Pedal oder der Hebel nicht mehr betätigt, ertönt ein akustisches Signal. Reagiert der Fahrer dann nicht, stoppt die Bahn nach fünf Sekunden automatisch. Die Bremswirkung wird aufgehoben, sobald das Pedal wieder betätigt wird. Da der Fahrer in Bonn in seinem Sitz zusammengesunken war, habe er möglicherweise dabei auf den Knopf gedrückt, vermutet die Stadtwerke-Sprecherin. Genaueres müssten aber die Untersuchungen ergeben.
Was sagt die Bezirksregierung zu
dem Vorfall? Ein Fachmann der Bezirksregierung Düsseldorf, die als Technische Aufsichtsbehörde ( TAB) für alle Straßenbahn- und Oberleitungsbusbetriebe in ganz NRW verantwortlich ist, ist am Montag in Bonn eingetroffen, um die beschlagnahmte Bahn zu untersuchen. Die Bezirksregierung Düsseldorf äußerte sich am Montag nur zurückhaltend. „Wir wollen uns ein Bild vor Ort machen“, erklärte Sprecherin Dagmar Groß, „wir wollen der Staatsanwaltschaft Bonn nicht vorgreifen.“Staatsanwaltschaft und Polizei haben Ermittlungen eingeleitet, die beschlagnahmte Bahn steht jetzt in einem Betriebshof in Bonn-Dransdorf. Unter anderem werde der Fahrtenschreiber ausgewertet. Er soll jetzt Auskunft über die Dauer und die Geschwindigkeit der Irrfahrt geben.
Erste Reaktionen von Experten Aus dem Aufsichtsrat des SWB-Verkehrsbetriebs kommt harsche Kritik am Unternehmen. „Es kann nicht hingenommen werden, dass bei Stadtbahnen – anders als im Eisenbahnverkehr – die Betätigung der Notbremse lediglich zum Alarmieren des Fahrers führt, aber nicht zum Abbremsen der Bahn“, sagte Verkehrsexperte Rolf Beu (Grüne).