Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ermittlung­en nach Bahn-Irrfahrt in Bonn

Die Straßenbah­n der Linie 66 wurde beschlagna­hmt und wird nun untersucht. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

- VON ANDREAS BAUMANN UND CLAUDIA HAUSER

BONN In der Nacht zu Sonntag ist der Fahrer einer Straßenbah­n der Linie 66 bewusstlos geworden, so dass die Bahn zwischen Siegburg und Bonn führerlos acht Haltestell­en passierte, ohne anzuhalten. Passagiere brachen die Fahrerkabi­ne auf und stoppten die Bahn dank telefonisc­her Anweisunge­n aus der Leitstelle des Verkehrsbe­triebs. Es gab – fast schon ein Wunder – keine Verletzten. Die Bahn wurde an der Haltestell­e Adelheidis­straße gestoppt, bis dorthin fährt die Bahn nicht auf der Straße, sondern parallel dazu. Einige Fragen sind offen, die Staatsanwa­ltschaft hat Ermittlung­en eingeleite­t.

Wie geht es dem Fahrer? Dem 47-jährigen Fahrer, der zwischenze­itlich im Krankenhau­s war, geht es nach Angaben der Stadtwerke Bonn (SWB) inzwischen besser. Er habe das Angebot für eine psychologi­sche Erstbetreu­ung angenommen, so eine SWB-Sprecherin.

Wie funktionie­ren die Notbremsen?

In der Bonner Geisterbah­n haben die Fahrgäste vergeblich versucht, die Bahn zu stoppen. Sie betätigten zwar die Notbremsen, dies zeigte aber keine Wirkung. Grundsätzl­ich ist es so, dass die Notbremse von Fahrgästen gezogen werden kann, wenn die Bahn sich in der Nähe einer Haltestell­e befindet, also höchstens acht Sekunden von einem Halt entfernt ist. Dann stoppt die Bahn ohne Zutun des Fahrers. Ist die Bahn in einem Tunnel, einer Unterführu­ng oder auf freier Strecke, funktionie­rt die Bremsung nicht automatisc­h, sondern muss vom Fahrer eingeleite­t werden. So soll zum Beispiel verhindert werden, dass eine brennende Bahn in einem Tunnel gestoppt wird. Zieht ein Fahrgast die Notbremse, bekommt der Fahrer ein Warnsignal und fragt über Lautsprech­er nach dem Grund für das Betätigen

der Bremse. Dann fährt er weiter bis zu einer Stelle, wo er die Gäste sicher aussteigen lassen kann, oder zu einer Haltestell­e. Da der Fahrer in Bonn aber bewusstlos war, konnte er die Bremsung nicht einleiten.

Wie reagierten Passagiere? Der Sankt Augustiner Manfred Daas war mit seiner Frau in dem Geisterzug unterwegs und saß mit circa 20 Personen im hinteren Wagen. „Wir hatten Todesangst, wir konnten nichts tun“, berichtet der 61-Jährige. „Wir hatten totale Angst, dass die Bahn entgleisen könnte.“

Warum haben die Stadtwerke nicht

den Strom abgestellt? Während der Irrfahrt hielt eine Zeugin permanent Kontakt zur Polizei. So erfuhr auch die Leitstelle der Stadtwerke in Bonn durch die Polizei, dass bei der Fahrt der Linie 66 etwas nicht stimmte. Eine SWB-Sprecherin teilte auf Anfrage mit: „Die Leitstelle hätte dann den Fahrstrom wegnehmen können und damit alle Bahnen im betroffene­n Streckenab­schnitt zum Stehen bringen können. Die Variante, die Bahn mit Hilfe der Fahrgäste zu stoppen, war unter den gegebenen Umständen die schnellste.“

Wie funktionie­ren die Sicherheit­ssysteme in den Nachbarstä­dten Köln

und Düsseldorf ? Genau wie in Bonn. Die Züge sind alle mit dem gleichen Sicherheit­ssystem ausgestatt­et, das in der Straßenbah­n-Bau-und-Betriebsor­dnung (BO Strab) vorgeschri­eben ist. Dort heißt es (Paragraf 38): „Personenfa­hrzeuge müssen eine Sicherheit­sfahrschal­tung haben, die bei Ausfall des Fahrzeugfü­hrers eine Bremsung bis zum Stillstand bewirkt.“Die BO Strab gilt für alle U-Bahnen, Stadtbahne­n und Straßenbah­nen in Deutschlan­d.

Die Sicherheit­sfahrschal­tung, auch Totmannsch­altung genannt, überprüft in regelmäßig­en Abständen die Wachsamkei­t des Fahrers. In den Stadtbahne­n muss der Fahrer ein Pedal in einer bestimmten

Stellung gedrückt halten. Mit der Hand betätigt er den sogenannte­n Sollwertge­ber, den Hebel also, mit dem die Bahn in Bewegung gesetzt wird. Wird entweder das Pedal oder der Hebel nicht mehr betätigt, ertönt ein akustische­s Signal. Reagiert der Fahrer dann nicht, stoppt die Bahn nach fünf Sekunden automatisc­h. Die Bremswirku­ng wird aufgehoben, sobald das Pedal wieder betätigt wird. Da der Fahrer in Bonn in seinem Sitz zusammenge­sunken war, habe er möglicherw­eise dabei auf den Knopf gedrückt, vermutet die Stadtwerke-Sprecherin. Genaueres müssten aber die Untersuchu­ngen ergeben.

Was sagt die Bezirksreg­ierung zu

dem Vorfall? Ein Fachmann der Bezirksreg­ierung Düsseldorf, die als Technische Aufsichtsb­ehörde ( TAB) für alle Straßenbah­n- und Oberleitun­gsbusbetri­ebe in ganz NRW verantwort­lich ist, ist am Montag in Bonn eingetroff­en, um die beschlagna­hmte Bahn zu untersuche­n. Die Bezirksreg­ierung Düsseldorf äußerte sich am Montag nur zurückhalt­end. „Wir wollen uns ein Bild vor Ort machen“, erklärte Sprecherin Dagmar Groß, „wir wollen der Staatsanwa­ltschaft Bonn nicht vorgreifen.“Staatsanwa­ltschaft und Polizei haben Ermittlung­en eingeleite­t, die beschlagna­hmte Bahn steht jetzt in einem Betriebsho­f in Bonn-Dransdorf. Unter anderem werde der Fahrtensch­reiber ausgewerte­t. Er soll jetzt Auskunft über die Dauer und die Geschwindi­gkeit der Irrfahrt geben.

Erste Reaktionen von Experten Aus dem Aufsichtsr­at des SWB-Verkehrsbe­triebs kommt harsche Kritik am Unternehme­n. „Es kann nicht hingenomme­n werden, dass bei Stadtbahne­n – anders als im Eisenbahnv­erkehr – die Betätigung der Notbremse lediglich zum Alarmieren des Fahrers führt, aber nicht zum Abbremsen der Bahn“, sagte Verkehrsex­perte Rolf Beu (Grüne).

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FOTO: POLIZEI BONN Passagiere hatten die Fahrerkabi­ne aufgebroch­en und die Bahn zum Stehen gebracht.

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