Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Digitale Heinzelmännchen
Mit ihren Angeboten erleichtern Uber, Flaschenpost und Co. das Leben. Die Mitarbeiter dagegen klagen häufig über die Arbeitsbedingungen.
Wie war es doch Zwanzigneunzehn dank dem Smartphone so bequem! Denn war man faul, man legte sich hin auf die Couch und pflegte sich. Und dann über Nacht wurde alles vollbracht. Männlein liefern und laufen, sie schuften und schnaufen. Und das für einen Hungerlohn, bei Uber, Lime und Amazon. Und eh ein Faulpelz noch erwacht, ist dank der Apps alles gemacht.
(frei nach August Kopisch, deutscher Erfinder, 1799 - 1853 )
Der Mann erzählt eine Geschichte über die Plattform-Ökonomie, jene große Verheißung des Digitalzeitalters. Plattformen bringen Angebot und Nachfrage zusammen, sorgen für Effizienz, sind praktisch für Kunden und lukrativ für Investoren. Deswegen wollen ganz viele Unternehmen Plattform sein, deshalb dominiert Amazon die Wirtschaft.
Die Geschichte des Mannes klingt aber weniger verheißungsvoll, was daran liegen könnte, dass er ein Verlierer der Geschichte ist. Sie spielt bei einer Mietwagen-Firma aus Neuss, das für den US-Fahrdienstvermittler Uber fährt. Der Mann erzählt, dass man ihm weder Urlaubsnoch Krankheitsgeld und statt des gesetzlichen Mindestlohns nur eine Umsatzbeteiligung von 40 Prozent angeboten habe. Er sollte stundenlang Auto fahren und dafür auch noch einen Teil des unternehmerischen Risikos tragen – als wäre er selbstständig und nicht angestellt. Das war er aber, weshalb diese Konditionen im Vertrag natürlich nicht auftauchten. „Die haben sofort gesagt: Wir halten uns nicht daran, was da steht“, erinnert er sich. Dem Mann schien das nicht geheuer, er kündigte. Seinen Lohn habe er bar in 200-Euro-Scheinen erhalten, sagt er.
Die Geschichte passt nicht zu dem hippen Image, das Uber pflegt. Wenn man das Unternehmen auf solche Fälle hinweist, weist es jegliche Verantwortung von sich. Die Mietwagen-Unternehmen würden selbstverständlich angehalten, sich an die Regeln zu halten, man selbst toleriere so etwas natürlich nicht. Aber man hört in der Digitalwirtschaft immer immer ähnliche Geschichten. Frohe Botschaften werden bei vielen Start-ups nur Anteilseignern verkündet, Barmherzigkeit gegenüber den Mitarbeitern gibt es offenbar deutlich seltener.
Tausende Menschen sind unterwegs, wie die Heinzelmännchen erledigen sie die Arbeit für andere – bei Lieferando, bei Flaschenpost, bei Amazon, Uber, Flixbus und den E-Scooter-Anbietern. Allen gemeinsam ist, dass sie für viele einfache Tätigkeiten Arbeitskräfte brauchen – und diese in der Regel nicht besonders gut bezahlen.
Unternehmen wie Uber und Flixbus lassen Mietwagen- oder Busfirmen für sich fahren, kassieren aber jeweils mehr als 20 Prozent Provision. Fahrer klagen immer wieder über die Arbeitsbedingungen. Laut „Stern“macht Flixbus Vorgaben, wie Busse auszusehen haben und wie Fahrer gekleidet sein müssen. Viele Fahrer, so berichtete es das Magazin 2018, müssten am Ende aber Teile ihrer Uniform selbst bezahlen, weil der Busunternehmer die Kosten einfach weiterreiche. Der „Spiegel“berichtete von Fahrern, die viel zu lange am Steuer säßen. Flixbus bestritt die Vorwürfe und erklärte, man toleriere solche Verstöße nicht.
Aber das ist ja noch nicht alles. Als Ende Juni die ersten E-Scooter in Düsseldorf und Köln auftauchten, da schwärmten nachts „Ranger“, „Juicer“oder „Hunter“aus. Die Begriffe haben die E-Scooter-Anbieter Tier, Lime und Co. diesen Gestalten verpasst. Die Jobtitel passen zum Stil der meist jungen Unternehmen und ihrem Geschäftsversprechen: günstige, leicht zugängliche E-Mobilität für kurze Wege in staugeplagten Großstädten. Doch nachts müssen die Roller eingesammelt und geladen werden. Dabei setzen die Anbieter größtenteils auf Freiberufler, die diese Aufgabe gegen geringe Entlohnung teils in ihrem WG-Zimmer übernehmen. Lime zahlte in der Vergangenheit angeblich vier Euro pro aufgeladenem Roller – die Kosten für Strom, Sprit und Steuer mussten die „Juicer“selbst übernehmen.
Andere Heinzelmännchen sieht man auch tagsüber: Sie hasten durch Treppenhäuser und Straßen, überreichen Päckchen und Pakete. Heute werden mehr transportiert denn je, allein im Weihnachtsgeschäft sollen es an Spitzentagen rund 19 Millionen Pakete in Deutschland sein. Nur die Zusteller profitieren davon nicht, egal bei welchem Anbieter. In dem Geschäft mischt auch Amazon mit, zumindest indirekt. Der Onlineanbieter ist auch eine Plattform, über die Logistiker ihre Dienste anbieten können, und arbeitet mit vielen Kurierdiensten und anderen Anbietern zusammen.
Um die Arbeitsbedingungen kümmert man sich aber offenbar nur unzureichend. Fahrer erzählen, sie müssten mehr als 100 Pakete am Tag ausliefern. Die „Bild am Sonntag“berichtete von einem Berliner Amazon-Partner, der mehr als 80 Boten beschäftigt und keine Mindestarbeitsdauer in die Verträge der Mitarbeiter schrieb – obwohl diese gesetzlich festgeschrieben ist. 9,20 Euro erhalten Fahrer dort demnach pro Stunde, einen Cent mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Ex-Fahrer anderer Amazon-Partner berichten, dass gezielt Flüchtlinge für die Jobs angesprochen würden, diese in einigen Fällen aber nicht bezahlt worden seien. Der Vorwurf: Hier würden gezielt Menschen in einer Notlage ausgebeutet.
Die Politik hat die Probleme erkann. Immer wieder gab es in der Paketbranche Schwarzarbeit, Sozialleistungsoder Sozialversicherungsbetrug. Inzwischen ist die Nachunternehmerhaftung in Kraft. Künftig sind Paketdienstleister verpflichtet, Sozialabgaben für säumige Subunternehmer nachzuzahlen. Zudem wurde ein Gesetz zur Umsatzsteuerhaftung beschlossen, nachdem speziell über Amazon immer mehr chinesische Händler ihre Waren verkauft hatten, ohne die Umsätze in Deutschland zu versteuern. Es gibt Stimmen, die fordern, die Gesetze deutlich auszuweiten und die Plattformen auch in anderen Bereichen in die Pflicht zu nehmen – etwa beim Thema Produktsicherheit.
Für die Plattformanbieter und ihre Investoren wären härtere Regeln ein Graus. Denn in der Plattform-Ökonomie profitieren sie davon, gewaltige Gewinnspannen bei minimalem Risiko zu haben, sobald sich ein Geschäftsmodell als tragfähig erweist. Auch deswegen werden Milliarden in solche Firmen gepumpt. Allein Uber hat laut „Crunchbase“mehr als 20 Milliarden Euro eingesammelt – obwohl das Unternehmen bis heute hohe Verluste macht.