Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Wenn Weihnachten vierstimmig klingt
Familie Müller versammelt sich Heiligabend nicht um den Braten, sondern um ihren Liederschatz und pflegt besondere Hausmusik.
ARNZHÄUSCHEN In dem einen Moment schlägt Gabriele Müller noch vorsichtig einen Ton am Klavier an, im nächsten ist das gemütliche Wohnzimmer in Arnzhäuschen schon mit froher Musik erfüllt – mit Stimmen, die nicht fragen müssen, mit Lobgesang und einem Klang, der berührt. Neun Sänger, drei Generationen, vier Stimmen. Das „Gloria, In Excelsis Deo“lässt Weihnachten werden – auch für die Familie selbst.
„Ich kann mich nicht an eine Zeit erinnern, in der wir nicht gesungen haben“, sagt Kristina Müller (37). Und das gilt für die Vorweihnachtszeit und Weihnachten, aber auch für die vielen anderen Tage im Jahr. In den Familien Jäger, Müller und Gräber gehören Noten, Melodien und Gesang zum täglichen Leben – eigentlich schon immer. Und auch deswegen klingen sie wie ein richtiger Chor. Auch deswegen atmen sie an den gleichen Stellen und können wie auf ein unsichtbares Zeichen hin einen Raum mit Melodien füllen.
„Mein Vater hat früher beim Kühemelken gesungen, meine Mutter auf dem Feld“, sagt Oskar Jäger, „es wurde überhaupt viel mehr gesungen.“Und so wuchsen auch die Töchter Susanne und Gabriele mit der Mundorgel und Chorälen auf, mit Liedern auf der Fahrt in den Urlaub, mit mehrstimmigem Gesang, mit Chören und Singkreisen. Und auch als sie selbst Familien gründeten, rissen die Melodien nicht ab. Susanne Jäger gab sie an Sohn Benjamin weiter – und Gabriele und Michael Müller sorgten dafür, dass in ihrem Zuhause für die Töchter Anne-Katrin, Kristina und Kornelia Melodien in der Luft lagen. „Das war für uns so selbstverständlich wie Vorlesen oder Geschichtenerzählen“, erinnert sich
Gabriele Müller heute. Die Mädchen gingen zum Ballett, um die Wirkung der Musik im ganzen Körper zu spüren. Und abends sangen sie vor dem Schlafengehen mit dem Papa „Die Blümelein, sie schlafen“. „Da war immer Musik“, sagt Kornelia Müller. Die Mädchen begleiteten ihre Eltern zu Proben der Kantorei, dann sangen sie selbst im Kinderchor. Und Weihnachten? Da wird unterm Baum gesungen. „Ich dachte als Kind immer, das machen alle so“, sagt Anne-Katrin, „ich kam gar nicht auf die Idee, dass das unsere eigene Familientradition ist.“Verloren haben die Familien ihre Melodien und Töne, ihre Noten und den
Gesang nie. Der Großvater singt im Bass, Benjamin lehnt sich an seine tiefe Stimme an. Michael Müller übernimmt den Tenor – „weil wir ja einen brauchen“, sagt er und schmunzelt. Susanne Jäger, Kristina und Gabriele Müller singen im Alt. Oma Elfriede, Kornelia und Anne-Katrin übernehmen den Sopran.
Und wer die beiden Schwestern dabei beobachtet, der entdeckt zuweilen, wie sie sich liebevoll in die Seite stoßen, dann geht der Daumen nach oben, und eine der Schwestern wechselt mitten im Stück in eine zweite, höhere Sopranstimme. Wortloses Verstehen. Beide haben Musik zwischenzeitlich zu ihrer
Profession gemacht – die eine als Musiklehrerin, die andere im Studium der Musikpädagogik und Musikwissenschaft. Und so haben sich die Stimmen in der Familie in den vergangenen Jahren zwar verändert – die Liebe zum Gesang aber nicht. „Wir singen Tischgebete“, erzählt Gabriele Müller. Und schon stimmt die Familie ein: „Aller Augen warten auf dich“.
Und Weihnachten? „Wir machen oft Wunschrunden, in denen sich jeder ein Lied wünschen kann“, erzählt Gabriele Müller. Susanne Jäger mag „Stücke mit Schmackes“. Traditionelle Lieder aus dem Quempas-Heft erklingen ebenso. „Lobt Gott ihr Christen alle gleich“, „Herbei oh ihr Gläubigen“, „Wie soll ich dich empfangen“.
Und wer die ganze Familie beim Singen so beobachtet, der erkennt schnell, was Michael Müller schließlich so zusammenfasst: „Singen ist Hören.“
Die Melodien wirken – nicht nur beim Zuhörer. „Das ist für mich eine Seelenmassage“, sagt Oskar Jäger, „der Gesang und der Klang tun der Seele gut.“Dann wird Weinachten.