Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Wenn Weihnachten in der Luft liegt
Eine kleine Gruppe des Posaunenchores klettert am Heiligen Abend hinauf in die Spitze des Turms der Evangelischen Stadtkirche.
WERMELSKIRCHEN Es ist eng, meistens ganz schön zugig, und mit den Instrumenten auf dem Rücken werden die letzten Sprossen der Leiter nicht selten zur Herausforderung. „Aber wenn ich da oben ankomme, dann wird Weihnachten“, sagt Friedhelm Preyer. Dann werfen er und seine Kollegen vom Posaunenchor einen genussvollen Blick aus den Fenstern der Kirchturmspitze – ein Blick über die Stadt. „Meistens geht dann gerade die Sonne unter, und der Blick lohnt sich doppelt“, sagt Tochter Sarina.
Lange allerdings können sich die Musiker nicht mit dem Blick über das Bergische Land aufhalten, schließlich haben sie eine Aufgabe, die so viel Tradition und Geschichte in sich trägt, dass es den Musikern eine Ehre ist, jedes Jahr das nächste Kapitel aufzuschlagen. Und trotzdem ist es gar nicht so leicht, fünf bis acht Musiker zu finden, die zwischen dem ersten und dem zweiten Gottesdienst den Aufstieg hinauf auf den Turm wagen. „Wir spielen danach ja im Gottesdienst“, erzählt Friedhelm Preyer, „und dann ist es schwierig, einen Ansatz, ein Gefühl für das Instrument und einen guten Klang zu bekommen, wenn wir zuvor auf dem kalten Turm gespielt haben.“Und trotzdem: So wie Friedhelm Preyer ist es auch Lothar Gründer mit seiner Tuba, Stefan Wilke mit der Posaune, Hans Arno Selbach mit dem Waldhorn und Henning Hoff mit der Trompete eine Herzensangelegenheit, am Heiligen Abend die Tradition des Turmblasens am Leben zu erhalten.
Die Besetzung wechselt immer mal wieder. „Früher sind die Menschen aus den Dörfern zu Fuß zur Kirche gekommen“, erzählt Lothar Gründer, „und dann hörten sie schon aus der Ferne die Klänge der Bläser vom Turm.“Die Melodien ließen schon auf dem Weg Weihnachten werden und luden die Menschen zum Feiern in die Kirche ein. Und auch heute, Dienstag, hören die Wermelskirchener auf dem Weg zum Gottesdienst um 16.30 Uhr die weihnachtlichen Melodien, die vom Turm durch die drei geöffneten Fenster durch die Luft schallen. „Wir sehen, wie die Menschen ankommen und am Turm stehen bleiben“, sagt Lothar Gründer. Und auch für ihn mache dieser Moment da oben auf dem Turm Weihnachten aus.
Deswegen überwinden die Bläser auch Widrigkeiten – wie damals, als die Leitern, die hoch in die Spitze des Turms führen, morsch geworden waren und das Turmblasen verboten wurde. Irgendwann sorgten die Musiker einfach selbst für neue Leitern, setzten sie auch immer mal wieder in Schuss – das Holz transportierten sie außen am Turm bis in die Spitze. Trittsicherheit und Schwindelfreiheit brauche man aber auch heute noch, um die Aufgabe zu übernehmen, sagen die Bläser. Und wenn der Turm bei Wind und Wetter zu schwanken beginnt, dann dürfe man sich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen, sagt Stefan Wilke. Manchmal seien die Notenhefte hinterher klatschnass. Und einmal hätten sich beim Abstieg plötzlich die Glocken in Bewegung gesetzt, um zum Gottesdienst einzuladen. „Eigentlich haben wir eine Absprache mit dem Küster, der auf unser Zeichen wartet, um für den nächsten Gottesdienst zu läuten“, sagt Friedhelm Preyer. Denn setzen sich die Glocken in Bewegung, wird es laut, eng und wegen der Schwingung extrem ungemütlich. „Zu dritt sind wir damals wieder nach oben geflüchtet“, sagt Preyer. Passiert ist nichts – aber die drei Musiker waren nicht pünktlich zum Gottesdienst zurück im Posaunenchor.
Wenn sich die Bläser Dienstagnachmittag auf den Weg auf den Turm machen, dann haben sie wie immer einen Glühwein im Gepäck, dann halten wie immer die selbst gebastelten Gurte die schweren Instrumente auf dem Rücken. Und wie immer darf dann der jüngste Teilnehmer um 16 Uhr, wenn die Stundenglocke Katrinchen geschlagen hat, an dem dünnen Drahtseil ziehen, das direkt zur Glocke führt: Wer dann lauscht, hört einen fünften Schlag – bevor die festlichen Melodien über die Stadt schweben.