Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Der tägliche Kampf um
Attacken auf Fußballschiedsrichter waren das Aufregerthema des Jahres im Amateursport. Konfliktmanagement-Seminare sollen helfen, den Respekt zurückzubringen. Doch viele Opfer stellen sich die Sinnfrage in Bezug auf ihr Hobby.
DÜSSELDORF Als er vom ersten Schlag am Hinterkopf getroffen wird, sinkt er sofort zu Boden. Er hofft, es werde der letzte gewesen sein. Doch es folgen weitere Ohrfeigen und Tritte. Irgendwann sitzt Kasper T.* in seiner Schiedsrichterkabine, sein Trikot ist zerrissen, Tränen kullern. Wenn er Schritte und Stimmen vor der Tür hört, zuckt er zusammen. Er stellt sich immer wieder diese Fragen: Warum? Warum tut er sich das an? Warum ist das alles so aus dem Ruder gelaufen. Das Spiel in der Amateurklasse. Es ging doch um nichts. Und doch waren so viele Emotionen im Spiel. Er hatte einen Spieler des Feldes verwiesen. Doch der sah das anders und schlug plötzlich zu. Für diese Geschichte hier wollten sich beide erstmals wieder treffen. Sie wollten zurück zum Miteinander finden. Aber es ging nicht. Noch nicht. Kasper hat schnell gemerkt, dass er noch nicht bereit ist für Vergebung. „Das ist“, sagt er, „alles etwas viel für mich gewesen. Ich muss erstmal für mich selbst alles ordnen.“
Die Zahlen sprechen für sich. Angriffe auf Schiedsrichter haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Einer Zählung des DFB von mehr als 1,3 Millionen per Spielbericht ausgewerteten Partien zufolge waren es in der vergangenen Saison 2906 Angriffe auf Referees – eine leichte Steigerung gegenüber der Vorsaison (2866), obwohl rund 50.000 Spiele weniger absolviert wurden. Besonders schwere Fälle hatten Schlagzeilen gemacht. In Hessen wurde ein Kreisliga-Schiedsrichter von einem Spieler bewusstlos geschlagen, nachdem er den Akteur vom Platz gestellt hatte. Er musste mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden. Der Spieler wurde für seine Tätlichkeit drei Jahre gesperrt. In Duisburg machten ein Spieler und ein Funktionär Jagd auf den Schiedsrichter und traten auf dessen am Boden liegenden Assistenten ein. Der Spieler wurde fünfeinhalb Jahre, der Funktionär für sieben Jahre vom Vereinssport gesperrt. Angriffe auf Schiedsrichter – sie waren 2019 das große Aufregerthema im Amateurfußball. Von Barmherzigkeit war oftmals nichts zu spüren.
Als Erster der drei Verbände in NRW hat jetzt der Fußballverband Mittelrhein (FVM) reagiert. „Ohne Unparteiische ist unser Sport nicht denkbar. Deshalb müssen sie konsequent geschützt werden. Wir wollen zurück zu einem respektvollen Umgang aller Akteure miteinander auf dem Platz“, erklärt FVM-Präsident Bernd Neuendorf. Aber auch im Fußballverband Niederrhein (FVN) gibt es schon ganz konkrete Ideen zum Schutz der Schiedsrichter. Alle Unparteiischen sollen im Konfliktmanagement geschult werden, um mögliche Übergriffe bereits im Keim ersticken zu können. „Wir verfolgen diese Entwicklung in den unteren Klassen mit großer Sorge. Es geht um den Schutz der Schiedsrichter, die einige offenbar als Freiwild empfinden“, sagt Peter Frymuth, Vize-Präsident des DFB. „Diese Vorfälle sollte alle sensibilisiert haben, sich nun endlich gegen diese Entwicklung zu stellen. Schiedsrichter sind nicht der Gegner. Sie verdienen Respekt. Wenn wir darauf keine Antwort finden, wird es schwierig, den Spielbetrieb in allen Bereichen aufrechtzuerhalten. Es werden sich dann schlicht keine Schiedsrichter mehr finden.“Was der Verband nicht will: Türsteher, die an der Seitenlinie stehen und notfalls einspringen, um dem Referee aus der Gefahrenzone zu bringen. Für das so oft proklamierte Fair-Play wäre es selbstredend eine Bankrotterklärung.
Für Kasper T. ist das alles noch sehr weit weg. „Ich mache mir gerade über so viele Dinge Gedanken. Ob es ein Zurück auf den Platz gibt, weiß ich noch nicht.“Kasper war der einzige, der sich, wenn auch nur anonymisiert, äußern wollte. Andere Schiedsrichter hatten abgesagt oder sich nicht zurückgemeldet. Es rumort nach wie vor gewaltig in der Szene, die es nicht für ausreichend ansieht, dass sie mit „Konfliktmanagement-Seminaren“beruhigt werden soll. Die Schiedsrichter wollen ernst genommen werden. Sie wollen respektiert werden. Sie wollen auf dem Platz stehen und machen, was sie lieben. Und keine Angst haben. Der Weg zurück zum Miteinander ist keine Einbahnstraße. Alle sollten sich bewusst machen, was auf dem Spiel steht.
*Name von der Redaktion geändert.