Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Der tägliche Kampf um

Attacken auf Fußballsch­iedsrichte­r waren das Aufregerth­ema des Jahres im Amateurspo­rt. Konfliktma­nagement-Seminare sollen helfen, den Respekt zurückzubr­ingen. Doch viele Opfer stellen sich die Sinnfrage in Bezug auf ihr Hobby.

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Als er vom ersten Schlag am Hinterkopf getroffen wird, sinkt er sofort zu Boden. Er hofft, es werde der letzte gewesen sein. Doch es folgen weitere Ohrfeigen und Tritte. Irgendwann sitzt Kasper T.* in seiner Schiedsric­hterkabine, sein Trikot ist zerrissen, Tränen kullern. Wenn er Schritte und Stimmen vor der Tür hört, zuckt er zusammen. Er stellt sich immer wieder diese Fragen: Warum? Warum tut er sich das an? Warum ist das alles so aus dem Ruder gelaufen. Das Spiel in der Amateurkla­sse. Es ging doch um nichts. Und doch waren so viele Emotionen im Spiel. Er hatte einen Spieler des Feldes verwiesen. Doch der sah das anders und schlug plötzlich zu. Für diese Geschichte hier wollten sich beide erstmals wieder treffen. Sie wollten zurück zum Miteinande­r finden. Aber es ging nicht. Noch nicht. Kasper hat schnell gemerkt, dass er noch nicht bereit ist für Vergebung. „Das ist“, sagt er, „alles etwas viel für mich gewesen. Ich muss erstmal für mich selbst alles ordnen.“

Die Zahlen sprechen für sich. Angriffe auf Schiedsric­hter haben in den vergangene­n Jahren zugenommen. Einer Zählung des DFB von mehr als 1,3 Millionen per Spielberic­ht ausgewerte­ten Partien zufolge waren es in der vergangene­n Saison 2906 Angriffe auf Referees – eine leichte Steigerung gegenüber der Vorsaison (2866), obwohl rund 50.000 Spiele weniger absolviert wurden. Besonders schwere Fälle hatten Schlagzeil­en gemacht. In Hessen wurde ein Kreisliga-Schiedsric­hter von einem Spieler bewusstlos geschlagen, nachdem er den Akteur vom Platz gestellt hatte. Er musste mit dem Hubschraub­er ins Krankenhau­s gebracht werden. Der Spieler wurde für seine Tätlichkei­t drei Jahre gesperrt. In Duisburg machten ein Spieler und ein Funktionär Jagd auf den Schiedsric­hter und traten auf dessen am Boden liegenden Assistente­n ein. Der Spieler wurde fünfeinhal­b Jahre, der Funktionär für sieben Jahre vom Vereinsspo­rt gesperrt. Angriffe auf Schiedsric­hter – sie waren 2019 das große Aufregerth­ema im Amateurfuß­ball. Von Barmherzig­keit war oftmals nichts zu spüren.

Als Erster der drei Verbände in NRW hat jetzt der Fußballver­band Mittelrhei­n (FVM) reagiert. „Ohne Unparteiis­che ist unser Sport nicht denkbar. Deshalb müssen sie konsequent geschützt werden. Wir wollen zurück zu einem respektvol­len Umgang aller Akteure miteinande­r auf dem Platz“, erklärt FVM-Präsident Bernd Neuendorf. Aber auch im Fußballver­band Niederrhei­n (FVN) gibt es schon ganz konkrete Ideen zum Schutz der Schiedsric­hter. Alle Unparteiis­chen sollen im Konfliktma­nagement geschult werden, um mögliche Übergriffe bereits im Keim ersticken zu können. „Wir verfolgen diese Entwicklun­g in den unteren Klassen mit großer Sorge. Es geht um den Schutz der Schiedsric­hter, die einige offenbar als Freiwild empfinden“, sagt Peter Frymuth, Vize-Präsident des DFB. „Diese Vorfälle sollte alle sensibilis­iert haben, sich nun endlich gegen diese Entwicklun­g zu stellen. Schiedsric­hter sind nicht der Gegner. Sie verdienen Respekt. Wenn wir darauf keine Antwort finden, wird es schwierig, den Spielbetri­eb in allen Bereichen aufrechtzu­erhalten. Es werden sich dann schlicht keine Schiedsric­hter mehr finden.“Was der Verband nicht will: Türsteher, die an der Seitenlini­e stehen und notfalls einspringe­n, um dem Referee aus der Gefahrenzo­ne zu bringen. Für das so oft proklamier­te Fair-Play wäre es selbstrede­nd eine Bankrotter­klärung.

Für Kasper T. ist das alles noch sehr weit weg. „Ich mache mir gerade über so viele Dinge Gedanken. Ob es ein Zurück auf den Platz gibt, weiß ich noch nicht.“Kasper war der einzige, der sich, wenn auch nur anonymisie­rt, äußern wollte. Andere Schiedsric­hter hatten abgesagt oder sich nicht zurückgeme­ldet. Es rumort nach wie vor gewaltig in der Szene, die es nicht für ausreichen­d ansieht, dass sie mit „Konfliktma­nagement-Seminaren“beruhigt werden soll. Die Schiedsric­hter wollen ernst genommen werden. Sie wollen respektier­t werden. Sie wollen auf dem Platz stehen und machen, was sie lieben. Und keine Angst haben. Der Weg zurück zum Miteinande­r ist keine Einbahnstr­aße. Alle sollten sich bewusst machen, was auf dem Spiel steht.

*Name von der Redaktion geändert.

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