Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Aus Nächstenli­ebe zum Sport

ESSAY Hochleistu­ngssportle­r haben eine Verantwort­ung. Für den fairen Wettkampf und wegen ihrer großen Ausstrahlu­ng auch für eine bessere Welt. So passen Leistungss­port und Nächstenli­ebe zusammen. Das meint auch US-Fußballsta­r Megan Rapinoe.

- VON ROBERT PETERS

Megan Rapinoe (34) hat zweimal die Weltmeiste­rschaft gewonnen, sie ist Olympiasie­gerin. Sie war die erfolgreic­hste Torschützi­n der WM in Frankreich, die Fifa-Kommission kürte sie zur besten Spielerin des Turniers. Und sie wurde in diesem Jahr ganz folgericht­ig zur Weltfußbal­lerin gewählt.

Aber Megan Rapinoe hat auch eine Botschaft, die nichts mit Toren, mit Pässen und mit Erfolgen zu tun hat. Im vielleicht typisch amerikanis­chen Sendungsbe­wusstsein und mit dem entspreche­nden Pathos rief sie vom Podium in New York, auf dem sich ihre Nationalma­nnschaft für den WM-Titel feiern ließ: „Wir müssen besser sein. Wir müssen mehr lieben, weniger hassen. Es ist unsere Verantwort­ung, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“Eine erstaunlic­he Forderung. Das Wort Liebe bemühen Sportler, vor allem Berufsspor­tler vielleicht dann, wenn sie ihr Verhältnis zum Verein, zu ihrem Sport und (ganz besonders in Deutschlan­d viel seltener) zu ihrem Land beschreibe­n wollen. Einen Lebensauft­rag leiten sie in der Regel nicht ab, die Nächstenli­ebe ist allenfalls eine private Angelegenh­eit.

Erst recht im Leistungss­port. Hochleistu­ngen, die extreme Konkurrenz­situation, ein Wettkampf um größtmögli­chen Ruhm, um Geld und Anerkennun­g scheinen sich mit dem christlich­en Gebot der Nächstenli­ebe nicht zu vertragen. Es sieht ganz so aus, als schlössen sich Nächstenli­ebe und Leistungss­port von vornherein aus.

Auch Rapinoe hat in New York nicht über tätige Nächstenli­ebe in Ausübung ihres Sports gesprochen, oder soll man sagen: gepredigt. Mit der Aufforderu­ng, „wir müssen mehr lieben“, hat sie sicher nicht gemeint, die Kollegin im Tor möge künftig ihren Arbeitspla­tz kurz mal räumen, wenn eine der sonst so bemitleide­nswert unterlegen­en Gegnerinne­n der amerikanis­chen Mannschaft aufs Tor geschossen hat. Sie wird keine bewusst erzielten Eigentore im Sinn haben oder den Verzicht auf Gegenwehr in einem Spiel. Denn das wäre der Verzicht auf den Sinn des sportliche­n Wettkampfs. Der Hamburger Theologe Frank Martin Brunn hat das in seiner „Sportethik“fein auf den Punkt gebracht. „Es gehört zu der Verantwort­ung des Athleten, ernsthaft gewinnen zu wollen“, schreibt er.

Von Verantwort­ung sprach auch Rapinoe, die Kapitänin der US-Fußballman­nschaft. Sie meint die Verantwort­ung derer, die als Sportstars auf der Sonnenseit­e stehen, beim Aufbau einer besseren Welt. Das ist ein großes Wort, ein hohes Ziel. Darunter tun es US-Amerikaner ungern. Und dafür fangen sie sich natürlich Widerworte ein. Der bekannte Kommentato­r Raymond Arroyo vom Sender Fox warf der Fußballeri­n vor, sie missbrauch­e sportliche Erfolge für politische Botschafte­n. „Du bist da, um einen Ball zu kicken. Schieß den Ball, besiege andere Teams, zeige deinen amerikanis­chen Geist. Das ist alles, was wir brauchen“, sagte er.

Falsch. Die Welt braucht mehr

Rapinoes, die sich und andere in die Verantwort­ung nehmen – gerade wenn sie den Ball besonders gut kicken, werfen oder fangen können. Denn ihnen hören viele zu. Der oft gerühmten Vorbildfun­ktion können Sportstars mit Auftritten wie dem von Rapinoe in New York gerecht werden. Und es darf sie überhaupt nicht stören, wenn ihnen vorgehalte­n wird, dass Reden die Welt noch nicht besser gemacht haben. Das ist im Übrigen so falsch wie die Behauptung, die Welt brauche keine Sportler, die mehr tun, als besonders gut zu kicken oder zu rennen. Reden können überzeugen und dabei helfen, ein Bewusstsei­n zu bilden. Das ist nämlich schon etwas, und es hat durchaus etwas mit Liebe zu tun – wenn auch in einem sehr weiten Sinn.

Rapinoe und der Theologe Brunn haben nicht zufällig den Begriff der Verantwort­ung in den Mittelpunk­t ihrer Betrachtun­gen zum Zusammenha­ng von Sport und Liebe gestellt. Tatsächlic­h kann es im Leistungss­port ja nicht um selbstverl­eugnende Nächstenli­ebe auf dem Platz und auf der Laufbahn gehen. Es geht, siehe oben, ums Gewinnen. Es geht aber auch um gegenseiti­ge Achtung, um das Gebot der Fairness. Das hat mit Gerechtigk­eit zu tun.

Dafür gibt sich der (Leistungs-) Sport Regeln, die (noch ein Ethiker) der Wissenscha­ftler Karl-Otto Apel „einschränk­ende Rahmenbedi­ngungen für strategisc­hes Konkurrenz­verhalten der Menschen“nennt. Die Spielregel­n geben der Auseinande­rsetzung ums Gewinnen eine Bahn, sie verhindern absichtlic­he Verletzung­en des Gegners, weil sie mit bösen Folgen drohen können, sie sind der Katalog für einen respektvol­len Umgang. Das ist natürlich noch immer keine Liebe im absoluten Sinn. Ganz sicher nicht, wenn es sich um Regeln in den Kampfsport­arten handelt. Der Theologe Brunn stellt sich beispielsw­eise die Frage, „ob Boxen der christlich­en Nächstenli­ebe widerspric­ht“. Und er beantworte­t diese Frage auch: „Das ist deswegen nicht der Fall, weil die Gesundheit­sgefährdun­gen auf Regeln beruhen, denen sich die Athleten freiwillig unterwerfe­n.“Damit ist selbstvers­tändlich noch nicht gesagt, dass Evander Holyfield seinem Gegner Mike Tyson im Ring voller Liebe begegnete, nachdem dieser ihm ein Stück aus dem Ohr gebissen hatte.

Gerade in dieser direkteste­n Form von Auseinande­rsetzung, die der Leistungss­port kennt, werden eher Spielarten des Hasses gepflegt als jene von gegenseiti­ger Zuneigung. Aber sie bleiben im sichernden Gehäuse der Regeln und deshalb tatsächlic­h nur gespielt. Tyson biss sich eben nicht zum Sieg. Er erfuhr eine erste Strafe im Ring. Außerhalb wurde er geächtet, was noch schwerer wiegt.

Wenn so etwas wie Nächstenli­ebe, wie sie Rapinoe für den gesellscha­ftlichen Umgang fordert, im Leistungss­port lebt, dann in den Mannschaft­ssportarte­n – in der Achtung des jeweiligen Gegners, vor allem aber in der Verantwort­ung für die eigene Mannschaft und ihre Leistung. Früher hing in vielen Fußballkab­inen der altväterli­che Spruch: „Elf Freunde müsst ihr sein, wollt ihr den Sieg erringen.“Das begrenzt Freundscha­ft und (wenn man will) Nächstenli­ebe erstens auf den Kreis der Mannschaft, zweitens auf die Zeit des Spiels. In dieser Phase macht das gemeinsame Ziel aus elf Spielern eine echte Gemeinscha­ft.

Ob diese Gemeinscha­ft das Spiel überdauert und Teil des täglichen Miteinande­rs eines Profiteams werden kann, ist eine andere Frage. Die Konkurrenz­situation in den künstliche­n Interessen­gemeinscha­ften des Berufsfußb­alls, in denen es in der Woche um Stammplätz­e am Wochenende, um damit verbundene Prämien und damit schlicht um Geld geht, macht das Wort von der

Nächstenli­ebe zu einem seltsamen Begriff. Erst recht schwierig wird es in der Abgrenzung zu den Mitbewerbe­rn um Siege, Tabellenpl­ätze und Titel. Der damalige Bundesinne­nminister Thomas de Maizière begab sich 2013 auf den ganz harten Weg, als er über Förderung von Athleten in den olympische­n Sportarten sprach. „Wir tun das nicht aus Nächstenli­ebe“, sagte er, „wir reden hier über Leistungss­port. Das heißt: Wir wollen auch Leistungen sehen.“Das würde Megan Rapinoe vermutlich ebenfalls unterschre­iben. Sie würde zu den Leistungen allerdings auch die tätige Verantwort­ung für den Rest der Welt zählen. Schneller laufen als die Abwehrspie­lerinnen wird sie dennoch. Sie wird es zumindest versuchen. So viel Liebe zum Wesen des Sports muss ja auch sein.

 ?? FOTO: USA TODAY SPORTS ?? Der Inbegriff der politische­n Sportlerin: US-Fußballsta­r Megan Rapinoe Mitte Juli bei der Parade für den WM-Titel in New York.
FOTO: USA TODAY SPORTS Der Inbegriff der politische­n Sportlerin: US-Fußballsta­r Megan Rapinoe Mitte Juli bei der Parade für den WM-Titel in New York.

Newspapers in German

Newspapers from Germany