Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Hochste Zeit fur eine Steuerrefo­rm

Der Chef der Wirtschaft­sweisen, Christoph Schmidt, über Tempolimit­s, die SPD-Steuerplän­e und ein Verbot von Negativzin­sen.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Die Industrie baut erstmals seit 2010 Stellen ab. Wie schwer wird die Rezession?

SCHMIDT Die Industrie steckt in der Tat in einer Rezession, doch die Gesamtwirt­schaft realisiert bislang lediglich schwache Zuwachsrat­en. Wir im RWI erwarten für das laufende Jahr ein Wachstum von 0,5 Prozent und für das kommende Jahr von 1,1 Prozent.

Wie lange braucht die Industrie, um aus dem Tal zu kommen?

SCHMIDT So schnell wird das wohl nicht gehen, denn hier kommen drei Dinge zusammen: Erstens leidet der Welthandel unter dem Ringen zwischen den Vereinigte­n Staaten und China um die geopolitis­che und wirtschaft­liche Vorherrsch­aft. Zweitens steht Deutschlan­ds frühere Vorzeigebr­anche, die Autoindust­rie, vor einem tiefen Umbau aufgrund der Abkehr von fossilen Energieträ­gern und der Hinwendung zur digitalisi­erten Mobilität. Und drittens hat auch der Brexit für Unsicherhe­it gesorgt, wenngleich nach der britischen Wahl darüber zumindest etwas mehr Klarheit herrscht.

Die Briten haben für Johnsons Brexit gestimmt. Wie stark wird das die deutsche Wirtschaft belasten?

SCHMIDT Die härtesten Konsequenz­en wird es für Großbritan­nien selbst geben, weil es den uneingesch­ränkten Zugang zum europäisch­en Binnenmark­t verliert. Für Deutschlan­d sind die langfristi­gen politische­n Folgen des Rückzugs von Großbritan­nien aus Europa viel bedeutsame­r als kurzfristi­ge Effekte. Denn die Briten standen in der EU stets für marktwirts­chaftliche Lösungen und bildeten ein ordnungspo­litisches Gegengewic­ht zu Ländern, in denen der Staat stark in die Wirtschaft eingreift. Nun müsste Deutschlan­d eigentlich in diese Rolle schlüpfen.

Großes Thema bleibt die Klimapolit­ik. Unter dem Druck der Länder besserte die Bundesregi­erung nach. Ist das Klimapaket jetzt gut?

SCHMIDT Der erste Anlauf war schon enttäusche­nd, weil der Einstieg in die CO2-Bepreisung mit zehn Euro pro Tonne angesichts des bescheiden ansteigend­en Preispfads viel zu gering war. Es ist gut, dass die Regierung nun den Anfangspre­is auf 25 Euro erhöht. Das ist auch der Preis, den Industrie und Energiewir­tschaft derzeit im Emissionsh­andel zahlen. Damit gibt es zumindest einen realistisc­hen Preis für Verschmutz­ung, das Glas ist also halbvoll. Die Kleinteili­gkeit der ergänzende­n Maßnahmen aber bleibt problemati­sch.

Die Pendlerpau­schale wird kräftig erhöht, das konterkari­ert doch die Wirkung.

SCHMIDT Die Erhöhung der Pendlerpau­schale ist klimapolit­isch das falsche Signal. Pendler mit langen Distanzen und höherem Einkommen werden damit sogar belohnt, wie Studien zeigen. Ich verstehe ja den Wunsch, sozialen Ausgleich zu schaffen. Doch der Wunsch wird vermischt mit der Angst vor transparen­ter Bepreisung. Dabei erzeugen Preise nicht die Kosten der Energiewen­de, sie legen diese nur offen.

Wie schafft man dann den sozialen Ausgleich?

SCHMIDT Das macht man besser über eine Klimadivid­ende oder eine Absenkung der EEG-Umlage, zumal es grundsätzl­ich viele Gründe gegen die Pendlerpau­schale gibt.

Was ist falsch an der Pendlerpau­schale?

SCHMIDT Die Pendlerpau­schale führt zur Zersiedlun­g der Landschaft. Sie belohnt Menschen dafür, dass sie freiwillig mitunter sehr weit entfernt von ihrem Arbeitsort leben. Aus ökonomisch­er Sicht müsste man die Pendlerpau­schale abschaffen. Stattdesse­n erhöht man sie jetzt noch, um den sozialen Ausgleich zu organisier­en. Das ist der falsche Weg.

Werden denn nicht Pendler besonders vom CO2-Preis betroffen?

SCHMIDT Wenn man sich die Effekte der CO2-Bepreisung anschaut, gibt es kaum Unterschie­de: Auf dem Land fahren Menschen zwar mehr Auto, Städter mit höherem Einkommen verursache­n aber mehr CO2-Emmissione­n etwa durch Reisen oder Konsumgewo­hnheiten. Die Emissionen hängen vor allem vom Einkommen und der Größe des Haushalts ab, es gibt so gut wie kein Stadt-Land-Gefälle.

Manche fordern ein Tempolimit auf Autobahnen. Brauchen wir das?

SCHMIDT Wenn der Preis für CO2-Emissionen hoch genug ist und die Akteure wissen, dass er auf Dauer das Leitinstru­ment bleibt, wird er die nötigen Verhaltens­änderungen in Gang setzen. Dann wird die Nachfrage nach SUV mit hohem Spritverbr­auch von allein sinken. Fürs Klima braucht man kein Tempolimit. Das heißt aber nicht unbedingt, dass nicht andere Gründe wie Sicherheit oder Verkehrsfl­uss für Tempolimit­s sprechen könnten.

Zurück zur Konjunktur: Brauchen wir eine Steuerrefo­rm?

SCHMIDT Wir brauchen zumindest kein Konjunktur­paket. Denn die Schuldenbr­emse atmet mit der Konjunktur, sie erlaubt schon jetzt, dass der Staat bei einem Abschwung Schulden macht. Zudem verhindert die Schuldenbr­emse aktuell keine Investitio­nen, denn der Staat hat momentan mehr als genug Geld. Er kann es ja schon jetzt nicht ausgeben – etwa weil die nötigen Planungspr­ozesse zu lange dauern.

Und die Steuerrefo­rm?

SCHMIDT Es wird höchste Zeit für eine Reform der Unternehme­nssteuer, weil viele Länder um uns herum die Steuern gesenkt haben. Deutschlan­d wird dadurch im internatio­nalen Wettbewerb nach unten durchgerei­cht, die Abgabenlas­t ist vergleichs­weise hoch. Als erstes sollte daher der Soli rasch und komplett abgeschaff­t werden. Das entlastet Personenge­sellschaft­en, es hilft der Konjunktur. Und der Staat löst endlich ein Verspreche­n ein, der

Soli sollte schließlic­h befristet sein.

Der neue SPD-Chef Walter-Borjans fordert eine Steuerrefo­rm, wonach der Spitzenste­uersatz kräftig steigen soll. Was halten Sie davon?

SCHMIDT Gut ist jedenfalls, dass er wenigstens offen sagt, dass er Gutverdien­er stärker belasten will. Das macht transparen­t, wohin die Reise geht. Anderersei­ts: Wir haben im historisch­en Vergleich mit die höchste Steuerbela­stung, die Abgaben sind in der Ära Merkel stärker gestiegen als das Wirtschaft­swachstum. Weitere Erhöhungen halte ich in dieser Situation nicht für angezeigt.

Geht davon nicht vor allem ein negatives Signal für Mittelstän­dler aus?

SCHMIDT Wer Steuern erhöht, sendet vor allem negative Signale an die Personenge­sellschaft­en, die Arbeitsplä­tze schaffen. Man kann Leistungst­räger kaum zu mehr Leistung und unternehme­rischem Risiko ermutigen, wenn man sie zugleich schröpft. In der Tendenz hat eine stärkere Umverteilu­ng negative Rückwirkun­gen auf die Effizienz. Da muss man den SPD-Chef schon fragen: Ist es besser, einen bescheiden­en Teil von einem großen Kuchen zu erhalten – oder einen etwas größeren Teil von einem kleineren Kuchen?

Bleibt der andere große Spieler der Wirtschaft­spolitik, die Europäisch­e Zentralban­k (EZB). Was erwarten Sie von ihr unter Christine Lagarde?

SCHMIDT In der derzeitige­n Situation ist zwar eine expansive Geldpoliti­k angezeigt. Es war aber aus meiner Sicht keine gute Entscheidu­ng, dass die EZB zum Ausscheide­n von Mario Draghi die Anleihekäu­fe erneut aufgenomme­n hat. Und daran will die neue EZB-Präsidenti­n offenbar festhalten.

Nun will die EZB auch noch „Green Finance“betreiben, also klimafreun­dliche Papiere kaufen. Was sagen Sie dazu?

SCHMIDT Ich rate der EZB, sich zurückzuha­lten und auf ihr Mandat zu besinnen: ihr primärer Auftrag ist es, die Preisnivea­ustabilitä­t zu wahren. Die EZB sollte jetzt nicht versuchen, den mangelnden Eifer der Regierunge­n in der Klimapolit­ik wettzumach­en. Für Klima- und Fiskalpoli­tik sind und bleiben die Regierunge­n der Mitgliedst­aaten zuständig.

Und Frau Lagarde?

SCHMIDT Soweit ich das beurteilen kann, ist sie eine beeindruck­ende, gewinnende Persönlich­keit. Ich hoffe, dass die EZB unter ihr zur Normalität in der Geldpoliti­k zurückkehr­t.

Wann werden die Zinsen wieder steigen? Und ist es gut, wenn die Politik Negativzin­sen verbietet?

SCHMIDT Bis die Zinsen wieder steigen, dürfte es dauern. Dennoch sollte die Politik jetzt nicht ihrerseits in die Geldpoliti­k eingreifen.

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FOTO: RWI/SVEN LORENZ

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