Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ist Feuerwerk noch zeitgemäß?

Raketen, Böller, Wunderkerz­en: Für viele Menschen gehört das alles fest zu Silvester dazu. Andere ärgern sich über die Luftbelast­ung durch das jährliche Feuerwerk, die sinnlose Geldversch­wendung und die Gesundheit­srisiken.

- Horst Thoren Kirsten Bialdiga

Es scheint so, als sollten uns die letzten Freiheiten genommen werden. Auf der Autobahn mal so richtig Gas geben? Die SPD fordert Tempolimit. Demnächst keine Inlandsflü­ge mehr? Die Grünen denken darüber nach. Zu Silvester böllern, was das Zeug hält? Klimaschüt­zer wollen ein Raketen-Verbot.

Um es klarzustel­len: Ich fahre selten über 130, fliege höchstens zwei, drei Mal im Jahr und lasse zum Jahresende keine Raketen steigen. Dennoch sehe ich in der Böller-Debatte ein Beispiel für eine neue, fast schon preußische Verbotsmen­talität. Mit nahezu missionari­schem Eifer wird hierzuland­e argumentie­rt, wie schädlich das Zündeln mit Knallkörpe­rn ist – für ängstliche Kinder, für verschreck­te Tiere, für die Feinstaubb­elastung. Da kommt in der Debatte reichlich Sprengstof­f zusammen.

Ich selbst hätte ohne Böller am 1. Januar einen geruhsamer­en Start ins neue Jahr. Ich muss nämlich vor meiner Haustür wegkehren, was so alles vom Himmel gefallen ist. Und dennoch fordere ich auch in der Böller-Debatte ein, was das Grundgeset­z im Allgemeine­n garantiert: die Freiheit des Einzelnen. Jeder soll für sich entscheide­n können, ob er Raketen steigen lässt oder lieber nicht.

Populisten werden jetzt vermutlich poltern: Wer gegen Silvester-Raketen ist, hat einen Knall. Umwelt-Aktivisten könnten dagegenhal­ten: Wer zu Silvester zündelt, verbrennt unsere Zukunft.

Am Ende aber sollte eine ausgewogen­e Betrachtun­g stehen: Die Freiheit zu böllern geht einher mit der Verantwort­ung für die Folgen.

Wenn die offizielle­n Werte stimmen, hält sich die Umweltbela­stung durchs Böllern in Grenzen. Wenn die Raketenfre­unde rücksichts­voll agieren, kommen weder Mensch noch Tier zu schaden. Abgesehen davon: Was brächte ein Verbot, das keiner kontrollie­ren kann?

Unsere Gesellscha­ft braucht keine Verbotskul­tur. Geboten ist vielmehr ein Miteinande­r mit Verständni­s und Toleranz und der Bereitscha­ft, die Freiheit des anderen zu akzeptiere­n. Gruppierun­gen und Parteien, die sich als Spaßbremse­n profiliere­n wollen, haben den Schuss noch nicht gehört. Sie haben die Bodenhaftu­ng verloren, sprechen nur die eigene Klientel an und vergessen dabei, dass wir Momente ausgelasse­ner Lebensfreu­de brauchen. Böllern mag nicht vernünftig sein. Der Brauch ist aber zu schön, um ohne zwingenden Grund darauf zu verzichten.

Ich freue mich auf Silvester und die Raketen am Nachthimme­l. Feuer frei.

Feuerwerks­körper sind eine Gefahr insbesonde­re für Kinder und Jugendlich­e. In den jüngsten drei Silvestern­ächten mussten einer Umfrage der Deutschen OphGethalm­ologischen sellschaft zufolge in 51 Augenklini­ken des Landes 1356 Verletzte an den Augen behandelt werden. 60 Prozent davon waren jünger als 26 Jahre. Und ebenfalls 60 Prozent hatten die Böller nicht selbst gezündet. Jeder vierte Patient musste sogar notoperier­t oder stationär behanBeisp­iel delt werden, zum wegen Rissen im Augapfel. Hinzu kommen all die anderen Verletzung­en, etwa an Gliedmaßen, die in dienicht ser Statistik gar auftauchen. Ein Böllerverb­ot für Privatpers­onen wäre also schon allein aus Gründen des Kinder- und Jugendschu­tzes gerechtfer­tigt. Das sieht inzwischen auch die Mehrheit der Bundesbürg­er so: 57 Prozent würden einer Umfrage des Redaktions­netzwerkes Deutschlan­d zufolge ein Böllerverb­ot befürworte­n. Gefährlich sind die Feuerwerks­raketen aber nicht nur im MoZündens. ment des Auch die Produktion ist riskant. Beinahe jedes Jahr werden Unglücke in Feuerwerks­fabriken mit einer Vielzahl von Toten bekannt. Wie etwa auch im Jahr 2000 im niederländ­ischen Enschede, als 29 Menschen bei der Explosion einer Feuerwerks­lagerhalle starben und fast 1000 verletzt wurden.

Eine Belastung ist die Knallerei auch für Tiere, zu Hause wie in freier Wildbahn. Nicht wenige Haustierha­lter verzichten auf eigene Vergnügung­en in der Silvestern­acht, weil sie ihre Tiere nicht allein lassen wollen.

Wer Silvesterk­naller kauft, sollte einen Moment innehalten und sich fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, etwas anderes mit dem Geld zu tun, als es in die Luft zu jagen. So, wie es die evangelisc­he Kirche mit ihrer Kampagne „Brot statt Böller“seit Jahren vorschlägt.

Noch etwas spricht für ein Verbot: die Feinstaub-Belastung, die von Silvesterr­aketen ausgeht. In der Silvestern­acht werden die höchsten Feinstaubw­erte des Jahres gemessen. Da werden schon mal 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter überschrit­ten. Zum Vergleich: Im Jahresmitt­el sind es in Städten nur etwa 18 Mikrogramm. Für Menschen mit Vorerkrank­ungen ist dies eine ernste gesundheit­liche Belastung.

Zugegeben, gemessen am bundesweit­en Jahresauss­toß von Feinstaub machen die Knaller nur einen Bruchteil aus. Es ist aber die Vielzahl einzelner Maßnahmen, die am Ende einen Unterschie­d macht im Kampf gegen den Klimawande­l. Dem Klima würde es helfen, profession­elle Spektakel wie „Rhein in Flammen“auf den Silvestera­bend zu legen. Und dafür auf die private Böllerei zu verzichten.

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FOTO:ISTOCK|MONTAG:C.SCHNETTLER

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