Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Ist Feuerwerk noch zeitgemäß?
Raketen, Böller, Wunderkerzen: Für viele Menschen gehört das alles fest zu Silvester dazu. Andere ärgern sich über die Luftbelastung durch das jährliche Feuerwerk, die sinnlose Geldverschwendung und die Gesundheitsrisiken.
Es scheint so, als sollten uns die letzten Freiheiten genommen werden. Auf der Autobahn mal so richtig Gas geben? Die SPD fordert Tempolimit. Demnächst keine Inlandsflüge mehr? Die Grünen denken darüber nach. Zu Silvester böllern, was das Zeug hält? Klimaschützer wollen ein Raketen-Verbot.
Um es klarzustellen: Ich fahre selten über 130, fliege höchstens zwei, drei Mal im Jahr und lasse zum Jahresende keine Raketen steigen. Dennoch sehe ich in der Böller-Debatte ein Beispiel für eine neue, fast schon preußische Verbotsmentalität. Mit nahezu missionarischem Eifer wird hierzulande argumentiert, wie schädlich das Zündeln mit Knallkörpern ist – für ängstliche Kinder, für verschreckte Tiere, für die Feinstaubbelastung. Da kommt in der Debatte reichlich Sprengstoff zusammen.
Ich selbst hätte ohne Böller am 1. Januar einen geruhsameren Start ins neue Jahr. Ich muss nämlich vor meiner Haustür wegkehren, was so alles vom Himmel gefallen ist. Und dennoch fordere ich auch in der Böller-Debatte ein, was das Grundgesetz im Allgemeinen garantiert: die Freiheit des Einzelnen. Jeder soll für sich entscheiden können, ob er Raketen steigen lässt oder lieber nicht.
Populisten werden jetzt vermutlich poltern: Wer gegen Silvester-Raketen ist, hat einen Knall. Umwelt-Aktivisten könnten dagegenhalten: Wer zu Silvester zündelt, verbrennt unsere Zukunft.
Am Ende aber sollte eine ausgewogene Betrachtung stehen: Die Freiheit zu böllern geht einher mit der Verantwortung für die Folgen.
Wenn die offiziellen Werte stimmen, hält sich die Umweltbelastung durchs Böllern in Grenzen. Wenn die Raketenfreunde rücksichtsvoll agieren, kommen weder Mensch noch Tier zu schaden. Abgesehen davon: Was brächte ein Verbot, das keiner kontrollieren kann?
Unsere Gesellschaft braucht keine Verbotskultur. Geboten ist vielmehr ein Miteinander mit Verständnis und Toleranz und der Bereitschaft, die Freiheit des anderen zu akzeptieren. Gruppierungen und Parteien, die sich als Spaßbremsen profilieren wollen, haben den Schuss noch nicht gehört. Sie haben die Bodenhaftung verloren, sprechen nur die eigene Klientel an und vergessen dabei, dass wir Momente ausgelassener Lebensfreude brauchen. Böllern mag nicht vernünftig sein. Der Brauch ist aber zu schön, um ohne zwingenden Grund darauf zu verzichten.
Ich freue mich auf Silvester und die Raketen am Nachthimmel. Feuer frei.
Feuerwerkskörper sind eine Gefahr insbesondere für Kinder und Jugendliche. In den jüngsten drei Silvesternächten mussten einer Umfrage der Deutschen OphGethalmologischen sellschaft zufolge in 51 Augenkliniken des Landes 1356 Verletzte an den Augen behandelt werden. 60 Prozent davon waren jünger als 26 Jahre. Und ebenfalls 60 Prozent hatten die Böller nicht selbst gezündet. Jeder vierte Patient musste sogar notoperiert oder stationär behanBeispiel delt werden, zum wegen Rissen im Augapfel. Hinzu kommen all die anderen Verletzungen, etwa an Gliedmaßen, die in dienicht ser Statistik gar auftauchen. Ein Böllerverbot für Privatpersonen wäre also schon allein aus Gründen des Kinder- und Jugendschutzes gerechtfertigt. Das sieht inzwischen auch die Mehrheit der Bundesbürger so: 57 Prozent würden einer Umfrage des Redaktionsnetzwerkes Deutschland zufolge ein Böllerverbot befürworten. Gefährlich sind die Feuerwerksraketen aber nicht nur im MoZündens. ment des Auch die Produktion ist riskant. Beinahe jedes Jahr werden Unglücke in Feuerwerksfabriken mit einer Vielzahl von Toten bekannt. Wie etwa auch im Jahr 2000 im niederländischen Enschede, als 29 Menschen bei der Explosion einer Feuerwerkslagerhalle starben und fast 1000 verletzt wurden.
Eine Belastung ist die Knallerei auch für Tiere, zu Hause wie in freier Wildbahn. Nicht wenige Haustierhalter verzichten auf eigene Vergnügungen in der Silvesternacht, weil sie ihre Tiere nicht allein lassen wollen.
Wer Silvesterknaller kauft, sollte einen Moment innehalten und sich fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, etwas anderes mit dem Geld zu tun, als es in die Luft zu jagen. So, wie es die evangelische Kirche mit ihrer Kampagne „Brot statt Böller“seit Jahren vorschlägt.
Noch etwas spricht für ein Verbot: die Feinstaub-Belastung, die von Silvesterraketen ausgeht. In der Silvesternacht werden die höchsten Feinstaubwerte des Jahres gemessen. Da werden schon mal 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten. Zum Vergleich: Im Jahresmittel sind es in Städten nur etwa 18 Mikrogramm. Für Menschen mit Vorerkrankungen ist dies eine ernste gesundheitliche Belastung.
Zugegeben, gemessen am bundesweiten Jahresausstoß von Feinstaub machen die Knaller nur einen Bruchteil aus. Es ist aber die Vielzahl einzelner Maßnahmen, die am Ende einen Unterschied macht im Kampf gegen den Klimawandel. Dem Klima würde es helfen, professionelle Spektakel wie „Rhein in Flammen“auf den Silvesterabend zu legen. Und dafür auf die private Böllerei zu verzichten.