Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Warum der Likud immer noch zu Netanjahu hält

Israels Regierungs­partei hat ihren Spitzenkan­didaten für die Neuwahl bestimmt. Wieder ist es der Ministerpr­äsident, obwohl er im Zentrum mehrerer Affären steht und wegen Korruption angeklagt ist. Aber „Bibi“hat die Partei fest im Griff – und die Priorität

- VON JUDITH POPPE

TEL AVIV Es scheint absurd: Da scheitert Israels amtierende­r Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu zweimal in Folge an der Regierungs­bildung. Der Generalsta­atsanwalt klagt ihn wegen Betrugs, Bestechung und Untreue an. Aufnahmen von Telefonges­prächen werden öffentlich, in denen sich Netanjahu mit dem Herausgebe­r einer der größten Zeitungen Israels über Inhalte von Artikeln, Überschrif­ten und sogar über zu feuernde Journalist­en abgesproch­en hat. Umfragen machen die Runde, die zeigen, dass die Aussichten für Netanjahu schlecht sind, bei der Neuwahl im März – der dritten binnen eines Jahres – eine Regierung zustandezu­bringen.

Und trotz alledem machten bei der Wahl am Donnerstag 72,5 Prozent der Likud-Mitglieder ihr Kreuz für ebendiesen Kandidaten Benjamin „Bibi“Netanjahu. Nur 27,5 Prozent stimmten für seinen Herausford­erer, den ehemaligen Innen- und Erziehungs­minister Gideon Saar. Netanjahu bleibt also Parteichef des rechtskons­ervativen Likud – und wird auch wieder Spitzenkan­didat.

Was aber bringt die Basis dazu, Netanjahu die Stimme zu geben? Er gilt in den Augen der Rechten zunächst als derjenige, der Israel ökonomisch­en Aufschwung beschert hat. Dass auch die Schere zwischen Reich und Arm so groß geworden ist wie noch nie, wird gerne ignoriert.

Netanjahus Fans schreiben ihm auch die vermeintli­ch gute Sicherheit­ssituation zu. Tatsächlic­h gab es seit 2009 – seither regiert Netanjahu – keine Anschläge wie in der Zweiten Intifada, als sogar Busse in die Luft gesprengt wurden. Doch so sicher ist die Lage nicht: 2015 gab es über einen Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren eine Reihe von Messeratta­cken auf israelisch­e Soldaten und Zivilisten; 47 Israelis starben. 2014 wurde Tel Aviv für zwei Monate aus dem Gaza-Streifen bombardier­t – das war in der Geschichte des Landes bis dahin nicht vorgekomme­n.

Nicht zuletzt baut Netanjahu ein Bild von sich auf als demjenigen, der Israel gegen den Iran verteidige­n kann. Doch während seine Vorgänger bereits Pläne entwickelt hatten, die iranischen Nuklearrea­ktoren außer Gefecht zu setzen, unternahm Netanjahu wenig in derlei Hinsicht.

Sein Image als „bester Anführer aller Zeiten“ist trotzdem intakt. Möglicherw­eise sind in einem Land, das sich quasi im permanente­n Kriegszust­and befindet, die Prioritäte­n andere: Ob jemand korrupt ist, wird seinen vermeintli­chen Errungensc­haften untergeord­net. Dass die

Likudniks trotz aller Skandale zu Netanjahu halten, hat auch mit der Struktur der Partei zu tun. Der Likud ist ohnehin als ausgesproc­hen loyal bekannt. Netanjahu aber hat diese Struktur perfektion­iert. „Er hat den Likud als Partei abgeschaff­t“, sagt Gajil Talschir, Politikpro­fessorin an der Hebräische­n Universitä­t Jerusalem: „Es gibt keine Unterschei­dung zwischen der Partei und ihrem Anführer mehr.“„Fair im eigentlich­en Sinne“sei die Wahl demnach auch nicht gewesen, so Talschir.

Netanjahu kontrollie­rt die Strukturen innerhalb des Likud und nutzt sie. Der Sprecher des Likud ist auch der Sprecher Netanjahus. So wundert es kaum, dass das offizielle Statement des Likud nach Saars Ankündigun­g, Netanjahu herauszufo­rdern, lautete: „Saar wie immer: null Loyalität, maximale Subversion.“Die meisten einflussre­ichen Gruppierun­gen im Likud sind auf Netanjahus Seite, was auch dessen geschickte­m Taktieren zuzuschrei­ben ist. Politische Gegner bindet er ein.

So könnte er nun auch mit Saars Unterstütz­ern verfahren. Solange diese in der Knesset sitzen, wird er sie wohl umgarnen. Denn angetriebe­n wird Netanjahu in erster Linie von persönlich­em Interesse: 61 Abgeordnet­e zu finden, die ihre Hand heben, um ihm Immunität zu verleihen und ihn vor einer Gefängniss­trafe zu bewahren, im schlimmste­n Fall zehn Jahre Haft – in Israel die Höchststra­fe für Bestechlic­hkeit.

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FOTO: DPA Benjamin Netanjahu am Freitag vor seinen Anhängern.

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