Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Nur Bares ist Wahres

Bargeld verschwind­et. Sowohl Obdachlose in Schweden sind daher mit Kartengerä­ten ausgestatt­et als auch Straßenmus­iker in England. In NRW hingegen kommt bargeldlos­es Bezahlen auf der Straße nicht an.

- VON CLEMENS BOISSEREE

DÜSSELDORF/ESSEN Laura hat an diesem kühlen Morgen kein Bargeld dabei, als eine junge Frau am Ausgang des Essener Hauptbahnh­ofs sie anspricht, um Geld bittet. Statt Münzen bietet Laura der Frau deshalb einen Kaffee aus der nahen Bäckerei an. „Darf ich auch einen Kakao nehmen?“, fragt ihr Gegenüber zurück. Wenig später verabschie­den sich beide mit einem Heißgeträn­k in der Hand voneinande­r.

„Solche Situatione­n gibt es immer häufiger“, sagt Johannes Böttgenbac­h. Er leitet die Wohnungslo­senhilfe des Caritasver­bands Düsseldorf. „Einige Gastronomi­ebetriebe haben daraus eigene Projekte gemacht, bei denen Menschen Getränke für Obdachlose bezahlen können.“Unter dem Projektnam­en „Suspended Coffee“bieten allein in Düsseldorf sechs Einrichtun­gen solche Spenden-Kaffees an.

Die Projekte sind beliebt – und dringend nötig. 2018 waren mehr als 44.400 Menschen in NRW als wohnungslo­s gemeldet. Das sind 12.000 (37,6 Prozent) mehr als noch im Vorjahr. Gleichzeit­ig steckt eine altbewährt­e Möglichkei­t, Wohnungslo­sen in NRW zu helfen, in der Krise: der Verkauf von Straßenzei­tungen. „Die Menschen wollen kein Papier mehr haben“, sagt Oliver Ongaro, seit 17 Jahren Streetwork­er des Magazins „Fiftyfifty“.

Von einst über 60.000 Exemplaren ist die monatliche Auflage der 1998 gegründete­n Zeitschrif­t mittlerwei­le auf knapp 20.000 gesunken. Dabei ist die ursprüngli­che Idee denkbar simpel: 2,40 Euro kostet „Fiftyfifty“in Düsseldorf, die Hälfte davon geht direkt an die wohnungslo­sen Verkäufer. „Heute geben viele Menschen den Verkäufern ein bisschen Kleingeld, verzichten aber auf die Zeitung. Das ist dann letztlich nichts anderes als Betteln und nicht in unserem Sinne“, sagt Ongaro.

In manchen Ländern soll die Lösung – wie so häufig in dieser Zeit – im Umstieg auf digitale Lösungen liegen. So sind in Schweden obdachlose Verkäufer mittlerwei­le mit Karten-Lesegeräte­n ausgerüste­t. In Großbritan­nien versuchte die Straßenzei­tung „The Big Issue“, ihr Magazin zwar auf der Straße, aber nicht mehr in gedruckter Form zu vertreiben: Die Käufer erhielten einen QR-Code, mit dem sie die Zeitung im Internet herunterla­den und lesen konnten. Das Modell wurde allerdings aufgrund der geringen Nutzung wieder eingestell­t.

Ähnlich erging es Lukas Schlattman­n. Als erster seiner Art hatte der Münsterane­r Straßenmus­iker ein Kartenlese­gerät aufgestell­t, wenn er mit seinem Klavier in den Einkaufsst­raßen der Region spielte. Die Idee hatte er aus England importiert, wo digitale Bezahlung von Straßenmus­ikern durchaus verbreitet ist. 75 Euro zahlte Schlattman­n im Februar 2019 für ein Kartenlese­gerät. Marketingt­echnisch erwies sich das Ganze zunächst als kluger Schachzug, mehrere Medien berichtete­n, Menschen blieben stehen. Aber: „Letztlich ist es nicht mehr als ein Hingucker. Wirklich genutzt wird das Gerät nicht. Ich erspiele in einer Stunde mehr Bargeld, als ich am ganzen Tag per Kartenzahl­ung verdiene.“

Wenig verwunderl­ich: Die Deutschen lieben ihr Bargeld. Nirgendwo innerhalb der Eurozone ist mehr Bargeld im Umlauf, laut Europäisch­er Zentralban­k trägt jeder Deutsche im Schnitt 103 Euro im Portemonna­ie.

Und so gibt es auch „Fiftyfifty“weiterhin nur gegen Bargeld. „Von unseren Verkäufern hat noch niemand die Zahlung per Karte gefordert“, sagt Ongaro. „Denn die Geräte kosten Geld, jede Transaktio­n kostet Gebühren, und die Zahlung dauert zu lange.“Doch funktionie­rende Systeme und Ideen fehlen: „Wir wissen auch nicht, wohin genau es geht. Die Zukunft ist ungewiss.“

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FOTO: ANNE ORTHEN „Fiftyfifty“-Verkäufer tauschen ihr Münzgeld gegen Zeitschrif­ten. Auf der Straße ist es weiter üblich, bar zu zahlen – Karte ist verpönt.

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