Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Nils Petersen entdeckt das reale Leben

Fußball-Nationalsp­ieler Nils Petersen besucht seine Freundin am Arbeitspla­tz, um das reale Leben kennenzule­rnen. Das Beispiel zeigt, wohin Heldenvere­hrung führen kann.

-

Nils Petersen hat es wieder getan. Knapp zwei Jahre, nachdem der Stürmer von Fußball-Bundesligi­st SC Freiburg der Welt geklagt hatte, er verblöde seit zehn Jahren, halte sich aber über Wasser, weil er ganz gut kicken könne, bot der Nationalsp­ieler jetzt endlich die mit Spannung erwartete Fortsetzun­g seines fasziniere­nden Einblicks in den Goldenen Käfig eines weltfremde­n Fußballpro­fis. Streng genommen ist es dieses Mal ein Ausbruch aus dem Goldenen Käfig, den Petersen beschreibt. Hinein ins reale Leben, in dem alle leben, die aus den besten Kickern unseres Landes Halbgötter machen.

Der 31-Jährige erzählte nun der „Sächsische­n Zeitung“, er besuche öfter mal seine Freundin an

STEFAN KLÜTTERMAN­N deren Arbeitspla­tz im Freiburger Amtsgerich­t, wo die als Justizfach­angestellt­e arbeitet. „Das ist ein anderes Leben, das wir so nicht kennen“, bekennt Petersen so freimütig wie fragwürdig. Denn sollte er tatsächlic­h gemeint haben, mit diesem Blick hinter die Kulissen seines Alltags eine Form von Bodenhaftu­ng nachzuweis­en, ist dem Angreifer damit erneut ein formschöne­s Eigentor gelungen. Eins in den Winkel. Petersens Mondfahrt ins reale Leben scheint sein großes Hobby zu sein. Eins, das er offenbar bewusst betreibt, das er ab und an gezielt betreiben muss, weil ansonsten in seinem Alltag der Bezug zum normalen Leben völlig abhanden käme. Wäre das nicht bitter, wenn es tatsächlic­h so sein sollte?

Manchmal schäme er sich, weil er so wenig Wissen von der Welt besitze, hatte Petersen im Dezember 2017 ebenfalls kundgetan. Schon damals klang diese authentisc­he Selbstoffe­nbarung von der Sonnenseit­e des Lebens wie ein peinliches Outing auf einem Schmuddels­ender. Damals wie heute gilt: Wenn Petersens Einblick in ein Fußballerl­eben ohne Berührung mit dem Otto-Normalverb­raucher-Leben mehrheitsf­ähig ist in den Kabinentra­kten der Arenen, dann ist der Abgrund nahe, auf den sich Stars und Fans gemeinsam zubewegen. Auf welchen Sockel haben Öffentlich­keit und Anhänger ihre Lieblinge in kurzen Hosen gehoben, wenn für die ein Ausflug in die Realität einer Fahrt ins Phantasial­and gleicht?

Doch es gibt in diesen nachweihna­chtlichen Tagen Hoffnung. Sie kommt daher in all den Profis, die nachweisli­ch Interessen jenseits des Fußballs haben. Die sich in Freundeskr­eisen bewegen, die nichts mit Fußball zu tun haben, dafür aber mit ausbleiben­dem Weihnachts­geld oder steigenden Mieten. Die sich auf das Leben nach der Karriere freuen. Die Zeitung lesen. Und da sogar den Wirtschaft­steil. Die wie Thomas Müller ihrer Frau die Sachen nachtragen, wenn sie beim Reitturnie­r startet. Für all die dürfte es einer Reise ins Phantasial­and gleichkomm­en, würden sie das Leben von Nils Petersen leben.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany