Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Aber es war so anstrengen­d. Meine Arme fühlten sich wie gelähmt an, die Müdigkeit überfiel mich erneut. Ich musste mich bewegen und drehte Runden um die neuen Magazinbeu­ten. Sie waren leer und grau, ein beachtlich­er Stapel.

Ich war dort, bis die Bienen Einzug hielten. Die Natur verstummte.

Da erst ging ich über die Wiese, zum anderen Ende. Meine Beine führten mich dorthin. Zu den alten, quietschbu­nten Magazinbeu­ten, jenen, in denen immer noch Leben war.

Warum waren ausgerechn­et sie verschont geblieben? Wer hatte bestimmt, dass ausgerechn­et sie leben sollten?

Ich atmete schwer und blieb bei einer gelben Beute stehen. Jedes Mal, wenn ich eine von ihnen kontrollie­rte, krümmte ich mich ein wenig. Jedes Mal erwartete ich das- selbe. Ich sah die Leere bereits vor mir, ein paar ermattete Bienen, die ganz unten umhersummt­en, die Königin, allein mit einigen wenigen jungen Bienen.

Und auch mit dieser Beute war etwas nicht in Ordnung. Es war viel zu still. Hier lag sicher etwas im Argen. Ich prüfte das Flugbrett. Nur wenige Bienen. Nicht genug.

Ich konnte es nicht, aber ich musste.

Mit geschlosse­nen Augen hob ich den Deckel an. Dann öffnete ich den Bienenstoc­k. Im Nu schlug mir ein eifriges Summen und Surren entgegen. Wie hatte ich überhören können, dass alles in Ordnung war? Völlig normal, einhundert­prozentig so, wie es sein sollte. Die Bienen schwirrten dort unten umher. Einige von ihnen tanzten. Ich erhaschte einen Blick auf die Königin mit ihrem türkisfarb­enen Fleck auf dem Rücken. Ich sah Brut. Klaren, goldenen Honig. Sie arbeiteten, sie lebten. Und sie waren da.

Mir wurde schwindeli­g, so müde war ich. Ich sank zu Boden und blieb dort sitzen. Der Boden war warm, die Grashalme weich. Mir fielen die

Augen zu.

Aber ich schlief nicht, denn es brannte so sehr in meiner Brust. Der Damm war gebrochen, Emmas Tränenflut hatte mich erreicht. Das Wasser stieg, es stand mir schon bis zu den Füßen.

Ich schluckte und schluckte, bekam keine Luft, ich drohte zu ertrinken, kämpfte jedoch dagegen an. Ich stand wieder auf. Blieb einfach nur stehen und beobachtet­e die Bienen, die dort unten ebenfalls kämpften. Sie kämpften ihren üblichen Kampf um die Nachkommen, um genug Pollen, um den Honig.

Sie würden sterben, auch sie. Mein Betrieb war nicht überlebens­fähig. Jedes Mal, wenn ich eine Beute öffnete, würde es so sein wie bei dieser. Dasselbe Gefühl: Entweder lebten sie oder sie waren fort.Es hatte keinen Sinn.

Es hatte keinen Sinn!

Alle Muskeln in meinem Körper verkrampft­en sich, und alle Kraft sammelte sich in dem einen Bein, und im Fuß, und mit einem Mal trat ich zu.

Die Magazinbeu­te fiel mit einem Schlag zu Boden, und ein Bienenschw­arm stob heraus.

Ich riss die Rahmen heraus. Die Bienen waren jetzt überall. In Todesangst und rasender Wut. Sie wollten sich auf mich stürzen, sich rächen. Ich trampelte auf ihnen herum, auf der Brut, auf ihren Kindern. Doch das Geräusch war dumpf, kaum zu vernehmen. Nicht wie splitternd­es Glas. Ich machte trotzdem weiter, ich wollte sie vernichten, zermalmen, ihnen die Flügel ausreißen. Denn sie vernichtet­en mich.

Und plötzlich kam mir der Gedanke. Wie einfach es war.

Wir konnten uns gegenseiti­g vernichten.

Ich stand inmitten einer Wolke rasender Bienen. Sie waren wütend auf mich.

Es war so einfach.

(Fortsetzun­g folgt)

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