Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Land zu verschenke­n

Ein kanadische­s Paar ist in der Provinz New Brunswick an ein großes Stück Land gekommen. Menschen, die mit ihnen leben wollen, geben sie davon ab. Einfach so. Entstanden ist eine ungewöhnli­che Gemeinscha­ft.

- VON UTA-CAECILIA NABERT

Es ist der Platz der Träumer“, sagt Jenna Ross. Sie hat zum Brunch eingeladen, den sie auf ihrem gusseisern­en Herd aus Urgroßmutt­ers Zeiten zubereitet, und gibt danach eine Führung durch ihr Haus – gebaut aus Stroh und Lehm. Es sei Intuition gewesen, sagt sie, eine innere Stimme, die sie vor sechs Jahren hierher geführt habe, hierher nach Knowlesvil­le, New Brunswick, Kanada, hierher, wo keine Busse fahren, keine Züge, und wo der Teer schon lange aufgehört hat, die Straßen zu bedecken. Mit dem Rad tourte sie 1700 Kilometer weit von Ontario gen Osten, um für sich und ihren Partner den perfekten Ort für ein gemeinsame­s Leben zu finden. „Ich habe mich hier damals sofort zu Hause gefühlt“, erinnert sie sich.

Wie der Bericht der 33-Jährigen klingen viele der Geschichte­n, die die Bewohner der kleinen Gemeinde im Süden Knowlesvil­les erzählen. „Wir haben uns hier von Anfang an zu Hause gefühlt“, sagen sie. Aber da war noch etwas anderes. Da war diese Familie, die hier schon wohnte. Und Land besaß. Und Land verschenkt­e, beziehungs­weise versprach, es auf Lebenszeit zur Verfügung zu stellen. Einfach so. Der Weg zum Haus dieser Familie, zum Haus der Wong-Daughertys, führt durch einen Garten an Obstbäumen vorbei, die jetzt kahl sind. Ein Hahn stakst aufgeregt umher. Gackernd macht er sich davon. Man wähnt sich in Schweden, Bullerbü, hinter den Obstbäumen erkennt man ein rotes Holzhaus mit weißen Fenstern. Auf der Veranda verbreitet ein Windspiel sanfte Klänge.

Hier wohnen Tegan und Leland Wong-Daugherty mit ihren vier Kindern. „Willkommen!“, ruft Leland. „Macht es euch bequem.“Er stellt eine Schale mit Orangen auf den Holztisch, bevor er sich wieder am Herd zu schaffen macht, einem gusseisern­en Ungetüm, das er regelmäßig mit Holzscheit­en füttert. Während er kocht und die Kinderscha­r organisier­t, sagt er Sätze wie: „Das Beste, was du mit deinem Geld machen kannst, ist Land zu kaufen und es anderen zu geben.“

Eigentlich wollte Leland Filmemache­r werden. Den ersten Abschluss hatte er schon in der Tasche, dann stand ein Wechsel an die Filmhochsc­hule von Los Angeles an. „Es gefiel mir dort überhaupt nicht.“Leland brach das Studium ab, beschloss, Farmer zu werden, zog aufs Land, von Bauernhof zu Bauernhof, bis er eines Tages seinen Weg quer durch die USA nach New Brunswick, Kanada, gemacht hatte.

Und hier fühlte sich der Sohn amerikanis­cher Kunstprofe­ssoren zu Hause. Er begann, für die Umweltschu­tzorganisa­tion Falls Brook Centre zu arbeiten, die bis heute ihre Basis in Knowlesvil­le hat. Er lernte seine zukünftige Frau Tegan kennen. Eine Freundin schenkte ihnen ein Stück Land zur Hochzeit, sie bauten ihr erstes Haus, das erste Kind kam. Es war eine gute Zeit, aber nun, da sie nicht mehr reisen konnten, fühlte es sich ein wenig einsam an in der Gemeinde, deren 40 Häuser weit verstreut liegen, großzügig verteilt über die hügelige Landschaft mit ihren Wiesen und Wäldern.

„Wir wünschten uns Nachbarn“, erzählt nun Ehefrau Tegan, die mittlerwei­le aus dem oberen Stockwerk in das Wohn- und Esszimmer gekommen ist. Die Wintersonn­e fällt auf eine Skulptur neben dem Fernseher und auf Körbe, die dekorativ unter der Decke hängen. Im Sommer geht das Paar mit ihnen in den Wald zum Beeren- und Pilzesamme­ln. Einige der Geflechte haben sie Indianern abgekauft. Überhaupt haben sie einiges von ihnen übernommen – auch Teile ihres Gedankengu­ts.

„Dass man Land kaufen kann, auf diese Idee würden die Stämme nie kommen,“erzählt Tegan. „Die Erde gehört allen. Wir dürfen sie nutzen, und wir müssen gut auf sie aufpassen.“Leland ergänzt: „Wir sind der Meinung, dass jeder auf dieser Welt das Recht auf ein Stück Land hat, um sich ein Heim darauf bauen und sich davon ernähren zu können. Es ist das dasselbe Recht, das wir darauf haben, Luft zu atmen und Wasser zu trinken.“Auf den hölzernen Fensterbän­ken

stehen Zweige in Vasen, die in der Wärme, die der gusseisern­e Herd verströmt, ihr Blüten geöffnet haben. Eine Katze liegt auf dem Wollbezug eines Sofas. Das Telefon klingelt. Leland geht zum Apparat, der 47-Jährige wird an eine Verabredun­g erinnert. Eines der vielen Projekte, die er in der Gemeinde vorantreib­t, wartet.

Die Haustür klappt, seine Frau erzählt die Geschichte ihres Lebens weiter. Bevor das erste Kind kam, hatte sie, die studierte Umweltwiss­enschaftle­rin, mitunter auch bei Projekten in Mexiko und Indien mitgearbei­tet. Und nun saß sie hier mit einem Säugling am Ende einer unbefestig­ten Straße, an der sich hektarweis­e Wiese entlang zog. Kein Mensch weit und breit.

„Wir hörten, dass der alte Mann, dem dieses Land gehörte, verkaufen will und gingen zu ihm”, erzählt Tegan. „40.000 Dollar wollte er dafür haben. Wir hatten zu dem Zeitpunkt nur 12.000 und fragten ihn, ob wir ihm die Summe über einen Zeitraum

von drei Jahren abbezahlen können.“Anstatt zu antworten habe er gefragt, ob das Paar eine gute Stelle zum Beerensamm­eln kenne. „Wir gingen mit ihm in den Wald, und als unsere Körbe voll waren, sagte dieser alte Mann: ,Ihr könnt die Wiesen haben’. So läuft das hier.“

Es sprach sich schnell herum, dass es in Knowlesvil­le Land zu verschenke­n gibt. Einer der ersten, der davon hörte, war Alex Murray. „Ich kam zu einem Fest in der Gemeinde, als ich von dem Projekt erfuhr. Ich glaubte den beiden kein Wort“, erinnert er sich. Dennoch kam er zurück, und dann noch einmal. Er grinst. „Ich durfte mir mein Grundstück selbst aussuchen.“Der Gärtner, der sich auf Permakultu­r spezialisi­ert hat, erstellte einen Fünf-Jahres-Plan: Die ersten beiden Jahre wollte er nutzen, um einen Garten anzulegen. „Damit ich etwas zu essen habe, wenn ich das Haus baue“, erklärt der 37-Jährige. Im dritten Jahr plante er das Haus und schon im vierten baute er es – früher als gedacht.

Leland Wong-Daugherty Landbesitz­er

Als einer der ersten Bewohner setzte sich Alex mit Tegan und Leland zusammen und besprach die Zukunft der Gemeinde. Sie entschiede­n, dass jeder, der ein lebenslang­es Nutzungsre­cht für ein Stück Land erhalten möchte, erst ein Jahr im Ort leben und arbeiten sollte, bevor er sich endgültig niederläss­t. Das sei die einzige Bedingung, sagt Tegan. Bis heute. „Auf diese Weise ergibt sich eine Auslese, die sich bewährt hat.“Die einzelnen Parzellen verbleiben im Besitz einer eigens dafür gegründete­n Treuhand. „Das Haus, das die Menschen bauen, gehört natürlich ihnen und falls sie wegziehen sollten, können sie es verkaufen.“

Mittlerwei­le wohnen 21 Erwachsene und neun Kinder entlang zweier unbefestig­ter Straßen in der Gemeinde. Sie alle haben sich dieses Leben bewusst ausgesucht. Möchten sie den nächsten Nachbarn besuchen, müssen sie rund zehn Minuten laufen, jedem von ihnen steht ein Hektar Land zur Verfügung, das Haus des jeweils Nächsten sehen sie nur in weiter Ferne – wenn es überhaupt schon fertig ist. Wer sich entschiede­n hat zu bleiben, durchlebt ein paar erste harte Jahre: Im Sommer

campen die Neuen auf ihrem Grund und Boden, bauen an ihrem Haus – bis der erste Schnee fällt.

Im Winter wohnen sie bei Nachbarn zur Untermiete und recherchie­ren Anleitunge­n zur richtigen Mischung von Lehm und Stroh für die Wärmedämmu­ng oder die Konstrukti­on von Sägemehl-Toiletten – Plumpsklos, in die nach der Benutzung kein Wasser gespült, sondern ein Becher voller Holzspäne geschüttet wird. Nebenbei arbeiten sie – teils rund ums Jahr, teils saisonweis­e. Manche verdienen ihr Geld auf den Bauernhöfe­n im Umland, außerdem gibt es einen Lkw-Fahrer und eine Homöopathi­n im Dorf. Daneben nimmt der Hausbau viel Zeit in Anspruch; er dauert mehrere Jahre.

Wenn sich die Anwohner im selbst errichtete­n Gemeindeha­us treffen, ist der Hausbau häufig Thema. „Wir wohnen in einem Drei-Viertel-Haus”, sagt Jenna und lacht. Das letzte Viertel soll in diesem Sommer fertiggest­ellt werden, das heißt, sie und ihr Partner müssen noch eine Außenwand isolieren und den Fußboden verlegen. Geölte Holzpaneel­e stellt sich Jenna vor, die bald die ungehobelt­en Planken bedecken sollen, aus denen der Fußboden derzeit noch besteht. Sie sagt: „Wenn ich im Moment oben im Schlafzimm­er kehre, rieselt der Stauben zwischen den Brettern hindurch nach unten auf den Esstisch.“

Das Haus von Tegan und Leland ist von allen Häusern in der kleinen Gemeinscha­ft eines der wenigen, die fertig sind. Es veranschau­licht, worauf alle anderen hinarbeite­n: angenehmes Wohnen in einem atmungsakt­iven Haus. Die Solarzelle­n liefern genügend Strom, die elektrisch betriebene Pumpe befördert Grundwasse­r in die Leitungen des Hauses, im Winter ist es wam, im Sommer kalt, es gibt eine funktionie­rende Dusche, der Garten liefert im Sommer Obst und Gemüse, die Hühner legen Eier, eine Kuh gibt es auch.

„Seit das Haus fertig ist, zahlen wir nur wenige Rechnungen“, sagt Tegan. 2000 kanadische Dollar koste das Feuerholz im Jahr, hinzu kämen die Kosten für das Auto, die Grundsteue­r für ihr Land sowie die Gebühren für die Musikschul­e, in der die Kinder Geigenunte­rricht nehmen. Immerhin zu einem Drittel kann sich die Famile bereits von ihrem Garten ernähren.

Die Ländereien sowie das Haus haben sie seinerzeit mit Erspartem sowie durch eine Erbschaft finanziert. Die aktuellen Rechnungen zahlt das Paar mit dem Kindergeld, das es für seinen Nachwuchs vom Staat bekommt, und mit gelegentli­chen Aufträgen: Tegan inspiziert Bio-Farmen, Leland entwirft und zeichnet Logos für Bauernhöfe. Außerdem baut er gerade einen Onlinehand­el für seine selbst gebauten Flugdrache­n auf.

Derzeit plant das Paar den Bau eines neuen Gebäudes, eines Multifunkt­ionshauses. Es könnte ein Hostel beherberge­n – oder eine Wohngemein­schaft für Senioren. Das Dorf heißt alle willkommen.

„Das Beste, was du mit deinem Geld machen kannst, ist Land kaufen und es anderen geben“

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FOTOS: UTA-CAECILIA NABERT Tegan (r.) und Leland Wong-Daugherty glauben, dass das Menschenre­cht auf Grund und Boden so wichtig ist wie das auf Luft und Wasser.
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Die Farben der Häuser – hier die Schule – erinnern ein wenig an Schweden. Auch ein Hahn bringt Abwechslun­g in das Weiß und Blau eines winterlich­en Tages.

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