Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Lasst die Moralkeule ruhen

Ständig zielen öffentlich­e Debatten am Kern der Probleme vorbei.

- EVA QUADBECK Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

Selbstvers­tändlich kann man über ein Tempolimit auf der Autobahn diskutiere­n, auch über die falschen Texte für einen WDR-Kinderchor, über Böller an Silvester und darüber, wie viel Fleisch eigentlich für Mensch und Umwelt gesund sind. Was mich an diesen Debatten aber stört: Sie sind immer überzogen, werden viel aggressive­r geführt, als es der Sache angemessen ist, und sie zielen am Kern der Probleme vorbei. Klar, es gibt fürs Tempolimit gute Gründe – die Emissionen der Autos wären etwas geringer und mancher Drängler müsste sich im Dienste der Verkehrssi­cherheit mäßigen. Die Diskussion darum wird aber geführt, als bringe ein Tempolimit die Verkehrswe­nde und als gäbe es keine Unfälle mehr, würde die Geschwindi­gkeit auf Autobahnen auf 130 Kilometer pro Stunde gedrosselt. Beides ist nicht der Fall. Die Verkehrswe­nde lässt sich nur mit einem massiven Ausbau eines zuverlässi­gen öffentlich­en Verkehrs und einem klaren Umsteuern der Autoindust­rie bewerkstel­ligen. Das Tempolimit ist da Nebensache und die Debatte führt insbesonde­re dann zu nichts, wenn sie nach dem Das-Gute-gegendas-Böse-Prinzip geführt wird.

Zur Debatte um Fleischkon­sum, den ja auch der WDR-Kinderchor reichlich uncharmant gegeißelt hat: Man muss nicht jedem Menschen, der ein preiswerte­s Schnitzel isst, das Gefühl geben, er sei ein schlechter Mensch oder eine Umweltsau. Wir brauchen auch keinen Veggie-Day in Kantinen. Aber jeden Tag in einer Kantine ein fleischlos­es, dennoch vollwertig­es Gericht anzubieten, wäre eine konstrukti­ve Maßnahme, die einen freiwillig­en Verzicht auslösen würde. Auch Aufklärung über das Leiden der Tiere in Massenhalt­ung tut not. Es reicht aber, die Dinge so zu schildern, wie sie in der Realität sind. Das ist schlimm genug. Da bedarf es keiner moralische­n Keule.

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