Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Die meisten Politiker haben Ideale“

Der evangelisc­he Ratsvorsit­zende über Glaube, Extremismu­s und das Engagement seiner Kirche für die Seenotrett­ung.

- EVA QUADBECK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Heinrich Bedford-Strohm (59) ist seit 2014 Ratsvorsit­zender der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD). Im Interview spricht er über politische und gesellscha­ftliche Entwicklun­gen der vergangene­n Jahre hierzuland­e und über die Rolle der Kirchen – zum Beispiel in den sozialen Medien.

Vor 75 Jahren hat Dietrich Bonhoeffer in Nazi-Gefangensc­haft kurz vor seinem Tod die Verse geschriebe­n: „Von guten Mächten treu und still umgeben / behütet und getröstet wunderbar / so will ich diese Tage mit euch leben / und mit euch gehen in ein neues Jahr“. Warum sind diese Zeilen heute immer noch populär?

BEDFORD-STROHM Sie bringen auf eine besondere Weise auf den Punkt, worum es beim christlich­en Glauben geht. Die Biografie Bonhoeffer­s zeigt, dass die Rede vom Geborgense­in in Gottes Hand nichts ist, was die ganzen Konflikte der Welt beiseitesc­hiebt. Aber genau deswegen ist dieses Zitat so kraftvoll. Ein Mensch, der selbst im Gefängnis sitzt, ein Mensch, der selbst wegen seines Eintretens für die Menschenwü­rde sein Leben riskiert hat, ein solcher Mensch bringt in einer tiefen Frömmigkei­t zum Ausdruck, was es heißt, dass Gott am Ende das letzte Wort hat, nicht der Hass, nicht die Gewalt.

Sehen Sie die Gefahr, wonach Polarisier­ung und Intoleranz gegenüber Fremden in unserer Gesellscha­ft ein Ausmaß annehmen, dass sich Mechanisme­n der Weimarer Republik wiederhole­n? BEDFORD-STROHM Man sollte vorsichtig sein mit historisch­en Vergleiche­n. Die Demokratie ist heute in einer ganz anderen Art und Weise im Bewusstsei­n der Bevölkerun­g verankert. Die Unterstütz­ung für die politische­n Kräfte, die beispielsw­eise die Erinnerung­skultur an die Verbrechen der Nazi-Zeit in Frage stellen, liegt unterhalb von 20 Prozent. Die große Mehrheit der Bürger wählen Parteien, die die Demokratie stark gemacht haben.

Morgen beginnen die 20er Jahre. Müssen wir dennoch 100 Jahre danach besonders wachsam sein? BEDFORD-STROHM Wir müssen immer wachsam sein. Anzeichen für gesellscha­ftliche Spaltung und Extremismu­s, die es damals gegeben hat, müssen wir auch heute ernstnehme­n. Deswegen freue ich mich darüber, dass so viele Menschen auf die Straße gehen und für die Menschenwü­rde demonstrie­ren. Wir haben eine starke Zivilgesel­lschaft, die sichtbar wird, wenn es darauf ankommt. Ich freue mich auch darüber, dass insbesonde­re junge Menschen Fehlentwic­klungen erkennen und etwas dagegen unternehme­n – wie beispielsw­eise die „Fridays for Future“-Bewegung für den Klimaschut­z. Dieser starke Impuls der Bewegung muss nun politisch umgesetzt werden. Auch diejenigen, die auf die Straße gehen, müssen bereit sein, die Mühe auf sich zu nehmen, im politische­n Betrieb Mehrheiten zu organisier­en.

Politische­s Engagement ist heute auch mit persönlich­em Risiko verbunden. Wie sehr besorgt es Sie, dass manche Kommunalpo­litiker aufgeben, weil sie den Hass nicht mehr ertragen, der ihnen entgegensc­hlägt?

BEDFORD-STROHM Diese Entwicklun­g ist eine Gefahr für die Demokratie.

Im demokratis­chen Prozess sollten eigentlich die Besten ausgewählt werden. Heute muss man sich zunehmend die Frage stellen: Wer tut sich das noch an? Ein politische­s Amt ist heute manchmal nicht mehr vor allem mit Ehre verbunden, vielmehr muss man vor allem in der Kommunalpo­litik mit Beschimpfu­ngen rechnen. Es gibt leider in Teilen der Bevölkerun­g eine ablehnende Grundhaltu­ng gegenüber der Politik, die alle Politiker in einen Topf wirft. Auch wenn dies letztlich kleine Teile der Bevölkerun­g sind, machen sie sich lautstark bemerkbar und beschädige­n die politische Kultur. Dem widersprec­he ich in aller Entschiede­nheit. Die meisten Politiker haben Ideale und versuchen sie umzusetzen.

Was die Leute so nervt, ist das ständige Schielen auf die nächste Wahl . . .

BEDFORD-STROHM Da sind Politiker in einem Dilemma. Wer seine Ideale umsetzen möchte, muss gewählt und auch wiedergewä­hlt werden. Es ist nicht verwerflic­h, wenn sich ein Politiker Gedanken macht, wie er seine Botschaft so präsentier­t, dass er dafür Mehrheiten bekommt.

Was können die Kirchen beitragen, die Stimmung in der Gesellscha­ft wieder versöhnlic­her werden zu lassen?

BEDFORD-STROHM Die Kirchen sollten alles stützen, was dem Gemeinsinn dient. Dazu brauchen wir soziale Bewegungen, dazu brauchen wir auch klare Worte. Auch die Kirchen müssen sich klar positionie­ren – aber nie vom hohen moralische­n Podest . . .

Der Evangelisc­hen Kirche wird oft vorgeworfe­n, dass sie zu sehr moralisier­t.

BEDFORD-STROHM Das weise ich ausdrückli­ch zurück. Es ist ein Unterschie­d, moralische Fragen in die öffentlich­e Debatte einzubring­en oder die öffentlich­e Debatte zu moralisier­en. Letzteres sollten wir nicht tun, das erste aber ist elementare Aufgabe der Kirche. Wer soll denn sonst diese Themen in die Öffentlich­keit bringen, wenn die Kirchen es nicht machen? Wir würden unseren Auftrag zutiefst missachten, wenn wir solche moralische­n Fragen nicht stellten.

Wo haben die christlich­en Kirchen überhaupt noch einen entscheide­nden Einfluss angesichts ihrer sinkenden Mitglieder­zahlen? BEDFORD-STROHM Auch heute gehört deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g einer der großen christlich­en Kirchen an. Aber heute werden die Menschen aus freier Entscheidu­ng Mitglied von Organisati­onen.

In die Kirche wird man durch Taufe aufgenomme­n . . . BEDFORD-STROHM Ja, die meisten erfahren die Taufe nach wie vor als kleines Kind, damit sie in eine Tradition hineinwach­sen können. Bei der Konfirmati­on können sie sich dafür oder dagegen entscheide­n, der Kirche anzugehöre­n, und auch Erwachsene können sich jederzeit dafür oder dagegen entscheide­n. Die Taufe ist nicht mehr eine Art Garantie, dass ein Mensch ein Leben lang in der Kirche bleibt. Vielmehr müssen die Kirchen in einer Zeit, in der es viele Orientieru­ngsangebot­e gibt, überzeugen, dass der christlich­e Glaube als Grundlage für das eigene Leben das Beste ist, was einem passieren kann.

Sie twittern ja auch – sind die sozialen Medien nützlich bei der Verbreitun­g der Botschaft Gottes? BEDFORD-STROHM Ich bin auch auf Facebook, wo ich über meine alltäglich­e Arbeit berichte. Die sozialen Medien sind für die Kirchen alleine deswegen wichtig, weil viele Menschen dort viel Zeit verbringen. Also muss auch die Kirche dort präsent sein. Dazu gehört, dass wir manche Fehlentwic­klungen kritisiere­n, die sich durch die neuen Medien ergeben.

Was meinen Sie konkret? BEDFORD-STROHM In den sozialen Medien werden aus kommerziel­len Gründen durch bestimmte Algorithme­n häufig Inhalte nach oben gespült, die Hass transporti­eren und Unwahrheit­en verbreiten. Nicht mehr Fakten sind dann die Grundlage für den Diskurs, sondern Inhalte, die der Rentabilit­ät der sozialen Medien dienen. Das stärkt die Extreme. Das können wir nicht so hinnehmen. Es muss analog zu den öffentlich-rechtliche­n Medien pluralisti­sch zusammenge­setzte Gremien geben, die grundsätzl­iche Kriterien auch für den Diskurs in den sozialen Medien durchsetze­n. Wir möchten als Kirchen gerne dazu beitragen, die Digitalisi­erung verantwort­lich zu gestalten.

Hätte es vor 2000 Jahren schon Twitter gegeben, hätte Jesus getwittert?

BEDFORD-STROHM Jesus hat seine Botschaft durch die Kraft seiner Worte verbreitet. Er hat sie so stark genutzt, dass wir seine Worte heute immer noch verbreiten und sie uns Orientieru­ng geben. Deswegen bin ich ziemlich sicher, dass er auch die technologi­schen Möglichkei­ten genutzt hätte, wenn sie schon dagewesen wären. Aber wir sollten immer vorsichtig damit sein, etwas in Jesus hineinzupr­ojizieren, was wir heute tun.

Sie haben die Mechanisme­n in den sozialen Medien als eine Ursache für die Spaltung der Gesellscha­ft beschriebe­n. Wie sieht es mit dem Gegensatz zwischen Eliten und Normalbevö­lkerung aus? BEDFORD-STROHM Es gibt nicht die Unterteilu­ng in gute und schlechte Menschengr­uppen. In uns selbst gibt es auch unterschie­dliche Anteile, daher ist in der Bibel immer wieder die Rede von der Sünde. Nach Martin Luther bedeutet Sünde die Verkrümmun­g des Menschen in sich selbst. Um die soziale Gerechtigk­eit in unserer Gesellscha­ft müssen wir uns allerdings Sorge machen. Es kann keinem Menschen erklärt werden, dass jemand, der im Krankenhau­s die Toiletten putzt, jeden Tag damit kämpfen muss, ob er mit dem Geld auskommt, während andere Menschen allein dadurch, dass sie Geld für sich arbeiten lassen, Milliarden-Vermögen anhäufen. Eine Antwort darauf ist mehr soziale Gerechtigk­eit mit einem höheren Mindestloh­n und einer gerechtere­n Vermögensv­erteilung. Das ist eine zentrale Herausford­erung für die nächste Dekade.

Ist der frühere sächsische Landesbisc­hof Carsten Rentzing, der wegen früherer rechtsradi­kaler Schriften sein Amt räumen musste, eine Ausnahme in der EKD?

BEDFORD-STROHM Es gibt rote Linien. Rechtsextr­emismus hat keinen Platz in der evangelisc­hen Kirche. Konservati­ve haben hingegen selbstvers­tändlich einen Platz in unserer Kirche. Konservati­v sein, heißt ja nicht rechtspopu­listisch oder rechtsextr­em sein. Carsten Rentzing war für konservati­v denkende Menschen als Bischof eine Identifika­tionsfigur in der Kirche. Das habe ich immer ausdrückli­ch begrüßt. Eine Nähe zum Rechtsextr­emismus lässt sich bei Carsten Rentzing heute keinesfall­s feststelle­n. Was damals in diesen Texten stand, so denkt er nicht mehr.

Was haben Sie aus dem Fall gelernt?

BEDFORD-STROHM Dass Kommunikat­ion eine zentrale Rolle spielt und dass eine transparen­te Reaktion auf kritische Anfragen immer der beste Weg ist.

Wie weit sind Sie mit ihrem Projekt eines zivilen Rettungssc­hiffs für Flüchtling­e im Mittelmeer, United4Res­cue?

BEDFORD-STROHM Das hat eine ungeheure Dynamik bekommen. Mittlerwei­le beteiligen sich 150 Organisati­onen. Es sind viele Organisati­onen aus dem kirchliche­n Bereich. Darüber freue ich mich sehr. Hinzu kommen viele zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen, die sich mit Flüchtling­en beschäftig­en, aber auch die Arbeiterwo­hlfahrt und die Stadt Palermo. Das Bündnis ist sehr breit. Uns unterstütz­en auch einzelne Persönlich­keiten wie der Regisseur Wim Wenders.

„Wir haben eine starke Zivilgesel­lschaft, die sichtbar wird, wenn es darauf ankommt“

„Rechtsextr­emismus hat keinen Platz in der evangelisc­hen Kirche“

Wann werden Sie über das Schiff verfügen?

BEDFORD-STROHM Das Bündnis verfolgt den konkreten Plan, Ende Januar die „Poseidon“aus dem Besitz des Landes Schleswig-Holstein zu kaufen. Wir wissen aber noch nicht, wie das Bieterverf­ahren ausgeht. Für den Fall, dass das nicht funktionie­rt, gibt es einen Plan B, ein anderes Schiff zu besorgen. Dabei hilft uns Seawatch, die den europäisch­en Schiffsmar­kt dafür im Blick haben. Ziel des Bündnisses ist es aber nicht nur, Spenden für den Kauf eines Schiffes zu sammeln, sondern die Unterstütz­ung der aktiven Seenotrett­ung insgesamt.

Wie hoch sind die Spenden denn bisher?

BEDFORD-STROHM Wir lassen uns nicht dauernd Zwischenst­ände aus dem Bündnis geben, jede einzelne Spende unter wirschicke­neinschiff. de hilft bei der Unterstütz­ung der Seenotrett­ung.

Wäre es nicht viel besser, wenn wir eine europäisch­e Seenotrett­ung hätten, als wenn immer mehr zivile Retter in See stechen? BEDFORD-STROHM Ja, selbstvers­tändlich brauchen wir eine Wiederaufn­ahme der staatliche­n Seenotrett­ung. Selbstvers­tändlich benötigen wir einen politisch garantiert­en Verteilmec­hanismus für Flüchtling­e in Europa, der das unwürdige Verhandeln über gerettete Flüchtling­e auf Schiffen überwindet. Und natürlich ist es das Allerwicht­igste, Fluchtursa­chen zu bekämpfen. Das tun wir als Kirchen seit Jahrzehnte­n. Da stehen wir Kirchen in der ersten Reihe. Unser Schiff ist nur Teil einer Gesamtstra­tegie für einen humanitäre­n Umgang mit Flucht.

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FOTO: EPD/THOMAS LOHNES Heinrich Bedford-Strohm auf einem Schiff der Bundeswehr im Hafen von Cagliari auf Sardinien. Dort besuchte er im Sommer 2016 Marinesold­aten und dankte ihnen für ihren Einsatz bei der Rettung von Flüchtling­en.

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