Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Der Mann, der das „Dinner For One“kochte
Der Sketch gehört zum deutschen Allgemeinwissen. Der Mann, der es kochte, nicht. Ein unwahrscheinliches Interview.
DÜSSELDORF Hat eigentlich schon mal jemand einen Gedanken daran verschwendet, wer im deutschen Silvesterklassiker „Dinner For One“all die Speisen zubereitete, die Butler James Miss Sophie serviert? Unser Autor hat ihn sich deshalb ausgedacht. Martin Pedersen wäre beinahe ein glücklicher Mensch geworden. 1963 wurde der damals 19-Jährige zu einer Fernsehaufzeichnung in ein Hamburger Theater geschickt, um ein Vier-Gänge-Menü zu kochen. Es sollte das berühmteste in der deutschen Fernsehgeschichte werden.
Am 31. Dezember wird Deutschland wieder über einen Butler lachen, der über einen Tigerkopf stolpert. Gehört „Dinner For One“auch für Sie zu Silvester dazu?
MARTIN PEDERSEN Bin ich verrückt? Ich will mir doch nicht den Abend verderben. Der Fernseher bleibt den ganzen Tag über aus. Ich möchte kein Risiko eingehen bei den viertausend Wiederholungen.
Warum?
PEDERSEN Weil mir seit 56 Jahren die Anerkennung verweigert wird, die mir zusteht. Es ist Ihnen vielleicht nicht entgangen, dass in „Dinner For One“das Wort „Dinner“vorkommt. Nun raten Sie mal, wer dieses Dinner gekocht hat?
Aber im Abspann steht nicht mal Ihr Name.
PEDERSEN Damit geht es doch schon los. Ich wurde aus den Geschichtsbüchern gestrichen. Bis heute habe ich keinen Pfennig für meine Arbeit erhalten von den feinen Herren vom Fernsehen. Dabei habe ich sogar noch mehr geleistet, als das Essen zu kochen. Viel mehr.
Wie kamen Sie damals überhaupt an den Job?
PEDERSEN 1963 war ich 19, hatte gerade meine Ausbildung zum Koch beendet und arbeitete in einem großen Hamburger Hotel. Eines Tages kam mein Chef zu mir. Da seien so ein paar Herren vom Fernsehen. Sie bräuchten jemanden, der für eine Aufzeichnung ein paar Gerichte kocht, irgendwas mit einem greisen Butler und einer dementen Engländerin. Keiner hatte Lust auf die Überstunden, deshalb schickten sie mich. Mich freute das total. Fernsehen, das war mal was anderes für einen jungen Kerl wie mich.
Und die Herren vom Fernsehen…? PEDERSEN Versprachen mir eine ganze Menge. Nicht nur Geld, sondern auch einen Auftritt in der Show. Ursprünglich sollte ich das Essen durch die Durchreiche geben. „Dinner For One“sollte am nächsten Tag vor Publikum aufgezeichnet werden. Die Pointe der Show war da allerdings noch eine andere.
Und zwar?
PEDERSEN Butler James sollte nicht viermal pro Gang mit Miss Sophie anstoßen, sondern viermal pro Gang mitessen. Bis er sich auf der Tischplatte vor Bauchschmerzen krümmte und Miss Sophie anflehte, auf Toilette gehen zu dürfen, was diese ihm ständig verwehrt hätte. Es waren auch wahnsinnige Fürze geplant. Dafür, dass ein Engländer den Sketch geschrieben hatte, war er ziemlich flach. Mir kam das sehr Deutsch vor. In England interessiert sich ja bis heute niemand dafür.
Das Vier-Gänge-Menü, das Butler James Miss Sophie serviert, besteht aus Mulligatawny-Suppe, Schellfisch, Hühnchen und Obst. PEDERSEN Doch die Küche im Theater war eine winzige Kochnische mit zwei Platten, und ich sagte ihnen, dass es schwierig wird, gleichzeitig fünf Menüs zu kochen. Man rätselte eine Weile herum, bis mir eine Idee kam. Anstatt mitzuessen, könne der Butler doch einfach jedes Mal mit anstoßen und schließlich betrunken um den Tisch torkeln. Das sei sowieso viel witziger. Die Leute vom Fernsehen waren gleich begeistert.
Ohne Sie wäre der Butler also nie – verzeihen Sie mir den Ausdruck – hackedicht gewesen?
PEDERSEN So ist es. Ohne mich wäre „Dinner For One“nie so erfolgreich geworden.
War da eigentlich wirklich Alkohol in den Flaschen?
PEDERSEN Klar, Freddie Frintons Talent hätte niemals ausgereicht, einen Betrunkenen zu spielen.
Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie heute so verbittert sind. PEDERSEN Als ich am nächsten Tag wiederkam, behandelten sie mich wie einen dahergelaufenen Koch. Wie wenig wichtig ihnen meine Arbeit war, hätte ich schon erkennen sollen, als ich für die Mulligatawny-Suppe in die Bibliothek gehen wollte, chefkoch.de existierte damals ja noch nicht. Es hieß, das sei nicht nötig, ich solle irgendwas zusammenrühren. Es wisse ja ohnehin niemand, wie eine Mulligatawny-Suppe aussehe. Zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung sagte man mir plötzlich, ich solle schon mal kochen, damit das Essen auch garantiert fertig sei. Ich fragte, ob ich es dann warmhalten solle. Ach, das sehe man im Fernsehen nachher eh nicht.
Warum wurden Sie denn plötzlich so schlecht behandelt?
PEDERSEN Ganz einfach: Sie hatten gemerkt, wie viel besser der Sketch durch meine Idee auf einmal war. Aber wie hätte das denn ausgesehen, wenn ein einfacher Koch der Show den entscheidenden Dreh gegeben hätte? Das konnten die Herren Künstler nicht verkraften. Also hat Frinton alles als seine Idee ausgegeben, und ich kleines Licht konnte nichts dagegen tun.
Bis „Dinner For One“regelmäßig Silvester wiederholt wurde, verging noch einige Zeit.
PEDERSEN Ja, ich war zwar sehr frustriert, vergaß den Vorfall aber bald wieder. Als es dann in den 70ern losging mit den ganzen Wiederholungen, erinnerte ich mich wieder daran. Und mir fiel ein, dass ich noch immer nicht bezahlt worden war. Nicht fürs Kochen, nicht für meine Idee. Also meldete ich mich beim NDR und beschwerte mich.
Der wie reagierte?
PEDERSEN Der Sender leugnete, dass es überhaupt einen Koch für die Show gegeben habe. Das tut er bis heute. Es hieß, die Frau des Kameramanns habe gekocht. Einmal gab es ein großes Wiedersehen mit allen Beteiligten. Nur ich wurde nicht eingeladen. Es sollte ja nicht auffliegen. Dabei habe ich die Show erst zu dem gemacht, was sie ist.
Haben Sie eigentlich eine Silvestertradition?
PEDERSEN Ich guck mir die Silvesterfolge von „Ein Herz und eine Seele“auf Youtube an. Wie Ekel Alfred und sein Schwiegersohn da den ganzen Punsch wegbechern – da könnte ich mich bis heute jedesmal in die Ecke werfen.
SEBASTIAN DALKOWSKI ERFAND DAS GESPRÄCH.