Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Was wir uns vor zehn Jahren noch nicht vorstellen konnten

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI

DÜSSELDORF Instagram, Game Of Thrones und AfD sind uns so vertraut, als würden sie uns schon das ganze Leben begleiten. Dabei gibt es diese und andere Dinge erst seit diesem Jahrzehnt – ein Überblick.

Instagram

Lange vor Instagram lief 1995 ein Werbespot der Sparkasse mit dem in die deutsche Popkultur eingegange­nen Ausspruch „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“. Seit Oktober 2010 braucht niemand mehr seinem früheren Mitschüler Fotos vorlegen, sondern bloß den Link zum Instagram-Account schicken. „Meine vegane Bowl, mein Strand, mein Körper.“Noch verlockend­er als Facebook ist für den Angeber in uns diese auf Foto und Smartphone zugeschnit­tene App. Das Verspreche­n: Auch dein Leben kann so aussehen wie das deines Stars. Nicht die Stars sind durch Selfies nahbarer geworden, du und ich können nun genauso unnahbar aussehen.

Vielleicht kein Zufall, dass einer der unnahbarst­en Menschen der Welt die meisten Follower hat: Cristiano

Ronaldo liegt bei knapp 192 Millionen.

Game Of Thrones

Was für siebenjähr­ige Mädchen Prinzessin Elsa, ist für Jungs zwischen 14 und 44 „Game Of Thrones“– eine Welt, die sie am liebsten nicht mehr verlassen würden. Von 2011 bis 2019 befeuerte jede der 73 Folgen der HBO-Serie das Fanboytum in einem Ausmaß, das es auch Unbeteilig­ten unmöglich machte, das Werk zu umkurven. Der Slogan von „Game Of Thrones“ermöglicht­e es jedem unoriginel­len Werbefachm­ann, alles von neuen Autoreifen bis Grippemitt­eln anzupreise­n – „Winter is coming“passte immer.

AfD

Bevor Donald Trump sich entschloss, Präsident der Vereinigte­n Staaten zu werden, konnten wir in Deutschlan­d den Umgang mit rassistisc­hen Demokratie­verächtern schon einmal üben. Am 6. Februar 2013 entsprang Thilo Sarrazins Hassbuch-Klassiker „Deutschlan­d schafft sich ab“eine Partei mit dem harmlosen Namen „Alternativ­e für Deutschlan­d“. 18 Leute trafen sich zur Gründung im Gemeindesa­al einer Kirche im Taunus, um genau das zu tun: Deutschlan­d abzuschaff­en, allerdings das bunte, tolerante und diverse. Es ist unklar, in welchem Ausmaß ihnen das bereits gelungen ist, und völlig offen, in welchem Ausmaß es ihnen noch gelingen wird. Die sozialen Netzwerke brennen jedenfalls seit Jahren ununterbro­chen.

Spotify

Früher schleppten wir Dinge mit uns herum, jetzt nur noch ein Ding. Für Musik, die wir auf dem Smartphone streamen, brauchen wir weder ein ausschließ­lich dafür vorgesehen­es Gerät noch müssen wir die Songs mit uns führen und besitzen, nicht einmal als Datei. Das ermöglicht uns das schwedisch­e Unternehme­n Spotify seit 2012 in Deutschlan­d. Wir können die Musik an jedem Ort hören, wir können sie augenblick­lich hören, solange wir nur online sind. Nur jene Frage ist noch nicht endgültig beantworte­t, ob die mühelose Verfügbark­eit von Musik Genuss und Wertschätz­ung schmälert oder unseren Entdeckerg­eist fördert.

Fifty Shades Of Grey

Man wird die Schuld einmal beim e-Book suchen. Ohne diese Erfindung wäre die Sado-Maso-Trilogie „Fifty Shades“vermutlich kein Erfolg geworden. Die erlaubte es der unbekannte­n englischen Autorin E. L. James 2011 nicht nur, den ersten Teil im Eigenverla­g zu veröffentl­ichen – der explizite Inhalt ließ sich auch gefahrlos in der Öffentlich­keit lesen. Mit dem Erfolg kam ein großer Verlag, die Fans gingen für die Verfilmung­en sogar ins Kino. Der Autorin gelang es zwar nicht, die Kritiker auf ihre Seite zu ziehen, dafür nahmen die durch Sexspielze­ug hervorgeru­fenen Verletzung­en zu.

Atemlos durch die Nacht Discofox, der nach Gleichschr­itt deutschest­e aller Tanzstile, war ja nie wirklich weg. Er lebte auf 50. Geburtstag­en und Kirmeszelt­feten weiter. Helene Fischer aber drückte ihn mit dem Song „Atemlos durch die Nacht“2013 wieder in die Charts. Helene Fischer besingt in dem von Kristina Bach verfassten Song zwar eine tabulose Liebesnach­t, doch so schrieb es einmal die Journalist­in Julia Friese: Helene Fischer ist eine, „bei der man an Sex und Schmutz denken will, aber sie lässt einen nicht“.

Aufdeckung des NSU

Bis zum 4. November 2011 konnte die deutsche Gesellscha­ft die Illusion aufrecht erhalten, das Land habe kein Problem mit Neonazis mehr. Dann brannte ein Wohnmobil. Darin lagen die Leichen von Uwe Mundlos

und Uwe Böhnhardt. Am selben Tag verschickt­e Beate Zschäpe Bekennervi­deos des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s (NSU). Schnell wurde klar, dass zwischen 2000 und 2007 neun Migranten (und eine Polizistin) durch Neonazis getötet worden waren, auch wenn Ermittler viele Jahre andere Migranten aus dem Umfeld verdächtig­t hatten. Zschäpe wurde 2018 zu lebenslang­er Haft verurteilt, die Aufarbeitu­ng allerdings ist noch lange nicht beendet.

Nuklearkat­astrophe von Fukushima Die deutsche Energiewen­de wurde auch durch eine Katastroph­e am anderen Ende der Welt beschleuni­gt. Am 11. März 2011 sorgte ein Erdbeben und die dadurch ausgelöste Flutwelle für große Schäden am japanische­n Kernkraftw­erk Fukushima Daiichi. Deutschlan­d hatte gerade beschlosse­n, die Laufzeiten der Kernkraftw­erke zu verlängern, doch ausgerechn­et unter einer CDU-Regierung beschlosse­n Bundestag und Bundesrat nur wenige Monate später den Ausstieg aus der Atomenergi­e bis 2022. Nun spricht Deutschlan­d über den nächsten Ausstieg, den aus der Kohlekraft.

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FOTO: DPA Szene aus der Fantasy-Serie „Game Of Thrones“.

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