Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Was wir uns vor zehn Jahren noch nicht vorstellen konnten
DÜSSELDORF Instagram, Game Of Thrones und AfD sind uns so vertraut, als würden sie uns schon das ganze Leben begleiten. Dabei gibt es diese und andere Dinge erst seit diesem Jahrzehnt – ein Überblick.
Lange vor Instagram lief 1995 ein Werbespot der Sparkasse mit dem in die deutsche Popkultur eingegangenen Ausspruch „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“. Seit Oktober 2010 braucht niemand mehr seinem früheren Mitschüler Fotos vorlegen, sondern bloß den Link zum Instagram-Account schicken. „Meine vegane Bowl, mein Strand, mein Körper.“Noch verlockender als Facebook ist für den Angeber in uns diese auf Foto und Smartphone zugeschnittene App. Das Versprechen: Auch dein Leben kann so aussehen wie das deines Stars. Nicht die Stars sind durch Selfies nahbarer geworden, du und ich können nun genauso unnahbar aussehen.
Vielleicht kein Zufall, dass einer der unnahbarsten Menschen der Welt die meisten Follower hat: Cristiano
Ronaldo liegt bei knapp 192 Millionen.
Game Of Thrones
Was für siebenjährige Mädchen Prinzessin Elsa, ist für Jungs zwischen 14 und 44 „Game Of Thrones“– eine Welt, die sie am liebsten nicht mehr verlassen würden. Von 2011 bis 2019 befeuerte jede der 73 Folgen der HBO-Serie das Fanboytum in einem Ausmaß, das es auch Unbeteiligten unmöglich machte, das Werk zu umkurven. Der Slogan von „Game Of Thrones“ermöglichte es jedem unoriginellen Werbefachmann, alles von neuen Autoreifen bis Grippemitteln anzupreisen – „Winter is coming“passte immer.
AfD
Bevor Donald Trump sich entschloss, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, konnten wir in Deutschland den Umgang mit rassistischen Demokratieverächtern schon einmal üben. Am 6. Februar 2013 entsprang Thilo Sarrazins Hassbuch-Klassiker „Deutschland schafft sich ab“eine Partei mit dem harmlosen Namen „Alternative für Deutschland“. 18 Leute trafen sich zur Gründung im Gemeindesaal einer Kirche im Taunus, um genau das zu tun: Deutschland abzuschaffen, allerdings das bunte, tolerante und diverse. Es ist unklar, in welchem Ausmaß ihnen das bereits gelungen ist, und völlig offen, in welchem Ausmaß es ihnen noch gelingen wird. Die sozialen Netzwerke brennen jedenfalls seit Jahren ununterbrochen.
Spotify
Früher schleppten wir Dinge mit uns herum, jetzt nur noch ein Ding. Für Musik, die wir auf dem Smartphone streamen, brauchen wir weder ein ausschließlich dafür vorgesehenes Gerät noch müssen wir die Songs mit uns führen und besitzen, nicht einmal als Datei. Das ermöglicht uns das schwedische Unternehmen Spotify seit 2012 in Deutschland. Wir können die Musik an jedem Ort hören, wir können sie augenblicklich hören, solange wir nur online sind. Nur jene Frage ist noch nicht endgültig beantwortet, ob die mühelose Verfügbarkeit von Musik Genuss und Wertschätzung schmälert oder unseren Entdeckergeist fördert.
Fifty Shades Of Grey
Man wird die Schuld einmal beim e-Book suchen. Ohne diese Erfindung wäre die Sado-Maso-Trilogie „Fifty Shades“vermutlich kein Erfolg geworden. Die erlaubte es der unbekannten englischen Autorin E. L. James 2011 nicht nur, den ersten Teil im Eigenverlag zu veröffentlichen – der explizite Inhalt ließ sich auch gefahrlos in der Öffentlichkeit lesen. Mit dem Erfolg kam ein großer Verlag, die Fans gingen für die Verfilmungen sogar ins Kino. Der Autorin gelang es zwar nicht, die Kritiker auf ihre Seite zu ziehen, dafür nahmen die durch Sexspielzeug hervorgerufenen Verletzungen zu.
Atemlos durch die Nacht Discofox, der nach Gleichschritt deutscheste aller Tanzstile, war ja nie wirklich weg. Er lebte auf 50. Geburtstagen und Kirmeszeltfeten weiter. Helene Fischer aber drückte ihn mit dem Song „Atemlos durch die Nacht“2013 wieder in die Charts. Helene Fischer besingt in dem von Kristina Bach verfassten Song zwar eine tabulose Liebesnacht, doch so schrieb es einmal die Journalistin Julia Friese: Helene Fischer ist eine, „bei der man an Sex und Schmutz denken will, aber sie lässt einen nicht“.
Aufdeckung des NSU
Bis zum 4. November 2011 konnte die deutsche Gesellschaft die Illusion aufrecht erhalten, das Land habe kein Problem mit Neonazis mehr. Dann brannte ein Wohnmobil. Darin lagen die Leichen von Uwe Mundlos
und Uwe Böhnhardt. Am selben Tag verschickte Beate Zschäpe Bekennervideos des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Schnell wurde klar, dass zwischen 2000 und 2007 neun Migranten (und eine Polizistin) durch Neonazis getötet worden waren, auch wenn Ermittler viele Jahre andere Migranten aus dem Umfeld verdächtigt hatten. Zschäpe wurde 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt, die Aufarbeitung allerdings ist noch lange nicht beendet.
Nuklearkatastrophe von Fukushima Die deutsche Energiewende wurde auch durch eine Katastrophe am anderen Ende der Welt beschleunigt. Am 11. März 2011 sorgte ein Erdbeben und die dadurch ausgelöste Flutwelle für große Schäden am japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. Deutschland hatte gerade beschlossen, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern, doch ausgerechnet unter einer CDU-Regierung beschlossen Bundestag und Bundesrat nur wenige Monate später den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022. Nun spricht Deutschland über den nächsten Ausstieg, den aus der Kohlekraft.