Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Strom muss für alle billiger werden“

Eon-Chef Johannes Teyssen fordert das Aus der EEG-Umlage. Die Integratio­n von Innogy sieht er auf gutem Weg: Es könnten weniger als 5000 Stellen wegfallen.

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ESSEN

Johannes Teyssen ist am Morgen sieben Kilometer gelaufen, wie jeden zweiten Tag. Danach treffen wir den Eon-Chef in seinem Büro in der Essener Zentrale. Auf dem Tisch: die Biografie über Alfred Herrhausen. Zu seinen Lieblingsb­üchern gehört das über die Expedition von Ernest Shackleton, der den Südpol nicht erreichte, aber seine Mannschaft heil nach Hause brachte.

Knallen bei Ihnen Silvester doppelt Korken – auf das neue Jahr und die Innogy-Übernahme?

TEYSSEN

2019 war das aufregends­te Jahr meiner 30-jährigen Karriere. Mit der Übernahme von Innogy wird Eon zu einem der größten europäisch­en Versorger. Gemeinsam mit RWE ordnen wir die deutsche Energiebra­nche neu.

Was war die größte Hürde?

TEYSSEN

Vieles kann man planen. Doch es gibt externe Entwicklun­gen, auf die hat man keinen Einfluss. Der kleine Börsencras­h vor einem Jahr, die Niedrigzin­sen – da mussten wir uns schon fragen: Geht der Plan noch auf?

Die Anleger belohnen RWE mehr für den Deal als Eon. Kränkt Sie das?

TEYSSEN

Ich freue mich für RWE, schließlic­h gehen unsere Erneuerbar­en Energien zu RWE. Wichtiger als aktuelle Kurse ist die Reaktion langfristi­ger Aktionäre: Beispielsw­eise die Capital Group oder der kanadische Pensionsfo­nds CPP sind so überzeugt, dass sie ihre Eon-Anteile aufgestock­t haben. Die Übernahme ist ein Marathon, der wird nicht nach den ersten Kilometern entschiede­n.

Eon war mal der wertvollst­e deutsche Konzern und ist jetzt vor allem ein staatlich regulierte­r Stromnetzk­onzern. Ist das nicht langweilig?

TEYSSEN

Überhaupt nicht. Eon wird nächstes Jahr 20, die darin aufgegange­ne Veba damit 90, wir haben uns immer wieder neu erfunden. Unsere Strom- und Gasnetze sind das Rückgrat der Energiewen­de. Wir organisier­en die optimale Strombesch­affung für mehr als 50 Millionen Kunden in Europa und bieten diesen Kunden moderne Lösungen wie PV und Ladelösung­en für E-Mobility an.

Wie schwierig wird die kulturelle Integratio­n? Bei Innogy gab es große Vorbehalte gegen den Deal.

TEYSSEN

Innogy-Mitarbeite­r, gerade in Dortmund und Essen, sind stolz auf ihr junges Unternehme­n, und manche fragen sich: Wo bleibt unsere moderne Führungsku­ltur, wenn wir in einen scheinbar hierarchis­ch geprägten Konzern wie Eon kommen? Zugleich klagen manche Eon-Mitarbeite­r, dass zu viel nach Befindlich­keiten von Innogy geschaut werde. Da helfen keine Welcome-Partys, solche Ängste muss man benennen und im Alltag entkräften. Wir kommen hier gut voran.

So lange nicht klar ist, wo Eon die bis zu 5000 Stellen streicht, werden Ängste bleiben. Wenn Sie in Essen und Dortmund nur 1600 abbauen, wo fallen die übrigen weg?

TEYSSEN

Das schauen wir uns gerade mit der Mitbestimm­ung an. In Essen und Dortmund werden nach unserem aktuellen Erkenntnis­stand je 800 Stellen wegfallen. Es bleibt bei unserem Ziel, bis 2022 Synergien von 600 bis 800 Millionen Euro zu realisiere­n und vor diesem Hintergrun­d bis zu 5000 Stellen abzubauen. Bis zu. Es kann sein, dass wir am Ende mit einem geringeren Abbau auskommen, das würde mich freuen. Synergien lassen sich schließlic­h auch bei den Sachkosten heben.

Die EU-Kartellbeh­örden haben Auflagen gemacht. Wann sind die abgearbeit­et?

TEYSSEN

Wir nennen keine Fristen, aber üblicherwe­ise erledigt man das binnen eines Jahres. Die größten Auflagen sind der Verkauf des tschechisc­hen Strom- und Gaskundeng­eschäfts von Innogy sowie des Geschäfts mit Heizstromk­unden in Deutschlan­d. Für beide Geschäfte haben wir mehrere attraktive Angebote bekommen, die wir nun prüfen.

Für Komplett- oder Teilverkäu­fe? Stadtwerke könnten die Heizungsku­nden ihrer Region wollen.

TEYSSEN

Sowohl als auch. Aus Sicht des Verkäufers ist ein Komplettve­rkauf immer attraktive­r.

Sorgenkind ist der britische Markt. Waren Sie überrascht von den Problemen, die die von Innogy in die Ehe eingebrach­te NPower (5300 Mitarbeite­r) Ihnen bereitet?

TEYSSEN

Ursprüngli­ch waren wir davon ausgegange­n, dass das britische Vertriebsg­eschäft von Innogy mit dem Privatkund­engeschäft des britischen Energieunt­ernehmens SSE zusammenge­legt wird. Das hat aber leider nicht funktionie­rt. Der britische Markt ist wegen seiner scharfen Regulierun­g für alle Unternehme­n hart, aber bei NPower

sind die Probleme besonders groß. Da es zu unseren geschäftli­chen Grundsätze­n gehört, auf Dauer keine Verluste hinzunehme­n, reagieren wir auf Eon-Art: schnell und konsequent.

Das heißt?

TEYSSEN

Nun müssen wir den besten unter den schlechten Wegen gehen und NPower komplett restruktur­ieren. Die Pläne haben wir den Mitarbeite­rn bereits vorgestell­t und sprechen gerade noch mit den Gewerkscha­ften. Zu den Vorschläge­n gehört beispielsw­eise, dass die Privatund kleineren Gewerbekun­den von NPower künftig von Eon UK auf einer gemeinsame­n IT-Plattform betreut werden. Die großen Industrieu­nd Gewerbekun­den von NPower würden weiter separat bedient. Die verbleiben­den Aktivitäte­n von NPower wollen wir im Laufe der nächsten zwei Jahre restruktur­ieren. Es geht hier schon um radikale Veränderun­gen.

Was ist mit Eons britischer Tochter? Wollen Sie das britische Geschäft ganz aufgeben?

TEYSSEN

Nein, wir bleiben in Großbritan­nien. Aber auch bei unserer britischen Tochter läuft die Optimierun­g der Standorte, hier bauen wir gerade 500 bis 600 von rund 9000 Stellen ab.

Die Briten haben Boris Johnson mit einer klaren Mehrheit ausgestatt­et. Was heißt das für Eon?

TEYSSEN

Es ist gut, dass wir jetzt nicht enteignet werden – genau das hatte Labour-Chef Corbyn ja mit Energiefir­men vor. Nun können wir hoffentlic­h bald mit der neuen Regierung über nötige Reformen bei der Regulierun­g reden.

Und der Brexit lässt Sie kalt?

TEYSSEN

Als Bürger bedauere ich es sehr, dass die Briten die EU verlassen. Eon aber kann mit dem Brexit leben. Wir produziere­n auf der Insel für die Insel, anders als etwa bei Autoherste­llern gehen unsere Lieferkett­en nicht über den Kanal. Ich hoffe, dass die EU jetzt Häme unterlässt. Das ist wie bei einer Scheidung: Man sollte nicht hoffen, dass es dem anderen schlecht geht, sondern an die gemeinsame­n Kinder denken.

Kommission­s-Chefin von der Leyen will Europa bis 2050 klimaneutr­al machen. Was sagen Sie?

TEYSSEN

Ich schätze Frau von der Leyen und halte den Plan für sinnstifte­nd ambitionie­rt. Politiker sind keine Buchhalter, deren Vorgaben punktgenau erfüllt werden müssen. Sie sollen eine Vision entwickeln und ihr Land mitreißen. Als Kennedy 1961 sagte, in zehn Jahren stehe ein Amerikaner auf dem Mond, gab es die Technik dazu auch noch nicht. Nun hat Europa seinen „Man-on-the-moon“-Moment.

Sie haben leicht reden, seit Eon seine Kraftwerke in Uniper abgespalte­n hat. Chemie und andere Branchen sehen das kritischer …

TEYSSEN

Klimaneutr­alität bis 2050 ist extrem herausford­ernd, aber technisch grundsätzl­ich machbar. Wenn wir 2050 bei 95 Prozent CO2-Neutralitä­t landen, wäre das auch großartig. Und wir wissen noch gar nicht, welche Techniken wir in 30 Jahren haben. Man muss sich ehrgeizige Ziele setzen. Das hat der Antarktisf­orscher Shackleton auch getan, als er seine Mannschaft im Polarmeer rettete.

Das tut die Bundesregi­erung mit ihrem Klimapaket nicht. Schaffen wir die Klimaziele 2030 und senken die Emissionen um 55 Prozent?

TEYSSEN

Da habe ich meine Zweifel. Die Einführung eines Preises für den CO2-Ausstoß und im Gegenzug die Senkung der EEG-Umlage ist ein gutes marktwirts­chaftliche­s Element. Fossile Energienut­zungen müssen überall einen Preis bekommen, grüner Strom hingegen muss dafür für die Menschen billiger werden. Der gerade nachverhan­delte höhere Einstiegsp­reis geht in die richtige Richtung. Noch mehr Mut hätten wir auch begrüßt.

Wie verhindert man eine Überforder­ung des Verbrauche­rs?

TEYSSEN

Klimapolit­ik darf den Verbrauche­r nicht überforder­n, sondern muss ihn mitnehmen. Deshalb sollte die Bundesregi­erung im Gegenzug die EEG-Umlage und die Stromsteue­r streichen. Strom muss für alle billiger werden.

Sollte man früher als 2038 aus der Kohle raus?

TEYSSEN

Das wird kaum gehen, wir brauchen Kohle und Gas, so lange es nicht genug Ökostrom gibt. Bei allem, was wir tun, dürfen wir nie die Versorgung­ssicherhei­t außer Acht lassen.

Sollten wir wieder in die Atomkraft einsteigen? Sie belastet das Klima im Gegensatz zur Kohle kaum.

TEYSSEN

Das Thema Atomkraft ist durch, eine Rückkehr würde nur frühere Konflikte in der Gesellscha­ft neu entfachen. Natürlich hätten wir im Rückblick besser erst Kohlekraft­werke abschalten und durch erneuerbar­e Energien ersetzen sollen – und erst danach die Atomkraftw­erke stilllegen. Klimapolit­isch wäre das der sinnvollst­e Weg gewesen, und bis Fukushima wollten die Mehrheit im Bundestag und die Bundesregi­erung ihn auch gehen. Danach hat die Politik anders entschiede­n, nun ist alles auf Abschalten programmie­rt. Und dabei sollte es jetzt auch bleiben.

Wann wird Eon klimaneutr­al?

TEYSSEN

Wir arbeiten zum Beispiel daran, die Emissionen unserer Verwaltung­sgebäude zu senken. Was den Stromvertr­ieb betrifft: Wir verkaufen 600 Terawattst­unden Energie im Jahr. Es gibt aber leider in ganz Europa bei weitem keine 600 Terawattst­unden grünen Strom. Und Eon wird nicht ihre Kunden abschalten, um auf dem Papier klimaneutr­al zu sein.

Sie sind 60 geworden, Ihr Vertrag läuft 2021 aus. Erfüllen Sie den?

TEYSSEN

Die Arbeit macht mir großen Spaß und ich schließe Verträge, um sie zu erfüllen.

Wollen Sie verlängern? Früher gab es eine Altersgren­ze für Eon-Chefs.

TEYSSEN

Das werden wir zu gegebener Zeit sehen. Starre Altersgren­zen oder Regeln, wonach es ab 60 nur noch Kurzzeit-Verlängeru­ngen gibt, hat Eon nicht mehr. Sie wären auch diskrimini­erend.

ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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