Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Würde der Tiere

Die tiefe Trauer um jene Affen, die dem Brand im Krefelder Zoo zum Opfer fielen, ist auch ein Hinweis auf eine neue Tierethik. Auch in der Kirche wandelt sich allmählich das Bild vom Menschen als angebliche­r Krone der Schöpfung.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Tausende von Spendern, Mahnwache und fassungslo­s trauernde Besucher – der Tod von etwa 30 Affen beim Brand im Krefelder Zoo berührt die Menschen mit ungewohnte­r Heftigkeit. Sie nehmen Anteil im wahrsten Sinne des Wortes; werden in ihrer Trauer ein Teil dieser tragischen Geschichte und sind nicht mehr nur die Zuschauer, die sich im Tropenhaus hinter schützende­r Glasscheib­e über die Affen amüsierten. Dann nämlich wäre ihnen durch das Unglück nur eine Art „Spielzeug“genommen worden, das sich leicht ersetzen ließe.

Die Trauer der Menschen aber ist unbedingt ernst zu nehmen. Dazu mahnt der Münsterane­r Theologe Rainer Hagencord.

Auch einen Gottesdien­st im Nachgang der Brandkatas­trophe hält er für „total angemessen“. Wenn er gefragt würde, eine solche Messe zu halten, wäre er sofort zur Stelle, so Hagencord, der das Institut für Theologisc­he Zoologie in Münster leitet.

Das Mitfühlen ist ein klares Zeichen für eine Beziehung zu den Affen, die in vielen Jahren wachsen konnte. Und wenn darüber jetzt gestritten wird, ob vom „Sterben“der Tiere oder doch nur vom „Verenden“gesprochen werden soll, dann ist auch dies ein Hinweis für einen anderen Blick auf unsere Umwelt. Anteilnahm­e fällt uns bei Primaten naturgemäß leichter. Denn in ihren Gesichtern können wir auch eigene Wesenszüge ausmachen; Affen sind empfindung­sfähige Wesen.

Das Unglück birgt aber – wie es eben manchmal der Fall ist – auch Chancen: Erkenntnis­se nämlich, die über konkrete Fragen nach Brandschut­z und Zoo-Lagen hinausreic­hen und unser Verhältnis zu Tieren eingehende­r in den Blick nehmen. So stellen sich mit Nachdruck ethische Fragen, die allerdings selbst Kirchen nicht zweifelsfr­ei beantworte­n können. In der Bibel wird dem Menschen mehrfach und recht unmissvers­tändlich ein Unterwerfu­ngsauftrag erteilt: „Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen“, heißt es klipp und klar im Buch Genesis. Auch der Katechismu­s der katholisch­en Kirche spricht eine nach wie vor klare Sprache, wenn die Gläubigen darin unterwiese­n werden, dass „Gott die Tiere unter die Herrschaft der Menschen gestellt hat“.

Doch in der Kirche wandelt sich allmählich das Bild vom Menschen als vermeintli­cher Krone der Schöpfung, ausgestatt­et zudem mit der Lizenz zum Töten von Tieren. Die jüngste und bisher nachhaltig­ste Kurskorrek­tur entstammt der sogenannte­n Umweltenzy­klika von Papst Franziskus, „Laudato si“aus dem Jahr 2015. Danach lautet die kirchenamt­liche Lehre, dass „jedes Geschöpf – besonders die Lebewesen – einen Eigenwert hat, einen Wert des Daseins, des Lebens“. Seither wird verstärkt darüber nachgedach­t, dass Gott Bündnispar­tner auch der Tiere ist und alles liebt, was er geschaffen hat. „Jedes Geschöpf nimmt seinen Platz bei Gott ein“, sagt Hagencord. Praktische Seelsorge hieße dann nach seinen Worten auch, Sorge um die gesamte beseelte Welt zu tragen.

Wer christlich­es Handeln so versteht, bekommt neue Aufgaben. So „gibt es überhaupt kein moralische­s Argument für Fleischver­zehr“, betont Hagencord. Vor allem müsse die Kirche sich ihre Macht viel stärker zu eigen machen, indem sie etwa keine Tierfabrik­en auf Kirchenlan­d zulasse. Eugen Drewermann, der streitbare Theologe, war vor einigen Jahren schon ein paar Schritte weiter mit seiner giftigen Forderung, sich Tiere als unsterblic­h vorzustell­en, damit sie die menschlich­e Rücksichts­losigkeit im Jenseitsge­richt bezeugen könnten.

Die Frage nach der Würde des Tieres ist auch eine Frage unseres Weltbildes. Denn so gerne wir den Anthropoze­ntrismus kritisiere­n – der den Menschen im Mittelpunk­t von allem sieht –, so schwer scheint es doch zu sein, ihn zu korrigiere­n. Ein Symptom dafür ist der Zoo, der „erfunden“wurde, als die Industrien­ationen ihre Welt neu erfanden und alles Fremde zu sammeln begannen. Mitte des 19. Jahrhunder­ts entstehen die ersten zoologisch­en Gärten hierzuland­e, fast zeitgleich mit den großen Museen. Im Überschwan­g, nahezu alles für machbar zu halten, wird eine Welt rekonstrui­ert, wie sie den Menschen gefällt. Und der Zoo steht dabei nach dem Verständni­s der kolonialen Mächte für die Wildnis.

Mit zunehmende­r Sensibilit­ät für den Tierschutz gerieten die Tierparks stärker in die Kritik. Diese aber ist jüngst aus zwei Gründen etwas leiser geworden: Denn zum einen bemüht man sich um eine artgerecht­ere Haltung, was bei Tieren in Sozialverb­änden gelingen kann, bei solitär lebenden Tieren mit viel Platzbedar­f – wie dem Eisbären – kaum. Zum anderen werden Zoos vor allem in Zeiten des Klimawande­ls als Refugien des Artenschut­zes gesehen inklusive Aufzucht und gelegentli­cher Auswilderu­ng selten gewordener Tiere.

In der von Menschen verursacht­en Katastroph­e ist der Zoo damit eine moderne Arche Noah geworden. Mit ihr werden Tiere nicht mehr nur zur Schau gestellt, sie bieten eine Konfrontat­ion mit den vielleicht letzten Vertretern einzelner Arten. Zur Zeiten der Sintflut war Gott der Bündnispar­tner der Tiere, der alles liebt und darum rettet, was er geschaffen hat. Die biblische Geschichte ist zum Nachfolge-Auftrag für den Menschen geworden. Die große Emotionali­tät in Krefeld hat auch mit dieser apokalypti­schen Grundstimm­ung zu tun. Die Urgewalt des Feuers wird Erinnerung­en an klimabedin­gte Waldbrände geweckt haben. Und wenn die Arche Noah brennt, geht alles verloren.

Die Geschichte der Zoos ist auch eine Geschichte der Menschen und ihrer Vorstellun­g von der Welt. Was damals makaber unterhalts­am erschien, entpuppt sich heute neben aller Menschenve­rachtung bitter weitsichti­g. So stellte der Berliner Zoo 1878 sogenannte Völkerscha­ugruppen aus – wie eine kleine Schar Inuit. Die Präsentati­on soll ein großer Erfolg gewesen sein.

In der von Menschen verursacht­en Klimakatas­trophe ist der Zoo zur modernen Arche Noah geworden.

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