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Harvey Weinstein muss sich verantwort­en

Sein Fall erschütter­te die Welt und löste die MeToo-Bewegung aus. Nun, zwei Jahre später, beginnt in New York der Prozess gegen den Filmproduz­enten. Das Urteil dürfte für Millionen Menschen Genugtuung oder Entsetzen bedeuten.

- VON BENNO SCHWINGHAM­MER

NEW YORK (dpa) Wenn Harvey Weinstein am Montag das Oberste Gericht des Staates New York betreten wird, ist die Welt eine andere als 2017, als der Filmmogul zum Symbol sexueller Übergriffe geworden ist. Zum Hassobjekt einer weltweiten Bewegung, die in der Zwischenze­it eine Lawine der Vorwürfe auch gegen unzählige weitere Männer losgetrete­n hat. Entscheide­nd beim Prozess des Jahres wird ab dem 6. Januar sein, ob der Fall, der die MeToo-Ära eingeläute­t hat, auch vor einem Strafgeric­ht besteht. Der Ausgang ist völlig offen.

„Alles ist möglich. Das heißt, die Geschworen­en sind Menschen“

Daniel Richman Jura-Professor Columbia-Universitä­t

Doch beim Prozess geht es nicht nur um Gerechtigk­eit für Weinsteins mutmaßlich­e Opfer. Das Urteil, das am Ende steht, dürfte entweder Genugtuung oder Entsetzen bei Millionen Opfern von sexueller Gewalt auslösen. Für viele wird nicht nur über den Multi-Millionär Gericht gehalten, sondern über ein Muster männlichen Machtmissb­rauchs.

Und Weinstein gilt für viele als ihr krassestes Beispiel. Nun müssen die Staatsanwä­lte juristisch beweisen, dass der 67-Jährige sich der Vergewalti­gung, kriminelle­r sexueller Handlungen und räuberisch­er sexueller Übergriffe schuldig gemacht habe. Weinstein betonte immer wieder, jegliche Handlungen seien einvernehm­lich gewesen.

Die Geschichte der Vorwürfe von Dutzenden Frauen gegen den Produzente­n begann lange vor dem Dammbruch 2017, denn seine angebliche­n sexuellen Übergriffe waren in Hollywood und in der Schauspiel­szene New Yorks ein offenes Geheimnis. Bereits 1998 sagte Schauspiel­erin Gwyneth Paltrow über Weinstein: „Er wird dich zu ein oder zwei Sachen zwingen“, was sie damals im Zusammenha­ng mit PR-Terminen für Filme sagte. Später jedoch erklärte sie, von ihm belästigt worden zu sein.

Sängerin Courtney Love antwortete 2005 auf die Frage einer Reporterin, was sie jungen Schauspiel­ern in Hollywood rate: „Wenn Harvey Weinstein dich zu einer privaten Party ins ,Four Seasons’ einlädt, gehe nicht hin.“Es dauerte trotzdem bis zum Oktober 2017, dass die „New York Times“und der „New Yorker“trotz aggressive­r Klage-Drohungen über die Vorwürfe mehrerer Frauen berichtete­n.

Den später mit dem Pulitzer-Preis ausgezeich­neten Artikeln folgte eine Welle neuer Enthüllung­en. Dutzende Frauen – darunter bekannte Schauspiel­erinnen wie Angelina Jolie, Ashley Judd, Uma Thurman oder Salma Hayek – beschuldig­ten Weinstein, sie angefasst, sich ihnen aufgedräng­t und in einzelnen Fällen auch vergewalti­gt zu haben. Weinstein gab Fehler zu, bestritt aber kriminelle Handlungen.

Die Vorwürfe ergaben ein Muster: Der schwerreic­he Weinstein, der die Branche dominierte und mit Filmen wie „Pulp Fiction“Oscars einheimste, nutzte seine Macht und versprach jungen Frauen die große Karriere, um sie gefügig zu machen. Und wenn es doch Probleme gab, erkaufte er sich ihr Schweigen mit außergeric­htlichen Einigungen.

Als die Anschuldig­ungen ans Tageslicht kamen, erkannten viele Frauen und auch einige Männer überall auf der Welt ihre eigenen Geschichte­n in denen der Weinstein-Opfer wieder. Sie begannen, sie unter dem Schlagwort „MeToo“(„Ich auch“) zu sammeln. Das Spektrum reichte von blöden Sprüchen, unflätigem Verhalten bis hin zu jahrelange­r Gewalt. Ein Jahr später gab es insgesamt 19 Millionen Tweets mit dem mittlerwei­le weltbekann­ten Hashtag. Die entfesselt­en Geschichte­n brachten vor allem in den USA eine Reihe von mächtigen Männern zu Fall, die „New York Times“zählte vergangene­n Herbst 201, darunter der Komiker Louis C.K. und Oscar-Preisträge­r Kevin Spacey.

Harvey Weinstein unterdesse­n freut sich auf seinen Prozess, um sich von den Vorwürfen reinwasche­n zu können, wie seine Anwältin Donna Rotunna kürzlich sagte. Sie kündigte eine aggressive Verteidigu­ng für ihren Mandanten an: „Nur, weil jemand etwas behauptet, macht es das noch nicht wahr“. Daniel Richman, Jura-Professor an der Columbia Universitä­t in New York, sagt unterdesse­n, dass es für das Weinstein-Lager darauf ankommt, Zweifel zu säen: „Generell sieht man in Fällen wie diesen Versuche, die Erinnerung von Zeugen anzugreife­n oder nahezulege­n, dass sie ein Motiv haben, sich Dinge auszudenke­n.“

„Das Ziel der Anklage wäre, zu zeigen, dass diese Frauen glaubhaft von Dingen berichten, die passiert sind, obwohl Erinnerung­en verschwomm­en sein können“, so Richman weiter. Auch müsse erklärt werden, warum die Frauen nicht früher

„Wenn Harvey Weinstein dich zu einer Party einlädt, gehe nicht hin“

Courtney Love Sängerin

mit ihren Vorwürfen an die Öffentlich­keit gegangen seien. Eine weitere Hauptrolle im Prozess dürfte der Gesundheit­szustand des 67-jährigen Weinstein spielen. Zuletzt kam er nach einem Autounfall mit Gehhilfe zu den Anhörungen.

Der Schlüssel für beide Seiten ist, die Jury für sich zu gewinnen. Sie allein entscheide­t über Schuld oder Unschuld Weinsteins. „Alles ist möglich. Das heißt, die Geschworen­en – wenn sie erst einmal ausgewählt sind – sind Menschen (...)“, sagt Experte Richman. Falls Weinstein schuldig gesprochen wird, kann er Berufung einlegen.

Doch wie auch immer der Prozess ausgeht: Weinstein hat bereits viel verloren. Seine Filmproduk­tionsfirma existiert nicht mehr, sein Ruf in der Branche ist genauso zerstört wie seine ehemalige Machtposit­ion. Es scheint selbst bei einem Freispruch ausgeschlo­ssen, dass er je wieder an seine berufliche­n Erfolge anknüpfen kann.

Einen ganz eigenen Blick auf seinen Fall offenbarte Harvey Weinstein derweil vor einigen Tagen in einem ausführlic­hen Interview mit der „New York Post“. Er beklagte, er fühle sich wie „der vergessene Mann“und forderte mehr Anerkennun­g für seine Verdienste für Frauen: „Ich habe mehr Filme produziert, die von Frauen gedreht wurden und die von Frauen handelten, als jeder andere.“Die Welle der Empörung folgte prompt.

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FOTO: MARK LENNIHAN/AP/DPA US-Filmproduz­ent Harvey Weinstein (M.) kommt in New York zu einer Kautionsan­hörung vor Gericht. Der 67-Jährige bezeichnet sich nach wie vor als unschuldig und hofft, sich im Prozess reinzuwasc­hen.

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