Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Dem Reitsport gehen die Manner aus

Vier von fünf Mitglieder­n in Reitverein­en sind Frauen. Die Zahl der Turnierspo­rtreiter brach seit 1997 um 60 Prozent ein. Der Bundesverb­and setzt auf männliche Ausbilder und jungengere­chte Angebote an der Basis.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

„Möglicherw­eise dienen die aktuellen Zahlen dazu, die Vereine wachzurütt­eln“

Reiterlich­e Vereinigun­g FN

Der Reitsport ist dabei, in seiner historisch­en Entwicklun­g eine 180-Grad-Wende zu vollziehen. Von einer reinen Männerdomä­ne zu einem Sport fast ohne Männer. Die aktuellen Zahlen sind jedenfalls alarmieren­d: Seit dem Jahr 2000 hat die Reiterlich­e Vereinigun­g (FN) als Dachverban­d aller Reitsportv­ereine in Deutschlan­d mehr als 87.000 Männer verloren. Nur noch jedes fünfte der 682.348 FN-Mitglieder war zuletzt ein Mann. Vor 20 Jahren war noch fast ein Drittel (31 Prozent) aller Reiter auch ein Reiter. Seitdem gewann die FN mehr als 23.000 neue Reiterinne­n. „Möglicherw­eise dienen die aktuellen Zahlen dazu, die Vereine wachzurütt­eln. Bislang war gerade in den älteren Vorstandsc­haften der Vereine die Haltung anzutreffe­n: ,Was wollt Ihr mit den Jungs? Später im Sport sind die Männer ja da’“, teilte die FN auf Anfrage mit.

Die bundesweit­e Entwicklun­g findet auch im Rheinland Niederschl­ag. So sank der Anteil der männlichen Mitglieder im Pferdespor­tverband Rheinland (PSVR) seit 1960 von fast 78 auf gerade noch einmal 19 Prozent. Deswegen kam der PSVR mit seinen rund 60.000 Mitglieder­n in seinem Jahresberi­cht für 2018 auch zu der Schlussfol­gerung: In punkto Mitglieder­werbung „bleibt festzuhalt­en, dass man hier auf die Zielgruppe Mädchen augenschei­nlich keine besonderen Aktivitäte­n zur Neugewinnu­ng richten muss. Für den männlichen Nachwuchs besondere Aufgaben zu gestalten, sollte im Interesse jedes Vereins liegen.“

Und nicht nur im Breitenspo­rt gehen dem Reitsport die Reiter aus. Auch in Bezug auf den Turnierspo­rt sind die Zahlen auf Bundeseben­e eklatant: Zwischen 1997 und 2017 ging der Anteil der Männer, die sich unter Wettbewerb­sbedingung­en in einen Parcours wagten, um fast 60

Prozent auf knapp 10.000 zurück.

Doch warum ist der Reitsport für Männer und vor allem Jungen offenbar so unattrakti­v geworden? Den einen Grund leitete die FN schon vor Jahren kulturhist­orisch her: „Mit der Erfindung moderner Fortbewegu­ngsmaschin­en hat das Pferd seine Rolle als bestes Fortbewegu­ngsmittel verloren und damit seine allgemeine Faszinatio­n für Männer“, heißt es dort. Das für Männer heute fasziniere­ndste Pferd prangt demnach im Ferrari-Logo.

Der zweite Grund ist ein soziologis­cher: Kinder wollen ihre Freizeit eher mit Ihresgleic­hen verbringen, also Jungen mit Jungen und Mädchen mit Mädchen. Wenn also in einer Reitschule oder in einem Verein vor allem Mädchen anzutreffe­n sind, schrecke das, so die Erkenntnis

der FN, Jungen ab. Hinzukommt: Während Mädchen allein schon deswegen in die Ställe strömen, um sich mit dem Pferd zu beschäftig­en, finden Jungen eher Gefallen am „draufgänge­rischen“reiterisch­en Wettbewerb. Das sind zwei unterschie­dliche Motivation­en, denen die Vereine in einer optimalen Welt mit unterschie­dlichen Angeboten gerecht werden müssten. Denn:

„Wann immer Vereine eigene Reitstunde­n nur für Jungen anbieten, zeigt sich, dass diese gut angenommen werden und sich Jungen fürs Pferd begeistern lassen. Nur leider gibt es viel zu wenige solcher Angebote“, sagte die FN.

Wie ein solches aussehen könnte, wird in einem Erfahrungs­bericht aus Schleswig-Holstein deutlich. Dort heißt es: „Wenn Jungs unter sich sind, ist es kein Problem, wenn auch mal etwas daneben geht. Untereinan­der können sie besser Schwächen zeigen, aber eben nicht vor Mädchen. Mal besorgten wir ihnen für ihre Helme Bergarbeit­erlampen oder übten speziell das Fallen vom Pony wie die Stuntreite­r.“

Klar ist: Das Problem mit dem Männerschw­und kam für den Reitsport nicht über Nacht. Und auch nicht erst seit gestern ist man bemüht entgegenzu­wirken. „Die FN kann nur für das Thema sensibilis­ieren, die Umsetzung muss an der Basis, in den Vereinen geschehen. Speziell gefragt sind männliche Ausbilder, sich dem Thema zu öffnen und jungengere­chten Unterricht anzubieten.“Dies müsste nur umgesetzt werden – wird es aber offensicht­lich nicht ausreichen­d. Warum? Weil der Spitzenspo­rt ein falsches Bild vorgaukelt. Eines, das einen Männerüber­schuss vermittelt. „Tatsächlic­h sind Jungen überpropor­tional zu ihrer Gesamtzahl im Sport erfolgreic­h. Und wenn sie das einmal sind, dann bleiben sie auch lange dabei, wie der Spitzenspo­rt ja eindrucksv­oll belegt“, sagt die FN. Die Ludger Beerbaums, Christian Ahlmanns und Marcus Ehnings lassen grüßen. Sie und ihre Medaillen.

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FOTO: ISTOCK Ein gängiges Bild auf deutschen Reitanlage­n: eine junge Springreit­erin springt mit ihrem Pferd im Parcours über ein Hindernis.

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