Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Langeweile kann zu Straftaten führen
Jugendrichter Dr. Peter Lässig bezeichnet Remscheid bei der Jugendkriminalität als heile Welt. Brutalität habe aber zugenommen.
REMSCHEID Wenn Eltern ihren Kindern sagen, sie müssten am Wochenende ihr Handy abgeben, weil sie vor einem Jahr trotz wiederholter Aufforderungen ihr Zimmer nicht aufgeräumt hätten, ernten sie berechtigte Blicke voller Unverständnis. So ähnlich geht es auch jugendlichen Straftätern, die sich vor dem Jugendrichter am Amtsgericht verantworten müssen. Die Tat liegt lange zurück. Und wenn es sich um Wiederholungstäter handelt, schmeißen sie die unterschiedlichen Taten durcheinander, sagt Jugendrichter Dr. Peter Lässig. Wenn die Strafe nicht direkt auf dem Fuße folgt, verliert das Urteil einen Teil seiner erzieherischen Wirkung.
In der Stadt gibt es Treffpunkte von Jugendlichen, die nicht zu den vornehmsten Adressen Remscheids gehören. Dazu zählt der Hauptbahnhof, der Rathausplatz und das Areal hinter dem Teo Otto Theater. „Die meisten Straftaten entstehen aus Langeweile“, sagt Lässig. Aus diesem Gemisch aus Stumpfsinn und Trostlosigkeit kommt es zu Einbrüchen, Diebstählen, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen. Meist seien auch Drogen wie Cannabis und Alkohol mit im bösen Spiel. „Trotz dieser Vorfälle können wir aber in Remscheid von einer heilen Welt sprechen“, sagt Lässig. Kein Vergleich zu anderen Städten im Ruhrgebiet. Schon in Wuppertal herrsche ein deutlich raueres Klima. Dem Jugendrichter fiel auf, dass die Brutalität bei Körperverletzungen zugenommen habe. „Wenn einer am Boden liegt, wird noch mal zugetreten. Vor ein paar Jahren hat man davor noch zurückgeschreckt“, sagt Lässig.
Trotz aller Unterschiede bei der Persönlichkeitsentwicklung der Täter im Einzelfall, für Lässig gibt es immer wieder auftauchende Merkmale: kein Schulabschluss, keine Arbeit und Wohnen bei den Eltern. Merkmale, die bei der Findung des Strafmaßes berücksichtigt werden. Ein probates Mittel sei die Verhängung von Arbeitsstunden. Die Jugendlichen können dabei Erfahrungen sammeln, wie es sich anfühlt, zu arbeiten, sich nützlich zu machen, Geld zu verdienen und sich davon etwas kaufen zu können. Bei Körperverletzungen sei es auch schon mal angebracht, Arrest zu verhängen, um die Jugendlichen aus ihrem Umfeld zu nehmen. „Es ist für manche gut, in einer Zelle zu sitzen und über sich nachzudenken“, sagt Lässig.
Im Jahr 2017 kam es zu 273 Verfahren, ein Jahr später zu 362. Diesen Anstieg führt Lässig darauf zurück, dass die Stelle des Staatsanwaltes vor Ort 2017 vakant war. Es wurde weniger angeklagt. An zwei Tagen in der Woche arbeitet Staatsanwältin Inga Saltenbrock am Amtsgericht. Ihr Vater, Rolf Söhnchen, hat als langjähriger Direktor des Amtsgerichts dieses Modell als Pilotprojekt ins Leben gerufen. Ein Vorzeigeprojekt. „Die Jugendlichen in Remscheid wissen, wer Frau Saltenbrock ist“, sagt Lässig. Allerdings brauche es immer noch einige Zeit, bis Ermittlungen abgeschlossen und Akten bei Gericht eintreffen. Bisher müssen sie per Boten aus Wuppertal nach Remscheid gebracht werden. Die Digitalisierungsoffensive in der Justiz wird diese Zeitverzögerung bald aufheben, wenn Akten per Internet verschickt werden dürfen. Dann kann die Strafe schneller auf dem Fuße folgen.