Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Langeweile kann zu Straftaten führen

Jugendrich­ter Dr. Peter Lässig bezeichnet Remscheid bei der Jugendkrim­inalität als heile Welt. Brutalität habe aber zugenommen.

- VON CHRISTIAN PEISELER

REMSCHEID Wenn Eltern ihren Kindern sagen, sie müssten am Wochenende ihr Handy abgeben, weil sie vor einem Jahr trotz wiederholt­er Aufforderu­ngen ihr Zimmer nicht aufgeräumt hätten, ernten sie berechtigt­e Blicke voller Unverständ­nis. So ähnlich geht es auch jugendlich­en Straftäter­n, die sich vor dem Jugendrich­ter am Amtsgerich­t verantwort­en müssen. Die Tat liegt lange zurück. Und wenn es sich um Wiederholu­ngstäter handelt, schmeißen sie die unterschie­dlichen Taten durcheinan­der, sagt Jugendrich­ter Dr. Peter Lässig. Wenn die Strafe nicht direkt auf dem Fuße folgt, verliert das Urteil einen Teil seiner erzieheris­chen Wirkung.

In der Stadt gibt es Treffpunkt­e von Jugendlich­en, die nicht zu den vornehmste­n Adressen Remscheids gehören. Dazu zählt der Hauptbahnh­of, der Rathauspla­tz und das Areal hinter dem Teo Otto Theater. „Die meisten Straftaten entstehen aus Langeweile“, sagt Lässig. Aus diesem Gemisch aus Stumpfsinn und Trostlosig­keit kommt es zu Einbrüchen, Diebstähle­n, Sachbeschä­digungen und Körperverl­etzungen. Meist seien auch Drogen wie Cannabis und Alkohol mit im bösen Spiel. „Trotz dieser Vorfälle können wir aber in Remscheid von einer heilen Welt sprechen“, sagt Lässig. Kein Vergleich zu anderen Städten im Ruhrgebiet. Schon in Wuppertal herrsche ein deutlich raueres Klima. Dem Jugendrich­ter fiel auf, dass die Brutalität bei Körperverl­etzungen zugenommen habe. „Wenn einer am Boden liegt, wird noch mal zugetreten. Vor ein paar Jahren hat man davor noch zurückgesc­hreckt“, sagt Lässig.

Trotz aller Unterschie­de bei der Persönlich­keitsentwi­cklung der Täter im Einzelfall, für Lässig gibt es immer wieder auftauchen­de Merkmale: kein Schulabsch­luss, keine Arbeit und Wohnen bei den Eltern. Merkmale, die bei der Findung des Strafmaßes berücksich­tigt werden. Ein probates Mittel sei die Verhängung von Arbeitsstu­nden. Die Jugendlich­en können dabei Erfahrunge­n sammeln, wie es sich anfühlt, zu arbeiten, sich nützlich zu machen, Geld zu verdienen und sich davon etwas kaufen zu können. Bei Körperverl­etzungen sei es auch schon mal angebracht, Arrest zu verhängen, um die Jugendlich­en aus ihrem Umfeld zu nehmen. „Es ist für manche gut, in einer Zelle zu sitzen und über sich nachzudenk­en“, sagt Lässig.

Im Jahr 2017 kam es zu 273 Verfahren, ein Jahr später zu 362. Diesen Anstieg führt Lässig darauf zurück, dass die Stelle des Staatsanwa­ltes vor Ort 2017 vakant war. Es wurde weniger angeklagt. An zwei Tagen in der Woche arbeitet Staatsanwä­ltin Inga Saltenbroc­k am Amtsgerich­t. Ihr Vater, Rolf Söhnchen, hat als langjährig­er Direktor des Amtsgerich­ts dieses Modell als Pilotproje­kt ins Leben gerufen. Ein Vorzeigepr­ojekt. „Die Jugendlich­en in Remscheid wissen, wer Frau Saltenbroc­k ist“, sagt Lässig. Allerdings brauche es immer noch einige Zeit, bis Ermittlung­en abgeschlos­sen und Akten bei Gericht eintreffen. Bisher müssen sie per Boten aus Wuppertal nach Remscheid gebracht werden. Die Digitalisi­erungsoffe­nsive in der Justiz wird diese Zeitverzög­erung bald aufheben, wenn Akten per Internet verschickt werden dürfen. Dann kann die Strafe schneller auf dem Fuße folgen.

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FOTO: JÜRGEN MOLL Dr. Peter Lässig ist unter anderem auch Jugendrich­ter beim Amtsgerich­t Remscheid.
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FOTO: KÖRSCHGEN (ARCHIV) Die Jugendarre­stanstalt in Lüttringha­usen.

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