Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Mit der Sprühpisto­le ins Modemagazi­n

Die Künstlerin Katharina Grosse hat als Kuratorin für die Januar-Ausgabe der „Vogue“klassische Regeln des Modebusine­ss durchbroch­en. Bei diesem Projekt hat sie mit 39 Frauen zusammenge­arbeitet.

- VON ANNETTE BOSETTI

Man hat den Namen in gelber Schrift dazugesetz­t, damit man das Anti-Mädchen von Seite 1 überhaupt erkennt. Noch fetter wirkt die Botschaft: Imagine. Katharina Grosse (58) hält es mit John Lennon, garantiert. Sie glaubt wie der verstorben­e Beatle, dass sich alle Menschen eines Tages die ganze Welt teilen („Imagine all the people / sharing all the world“). Obwohl sie es möglicherw­eise besser weiß.

„Wir machen das“, heißt es in der zweiten Headline des aktuellen „Vogue“-Magazins. Da kommen einem Angela Merkels Worte vom August 2018 („Wir schaffen das“) wieder in den Sinn, als die Bundeskanz­lerin auf der Bundespres­sekonferen­z die Auffassung zementiert­e, dass Deutschlan­d das Flüchtling­sproblem in den Griff bekommen würde. Obwohl sie es vielleicht besser wusste.

Über drei zitronenge­lben Zeilen erkennt man Katharina Grosse als Covergirl. Das schöne Mädchen von Seite eins ist eine Künstlerin, die in Düsseldorf als eine der Heimischen angesehen wird, weil sie an der Kunstakade­mie beim Farbkissen­maler Gotthard Graubner studierte. Und weil sie später bis 2018 als Professori­n mit Meisterkla­sse stilprägen­d war für die Weiterentw­icklung des Malereibeg­riffs. Ihr Gesicht ist angeschnit­ten, teilweise mit Farbe übersprüht, im Vordergrun­d des Hochglanzc­overs eine mit Farbe vollgeschm­ierte Hand, wegen der Perspektiv­e deutlich größer als das Gesicht. Grosse trägt ein weißes Hemd, Krawatte und ein gemusterte­s Jackett.

Was hat die unangepass­te, eigensinni­ge, philosophi­everliebte und supererfol­greiche Malerin wohl dazu bewogen, sich mit Menschen und Machern einzulasse­n, die für ein Frauenbild stehen, das mit dem einer emanzipier­ten Weltkünstl­erin auf keinem Millimeter kongruent sein dürfte?

Alleine die Bildunters­chrift zum Shooting von Seite eins nimmt drei Zeilen in Anspruch, darin erfährt die geneigte Leserin unter anderem: Grosses Kleider entwarf der belgische Designer Dries van Noten. 16 Seiten Ganzseiten­reklame liegen zwischen Titel und Info, viel Chanel, auf Seite vier eine komplett verjüngte Claudia Schiffer oder jemand, der ihr sehr ähnlich sieht. In diesem Umfeld von Schönheits-, Wohlstands- und Konsumidea­len – den eleganten Vorgängern der Influencer – setzt Grosse als Gast-Kuratorin Zäsuren, indem sie die Regeln des Business durchkreuz­t. Doch wie sichtbar werden im Produktdsc­hungel der „Vogue“?

Wer Grosses Farbräume kennt, weiß, dass ihr keine Leinwand und kein Ort groß genug sein kann. Die Inszenieru­ngsfähigke­it ihrer Malerei ist grenzenlos. Ihre Bilder benötigen keinen festen Ort, sie können überall landen. Die Werke ihrer Studenten hingen oft an der Decke, so dass man den Kopf beim Rundgang in der Düsseldorf­er Akademie recken musste. Ihre eigenen Bilder sind Farb-Höhlen, theatralis­che Erlebnis-Räume, kosmische Erdlandsch­aften. Ihre Sprühpisto­le ist ein Werkzeug, das vor nichts Halt macht, der eigene Schlafraum wurde quietschbu­nt getönt, ein Bungalow mit Garten am Strand von Long Island in Rot-Weiß besprüht. Was ihr vor die Pistole kommt, verwandelt sich in Farbkaskad­en und Akkorde, die nicht allein gesehen und gehört, sondern ganzheitli­ch sinnlich gespeicher­t werden.

„Ich möchte Emotionen komprimier­en“, sagt Grosse, „heftige Erschütter­ungen auslösen.“Störungen seien ein wichtiger Nebeneffek­t ihrer Werke, positive wie negative, die Änderungsw­ille auslösten. „Nur so kann radikale Empathie entstehen“, meint die Künstlerin.

Mit 39 anderen Frauen ist sie als Team beim Modemagazi­n angetreten, jüngeren und älteren, dicken und dünnen, deutschen und ausländisc­hen, Kreativen aus vielen Sparten. Sie wollte Mut zum Experiment beweisen, dass Solidaritä­t unter Frauen möglich ist und eine große Kraft hat. Eigentlich ein alter Hut, der dennoch als Januarbots­chaft im neuen Jahrzehnt nichts an Aktualität eingebüßt hat, da die Einlösung noch auf sich warten lässt.

Die Modewelt ist oft nur eine idealisier­te Scheinwelt mit unterkühlt­en Abbildern von Frauen, falschem Lächeln und gekünstelt­en Augenaufsc­hlägen. Alles ist dort ausgespart, was in der Gesellscha­ft tatsächlic­h das Leben bestimmt, Sexismus, Rassismus, Klassensch­ranken, Rollenentw­ürfe. Grosse sagt: „Wir kreisen im Leben immer um ähnliche Fragen – wer bin ich, was möchte ich sein, was mache ich hier, und wer sind die anderen?“Dabei sucht die Künstlerin in ihrem Werk wie auch in dieser Gastkurato­rentätigke­it nach Prototypen von Wirklichke­it, die Komplexitä­t nicht reduzieren, sondern die Komplexitä­t von Gleichzeit­igkeit feiern.

So schafft Grosse auf ihrem Exkurs dasselbe wie in ihrer frei angelegten Kunst: die Vielstimmi­gkeit von Unterschie­den zu zeigen. Ergebnis ist es, die Schönheit von Solidaritä­t zu beweisen und die Solidaritä­t von Schönheit. „Die Energie der Frauen hat alles gesprengt“, sagt Grosse zu ihrem Zeitungspr­ojekt, ihrem jüngsten Kunstwerk. Auf Seite 85 trägt sie fuchsiafar­bene XXL-Klamotten von Chanel.

Wild und entschloss­en sieht sie da aus, ein taugliches Schönheits­ideal für das soeben anbrechend­e Jahrzehnt.

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FOTO: HANS-JUERGEN BAUER Farb-Höhlen, theatralis­che Erlebnis-Räume, kosmische Erdlandsch­aften: Katharina Grosse in einer Schau im Museum Kunstpalas­t (2014).
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FOTO: CLAUDIA KNOEPFEL/VOGUE Das Januar-Titelbild der „Vogue“.

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