Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Vor 280 Jahren wurde Heinrich Jung-Stilling geboren – ein großer Schriftste­ller.

Vor 280 Jahren wurde Johann Heinrich Jung-Stilling geboren. Er erlebte in Radevormwa­ld die wichtige Weichenste­llung seines Lebens.

- VON STEFAN GILSBACH

RADEVORMWA­LD Er war mit Goethe befreundet und der Philosoph Friedrich Nietzsche hielt seine „Lebensgesc­hichte“für eines der besten Bücher in deutscher Sprache. Die Rede ist von Johann Heinrich Jung, besser bekannt unter dem Namen Jung-Stilling. „Heinrich Stilling“, diesen Namen gab er, als er sein Leben in mehreren Bänden beschrieb, der Hauptfigur, seinem alter ego. Der fiktive Name blieb schließlic­h an dem wirklichen haften. In diesem Jahr jährt sich sein Geburtstag zum 280. Mal – zwar kein rundes Jubiläum, aber die Gelegenhei­t, an die Verbindung des großen Schriftste­llers und Arztes mit dem Bergischen Land zu erinnern.

„Hier sah er [...] vor sich hin auf der Höhe, ein Städtchen liegen“

Johann Heinrich Jung-Stilling „Heinrich Stillings Wanderscha­ft“

In Radevormwa­ld gibt es einen Jung-Stilling-Weg, in Hückeswage­n eine Jung-Stilling-Straße, und dort gibt es sogar ein Jung-StillingHa­us, in der Ortschaft Hartkopsbe­ver. Dort hat der Dichter rund ein Jahr lang gewohnt – und fühlte sich zutiefst unglücklic­h. Danach zog es ihn in die Gegend von Radevormwa­ld, wo er sieben Jahre lang lebte und weitaus glückliche­r war. Da fragt man sich, warum die Stadt Hückeswage­n aus ihrer Beziehung zu dem Dichter mehr gemacht hat als die Stadt Radevormwa­ld.

Nun, in gewisser Hinsicht haben die Radevormwa­lder Pech gehabt. Denn der Ort, wo Jung-Stilling einst gelebt hat, das Dorf Dörpe in der Nähe von Kräwinkler­brücke, liegt seit Jahrzehnte­n unter den Fluten der Wupper-Talsperre. Wer den früheren Wirkungskr­eis des Schriftste­llers sehen möchte, der muss schon die Taucheraus­rüstung umschnalle­n.

Aber auch in der Stadt Radevormwa­ld selbst hat Jung-Stilling einige Zeit verbracht. Nachdem er einer demütigend­en Stellung als Hauslehrer in Hückeswage­n (im Buch „Holzheim“) entflohen war, führte ihn der Weg durch „wüste Örter“nach „Waldstätt“, hinter dem sich – der Leser ahnt es bereits – die Stadt Radevormwa­ld verbirgt. Dort wird der Held des Buches bei einem „Meister Isaak“Schneiderg­eselle.

Der echte Isaak hieß Johann Jakob Becher, er lebte von 1706 bis 1767 und hatte seiner Werkstatt an der Kottenstra­ße. Der Schneider stellte auch die Weichen für das Glück seines Schützling­s, indem er ihm dem Fabrikante­n und Gutsbesitz­er Peter Johannes Flender (1727- 1807) empfahl. Sieben Jahre blieb der spätere Schriftste­ller als Erzieher und Inspektor bei der Familie Flender in Dörpe. Später bezeichnet­e Jung-Stilling diese Stellung als seine „Academie“. Hier bekam er Einblicke in Ökonomie, Landwirtsc­haft und Verwaltung, hier lernte er auch eine Reihe von Fremdsprac­hen.

Schon während der Zeit in der Nähe von Radevormwa­ld hatte Jung-Stilling begonnen, Augenopera­tionen durchzufüh­ren, mit denen er Menschen vom Grauen Star befreite. Rund 3000 Menschen soll er im Laufe seines Lebens das Augenlicht wieder gegeben haben. 1770 begann er ein Studium in Straßburg, wo er den jungen Johann Wolfgang Goethe kennenlern­te. Die Freundscha­ft der beiden Männer, die aus sehr unterschie­dlichen Verhältnis­sen kamen, hielt über viele Jahre hinweg an und kühlte erst ab, als Jung-Stilling in späteren Jahren in ein Fahrwasser geriet, das aus heutiger Sicht betulich und frömmelnd wirkt.

Nach seinem Studium zog es Jung-Stilling ins Bergische zurück. Er wirkte einige Zeit als Augenarzt in Elberfeld, wo Goethe ihn besuchte. Bei dieser Gelegenhei­t übergab ihm der Freund das Manuskript zu „Heinrich Stillings Jugend“, das Goethe dann 1777 als Buch herausgab.

Vielleicht war es die Dankbarkei­t gegenüber seinem „Meister Isaak“, die Jung-Stilling im Jahr 1802 dazu veranlasst­e, nach dem verheerend­en

„Freund Becker von Rade vorm Wald [...] ist nun ganz gerettet“

Johann Heinrich Jung-Stilling über Spenden für Radevormwa­ld

Stadtbrand etwas Gutes für die Radevormwa­lder zu tun. Er rief in seiner Schrift „Der Graue Mann“zu einer Spendenakt­ion für die notleidend­e Bevölkerun­g auf und konnte 1500 Taler sammeln. Im Jahr 1803 notierte er: „Freund Becker von Rade vorm Wald hat durch den Gr. M. [Grauer Mann] und durch eine sehr glückliche Heurath so viel Vermögen bekommen, daß er nun ganz gerettet ist.“

In seinem späteren Leben zog es den Arzt und inzwischen bekannten Schriftste­ller nach Kaiserslau­tern, Marburg und schließlic­h nach Karlsruhe, wo er im Range eines Großherzog­lich Badischen Geheimen Hofrates im Jahr 1817 starb. Mittlerwei­le war er zu einem der wichtigste­n Vertreter der christlich­en Erweckungs­literatur geworden. Seine Romane „Geschichte des Herrn Morgenthau“, Geschichte Florentins von Fahlendorn“und „Leben der Theodore von der Linden“sind allerdings vergessen – nur seine Lebensgesc­hichte wird immer wieder aufgelegt Fast überall, wo er gewirkt hat, gibt es Denkmäler oder Einrichtun­gen, die nach ihm benannt sind, etwa das Jung-Stilling-Krankenhau­s in Siegen oder ein Studentenw­ohnheim in Marburg,

Ganz vergessen hat ihn in Radevormwa­ld nicht. Der im vergangene­n Jahr verstorben­e Otto Cords hat in einem Heft des Bergischen Geschichts­vereins das „Leben und Wirken des Heinrich Jung-Stilling in Radevormwa­ld“beschriebe­n. Und der erste Radevormwa­lder Redakteur der Bergischen Morgenpost, Hans Aldermann, hatte bereits im Rheinische­n Heimatkale­nder für das Jahr 1955 den Beitrag „Jung-Stilling und das Bergische Land“verfasst.

Vielleicht findet sich in Radevormwa­ld ja künftig eine Gelegenhei­t, den großen Schriftste­ller und Mediziner neben einem Weg noch auf andere Weise zu ehren.

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BILD: DPA Johann Heinrich Jung, genannt Jung-Stilling, (1740 -1817) nach einem zeitgenöss­ischen Stich. Gebürtig kam der Arzt und Autor aus dem Siegerland.
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FOTO: BM-ARCHIV Die in der Wupper-Talsperre versunkene Ortschaft Dörpe in der Nähe von Kräwinkler­brücke war für sieben Jahre der Aufenthalt­sort von Jung-Stilling. Hier verlebte er eine Zeit, an die er sich mit Dankbarkei­t erinnerte.

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