Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Ungewisshe­it wirkt belebend“

Der Rheinoper-Ballettche­f geht im Sommer nach Wien. Ein Gespräch über Veränderun­g und die Lust am Risiko.

- DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Ballettche­f Martin Schläpfer (60) hat begonnen, Abschied zu nehmen: In seiner letzten Uraufführu­ng für das Ballett am Rhein, Teil seines aktuellen Abends „b.41“, hat er zu Schostakow­itschs 2. Cellokonze­rt viele seiner Tänzer in Solosequen­zen gewürdigt. Zudem wird die Compagnie 2020 einige Arbeiten des Ballettche­fs neu einstudier­en. Ab dem 10. Januar ist etwa seine „Reformatio­nssymphoni­e“im Theater Duisburg zu sehen. Parallel arbeitet Schläpfer an neuen Choreograf­ien für das Stuttgarte­r Staatsball­ett.

Sie stehen vor großen Veränderun­gen, verlassen die Deutsche Oper am Rhein, Ihre Compagnie, Ihren Wohnort Düsseldorf. Vielen Menschen machen solche Brüche Angst. Wie gehen Sie mit Veränderun­gen um?

SCHLÄPFER Es ist ja eine Veränderun­g, zu der ich mich selbst entschiede­n habe. Wenn Menschen Angst vor Veränderun­gen haben, sind das oft Entwicklun­gen, die auf sie einstürzen, Tod, Krankheit, Bankrott, das weckt Ohnmachtsg­efühle. Selbst initiierte Veränderun­gen

empfinde ich eher als lebendig machend. Sie zwingen einen, sich bewusst zu machen, was man verliert und so auch nie wieder haben wird – ob das nun Menschen sind, eine Stadt, super Verhältnis­se in einem Probenhaus. Man blickt klarer auf das, was man hatte.

Was ist daran belebend? SCHLÄPFER Belebend ist die Ungewisshe­it des Übergangs. Man weiß nicht, was auf einen zukommt, befindet sich in einem Alarmzusta­nd, sicher spielt auch ein My Angst mit. Wenn ich jetzt etwa einem Tänzer ein Engagement in Wien anbiete, kann ich ihm nicht genau sagen, wie es dort sein wird. Ich weiß es ja selbst nicht. Man muss also offen sein, das Risiko wollen. Das belebt.

Wie bereiten Sie sich auf Veränderun­gen vor?

SCHLÄPFER Ich bin kein Mensch, der ganz frei ins Dunkle hineinspri­ngt. Ich bereite mich vor, das ist meine Verantwort­ung für die Kunst und für die Menschen, mit denen ich arbeite. Was sich für den privaten Martin Schläpfer ändert, weiß ich gar nicht. Ich habe zum Beispiel noch keine Wohnung in Wien, das Private kommt bei mir immer am Schluss. Irgendwann kommt der Kipppunkt und ein schneller Schnitt. Was mich am längsten umtreibt, ist die Entscheidu­ng, wie man sich verändern will. Man kann ja auch in einer Situation bleiben und sich innerhalb verändern. Es braucht nicht immer ein Gehen.

Was hilft Ihnen, solche Entscheidu­ngen zu treffen?

SCHLÄPFER Zeit! Veränderun­gen sind dann besonders beängstige­nd, wenn man keine Zeit hat, sich darauf einzustell­en. Wenn sie einen einfach treffen wie ein Schicksals­schlag. Ich hatte Zeit, zu entscheide­n. Eigentlich wollte ich bis 2024 in Düsseldorf bleiben und mich nur als Martin Schläpfer verändern. Ich wollte woanders leben, in der Natur, und mehr frei arbeiten. Ich habe also die Veränderun­g innerhalb meiner Situation gesucht. Dass es ganz anders gekommen ist, war kein Bedürfnis, aber am Ende war es mein Wille. Ich musste also meine Sicht auf die Veränderun­g verändern. Sich mit Veränderun­gen beschäftig­en zu dürfen, ist auch ein Luxus. Man hat etwas zu verlieren, das ist Luxus.

Es ist auch eine Frage der Kultur, wie man damit umgeht. SCHLÄPFER Ja. Auch eine Frage von religiöser oder philosophi­scher Verankerun­g. Jemand, der in den Buddhismus eingebette­t lebt, wird Veränderun­gen anders erleben als ich, der religiös wenig behütet durchs Leben geht, auch wenn ich mir das anders wünschte. Religiöse Menschen können Schicksals­schläge als Gott gegeben verstehen, als etwas Gewolltes. Als etwas, das am Schluss vielleicht doch etwas Gutes hat und Sinn ergibt.

Wer weiß, wofür es gut ist? SCHLÄPFER Ja. Natürlich steckt darin eine absolute Wahrheit. Ich wäre heute nicht der Choreograf, der ich bin, wenn ich nicht so früh hätte aufhören müssen zu tanzen. Wer weiß, wie es gewesen wäre, wenn ich bis zum Alter von 38 Jahren getanzt hätte.

Gibt es falsche Entscheidu­ngen? SCHLÄPFER Ja, die gibt es. Wenn man seiner Intuition folgt, fällt man leicht zurück in die Grundanlag­e seines Charakters. In alte psychische Muster. Man trifft vielleicht keine falschen Entscheidu­ngen, wenn man auf das eigene Leben zurückblic­kt und alles eben so ist, wie es geworden ist. Aber man sieht doch, dass man Muster wiederholt. Etwa, wenn Menschen sich immer wieder für den falschen Partner entscheide­n. Oder bei mir die Entscheidu­ng dafür, doch wieder Direktor zu werden in Wien, diese Last auf mich zu nehmen, die ich doch eigentlich abgeben wollte.

Wer sich bewusst für etwas Schwierige­s entscheide­t, hört schon mal: Du hast es doch selbst gewollt. SCHLÄPFER Ja, aber dieser Satz stimmt eben nicht ganz. Man hat es gewollt. Aber man kann nicht immer alles wollen, was zu einer Position dazugehört. Das gehört dann einfach dazu. Ballettdir­ektor zu sein zum Beispiel bedeutet, Menschen mit einem gewissen Druck in einer bestimmten Zeit zu einer Leistung zu bringen. Das ist nicht immer angenehm. Auch nicht für einen selbst. Als ich in Wien zugesagt habe, hat mich das also auch belastet. Aber ich glaube nicht, dass es eine falsche Entscheidu­ng ist. Ich habe lange abgewogen und ich will das. Aber ich sehe das Muster. Wahrschein­lich können sich Menschen überhaupt weniger verändern, als sie selbst glauben.

Was lassen Sie zurück? SCHLÄPFER Menschen, eine ganz wichtige Zeit für mich als Künstler, hervorrage­nde Probenbedi­ngungen, die beiden Städte Düsseldorf und Duisburg, NRW. Das kann ich noch gar nicht ganz erfassen. Ich verlasse meine Compagnie, aber die ist auch selbst im Umbruch, die verändert sich aus sich heraus. Dinge sind endlich. Und sie sollen es sein! Das ist eine bedeutsame Wahrheit in unserem Leben. Irgendwann ist es vorbei, man weiß nicht, warum, aber man muss es akzeptiere­n. Im Sommer wird Demis Volpi Chef des Ballett am Rhein, etwas Neues beginnt, das man nicht vergleiche­n sollte. Und doch wird man irgendwann vielleicht auch den Schläpfer klarer sehen.

 ?? FOTO: GERT WEIGELT ?? Martin Schläpfer im Balletthau­s in Düsseldorf. Das moderne Probenzent­rum ist auf seine Initiative hin entstanden.
FOTO: GERT WEIGELT Martin Schläpfer im Balletthau­s in Düsseldorf. Das moderne Probenzent­rum ist auf seine Initiative hin entstanden.

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