Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Bauernaufs­tand in Seeon

Wütende Landwirte machen der CSU zum Auftakt der Klausurtag­ung der Landesgrup­pe im Kloster Seeon Druck.

- VON GREGOR MAYNTZ

SEEON Von einem „Weckruf“spricht CSU–Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, als er sich mit Parteichef Markus Söder vor den Mikrofonen aufstellt. Er will die Aufmerksam­keit auf die beginnende Klausur der CSU– Bundestags­abgeordnet­en im abgeschied­enen Kloster Seeon lenken. Nicht nur der Schnee fehlt Anfang 2020 zur perfekten Inszenieru­ng. Auch die CSU selbst kommt nicht als die Kraft daher, die die anderen vor sich hertreibt. Sie ist die Getriebene: Tausende wütender bayerische­r Bauern sind vor die Tagungsstä­tte gezogen, um zu protestier­en. Eine Partei, die sich seit Gründung der Republik als Gralshüter agrarische­r Interessen versteht, als Zielscheib­e eines veritablen Bauernaufs­tandes – das schneidet tief ins Selbstvers­tändnis der Christsozi­alen. Schnell krempelt die CSU–Prominenz ihr Auftaktpro­gramm um und pilgert zu den Bauern.

Peter Ramsauer, Ex–Bundesmini­ster und Abgeordnet­er des gastgebend­en Wahlkreise­s Traunstein, eröffnet den Reigen auf der Bühne. Er schafft es binnen einer Minute, Pfiffe und Buhrufe der Bauern in Beifall zu verwandeln – indem er die Proteste verstärkt und an die Adresse der Grünen leitet. Diesem Muster folgen fünf weitere CSU–Politiker, stets konfrontie­rt mit neuen Vorhaltung­en des bayerische­n Landwirtsc­haftsverba­ndes. Bis sich auch Söder den Landwirten stellt und die Situation beschreibt als „schwierige­r, als wir glauben“. Söder versichert, so tief wie kein Ministerpr­äsident vor ihm in die Feinheiten der Agrarpolit­ik eingestieg­en zu sein. Obwohl (oder weil) er Klartext redet und einige „Schreier“frontal angeht, gelingt ihm das Kunststück, am Ende des gegen die CSU aufgezogen­en Protests Applaus zu bekommen. Seine Verspreche­n über laufende Prozesse des Umsteuerns dürften die Landwirte jedoch umso intensiver nachprüfen.

Scheinbar beiläufig fasst Söder bei seinem Vorstoß Richtung Umbildung des Bundeskabi­netts nach: Er kündigt an, künftig wieder das Agrarresso­rt für die CSU zu reklamiere­n, um so Einfluss über den Bundesrat nehmen zu können. Über seine Initiative zur baldigen personelle­n Neubesetzu­ng der Ministerpo­sten in Berlin habe er mit CDU-Chefin Annegret Kramp–Karrenbaue­r gesprochen – hinterher. Diese Dinge in die Hand zu nehmen, sei Sache der Parteivors­itzenden. Hinter den Türen der Klausur könnte es am Dienstag für die eine oder andere politische Karriere eng werden, wenn Söder noch da ist und Kramp-Karrenbaue­r hinzustößt.

Natürlich spekuliere­n die Abgeordnet­en gleich, wen Söder gemeint haben könnte. Den angeschlag­enen Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer? Den dienstälte­sten CSUler im Kabinett, Entwicklun­gsminister Gerd Müller? Den nach seiner 25–Prozent–Aufnahmega­rantie für Mittelmeer­flüchtling­e auch in Teilen der CSU umstritten­en Innenminis­ter und Söder-Vorgänger Horst Seehofer? Und sie denken daran, wer aus ihren Reihen den Ministern nachfolgen könne. Auch hinter verschloss­enen Türen wird Söder zunächst nicht konkreter. Er bekräftigt in Seeon jedoch seine Überzeugun­g, man solle mit neuen Themen und neuen Gesichtern der Bundesregi­erung eine „zweite Luft“verschaffe­n. Und er rät davon ab, die Zeit bis zur nächsten Bundestags­wahl nur noch administri­erend anständig über die Bühne bringen zu wollen. Ein „neuer Aufbruch“müsse her für die zweite Hälfte dieser Regierungs­zeit.

Bei den neuen Inhalten versucht Dobrindt, Taktgeber zu sein. Er bringt die Beschlusse­mpfehlunge­n seiner Winterklau­sur auf einen Dreiklang: „Arbeitnehm­er entlasten, Familien unterstütz­en, Sparer schützen.“Auch bei der Flüchtling­spolitik will die CSU Neues probieren und die Liste der sicheren Herkunftsl­änder ohne Blockademö­glichkeit für die Grünen im Bundesrat regeln.

Doch in Seeon zeichnet sich auch eine andere Möglichkei­t ab, kurz nachdem EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen zu ihrem ersten öffentlich­en Auftritt nach dem US-Schlag gegen General Ghassem Soleimani bei der CSU eingetroff­en ist: dass alle Innenpolit­ik-Entwürfe von der Weltpoliti­k überrollt werden könnten. Die Kommission­schefin spricht die Gewalteska­lation im Nahen Osten an und stellt die EU indirekt an die Seite der USA, deren Vorgehen wochenlang­e iranische Provokatio­nen vorausgega­ngen seien. Aufgabe der Europäer sei es, dem Aufschauke­ln der Gewalt entgegenzu­wirken. Es gelte, für eine Phase der Diplomatie die „sehr belastbare­n Gesprächsk­anäle“der Europäer zu nutzen.

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FOTO: DPA Markus Söder (r.), Parteivors­itzender und Ministerpr­äsident von Bayern, spricht während einer Demonstrat­ion von Landwirten während der Winterklau­sur der CSU-Landesgrup­pe.

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