Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Bauernaufstand in Seeon
Wütende Landwirte machen der CSU zum Auftakt der Klausurtagung der Landesgruppe im Kloster Seeon Druck.
SEEON Von einem „Weckruf“spricht CSU–Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, als er sich mit Parteichef Markus Söder vor den Mikrofonen aufstellt. Er will die Aufmerksamkeit auf die beginnende Klausur der CSU– Bundestagsabgeordneten im abgeschiedenen Kloster Seeon lenken. Nicht nur der Schnee fehlt Anfang 2020 zur perfekten Inszenierung. Auch die CSU selbst kommt nicht als die Kraft daher, die die anderen vor sich hertreibt. Sie ist die Getriebene: Tausende wütender bayerischer Bauern sind vor die Tagungsstätte gezogen, um zu protestieren. Eine Partei, die sich seit Gründung der Republik als Gralshüter agrarischer Interessen versteht, als Zielscheibe eines veritablen Bauernaufstandes – das schneidet tief ins Selbstverständnis der Christsozialen. Schnell krempelt die CSU–Prominenz ihr Auftaktprogramm um und pilgert zu den Bauern.
Peter Ramsauer, Ex–Bundesminister und Abgeordneter des gastgebenden Wahlkreises Traunstein, eröffnet den Reigen auf der Bühne. Er schafft es binnen einer Minute, Pfiffe und Buhrufe der Bauern in Beifall zu verwandeln – indem er die Proteste verstärkt und an die Adresse der Grünen leitet. Diesem Muster folgen fünf weitere CSU–Politiker, stets konfrontiert mit neuen Vorhaltungen des bayerischen Landwirtschaftsverbandes. Bis sich auch Söder den Landwirten stellt und die Situation beschreibt als „schwieriger, als wir glauben“. Söder versichert, so tief wie kein Ministerpräsident vor ihm in die Feinheiten der Agrarpolitik eingestiegen zu sein. Obwohl (oder weil) er Klartext redet und einige „Schreier“frontal angeht, gelingt ihm das Kunststück, am Ende des gegen die CSU aufgezogenen Protests Applaus zu bekommen. Seine Versprechen über laufende Prozesse des Umsteuerns dürften die Landwirte jedoch umso intensiver nachprüfen.
Scheinbar beiläufig fasst Söder bei seinem Vorstoß Richtung Umbildung des Bundeskabinetts nach: Er kündigt an, künftig wieder das Agrarressort für die CSU zu reklamieren, um so Einfluss über den Bundesrat nehmen zu können. Über seine Initiative zur baldigen personellen Neubesetzung der Ministerposten in Berlin habe er mit CDU-Chefin Annegret Kramp–Karrenbauer gesprochen – hinterher. Diese Dinge in die Hand zu nehmen, sei Sache der Parteivorsitzenden. Hinter den Türen der Klausur könnte es am Dienstag für die eine oder andere politische Karriere eng werden, wenn Söder noch da ist und Kramp-Karrenbauer hinzustößt.
Natürlich spekulieren die Abgeordneten gleich, wen Söder gemeint haben könnte. Den angeschlagenen Verkehrsminister Andreas Scheuer? Den dienstältesten CSUler im Kabinett, Entwicklungsminister Gerd Müller? Den nach seiner 25–Prozent–Aufnahmegarantie für Mittelmeerflüchtlinge auch in Teilen der CSU umstrittenen Innenminister und Söder-Vorgänger Horst Seehofer? Und sie denken daran, wer aus ihren Reihen den Ministern nachfolgen könne. Auch hinter verschlossenen Türen wird Söder zunächst nicht konkreter. Er bekräftigt in Seeon jedoch seine Überzeugung, man solle mit neuen Themen und neuen Gesichtern der Bundesregierung eine „zweite Luft“verschaffen. Und er rät davon ab, die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl nur noch administrierend anständig über die Bühne bringen zu wollen. Ein „neuer Aufbruch“müsse her für die zweite Hälfte dieser Regierungszeit.
Bei den neuen Inhalten versucht Dobrindt, Taktgeber zu sein. Er bringt die Beschlussempfehlungen seiner Winterklausur auf einen Dreiklang: „Arbeitnehmer entlasten, Familien unterstützen, Sparer schützen.“Auch bei der Flüchtlingspolitik will die CSU Neues probieren und die Liste der sicheren Herkunftsländer ohne Blockademöglichkeit für die Grünen im Bundesrat regeln.
Doch in Seeon zeichnet sich auch eine andere Möglichkeit ab, kurz nachdem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach dem US-Schlag gegen General Ghassem Soleimani bei der CSU eingetroffen ist: dass alle Innenpolitik-Entwürfe von der Weltpolitik überrollt werden könnten. Die Kommissionschefin spricht die Gewalteskalation im Nahen Osten an und stellt die EU indirekt an die Seite der USA, deren Vorgehen wochenlange iranische Provokationen vorausgegangen seien. Aufgabe der Europäer sei es, dem Aufschaukeln der Gewalt entgegenzuwirken. Es gelte, für eine Phase der Diplomatie die „sehr belastbaren Gesprächskanäle“der Europäer zu nutzen.